WELTGo!
Ihr KI-Assistent für alle Fragen
Ihr KI-Assistentfür alle Fragen und Lebenslagen
Kabarettist bei Plasberg

„Wir reden von Menschen in Not wie über Ungeziefer“

Von Kristoffer Fillies
Veröffentlicht am 10.03.2020Lesedauer: 5 Minuten

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat die Öffnung der griechisch-türkischen Grenze für Flüchtlinge klar abgelehnt. Die Grenzen „sind nicht offen, und sie werden nicht geöffnet“, sagte von der Leyen in Brüssel.

Bei „Hart aber Fair“ ging es hoch her, denn es ging darum, ob aus der Flüchtlingskrise des Jahres 2015 etwas gelernt wurde. Einig ist man sich eigentlich nur bei einer Frage.

Anzeige

Lesbos, Evros und Edirne: An den Grenzen zwischen Griechenland und der Türkei versuchen täglich Tausende Menschen, in die Europäische Union zu kommen. Sie hoffen auf ihrer Flucht aus Krisengebieten auf Sicherheit außerhalb von Flüchtlingsunterkünften der Türkei. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat den Flüchtenden mitgeteilt, sie könnten in die EU – und unterwandert damit das Flüchtlingsabkommen. Griechenland hält die Grenzen geschlossen, Medienberichte zeigen Chaos vor den Zäunen.

Wie sollen Deutschland und die EU mit dieser Situation umgehen? Wiederholt sich 2015, das Jahr, in dem sich die Migrationskrise zuspitzte? „Was haben wir aus 2015 eigentlich gelernt?“, fragte Frank Plasberg seine Talkgäste deshalb bei „Hart aber fair“.

Anzeige

Diskutiert haben die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt, die nordrhein-westfälische Staatssekretärin für Integration, Serap Güler, „Bild“-Journalist Ralf Schuler und Kabarettist Florian Schroeder. Liza Pflaum, Mitgründerin der Bewegung Seebrücke, berichtete von ihren Erfahrungen vor der griechischen Insel Lesbos. Und appelliert, sofort zu handeln.

Die Forderungen des Abends

Grenzen geschlossen halten oder öffnen? Da prallen die Meinungen aufeinander. Bei offenen Grenzen „würden sich noch mehr Menschen auf den Weg machen“, meint CDU-Frau Güler. Doch auch relativ geschlossene Grenzen würden nicht bedeuten, dass keine Menschen mehr in die EU kommen. „2019 hat Deutschland 120.000 Menschen aufgenommen“, sagt die Integrationsministerin.

Anzeige

Göring-Eckardt fordert Ordnung an der griechisch-türkischen Grenze. „Eine Grenze soll schützen, und ein Zaun ist dafür auch gut. Aber nur, wenn da ein legaler Übergang möglich ist und Asyl von den Menschen gefordert werden kann“, sagt sie. Das sei aber nicht mehr der Fall.

Die Bundesregierung hat sich auf die Aufnahme von schutzbedürftigen Kindern und Jugendlichen aus Flüchtlingslagern der griechischen Inseln bereiterklärt. Integrationsministerin Güler verteidigt die Entscheidung, diesen besonders schwachen Menschen Vorrang zu geben. Göring-Eckardt bezeichnet das als „politische Augenwischerei“. Das Recht auf einen Asylantrag müsse für alle Flüchtlinge dort gelten. „Ob der Antrag dann angenommen wird oder nicht, das zeigt sich dann“, sagt die Bundestagsabgeordnete der Grünen.

Lesen Sie auch

„Bild“-Journalist Schuler sieht ein anderes Problem: „Wir haben die Flüchtlingsursachen noch nicht bekämpft.“ Die Krise werde nicht mit dem Aufnehmen von Flüchtlingen gelöst. „Bei mehreren Millionen Menschen auf der Flucht kann man das nicht hier vor Ort machen, sondern muss in den Ländern wie Syrien für die Lösung sorgen“, glaubt Schuler. Güler fordert eine Sicherheitszone in Syrien, wie sie unlängst Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer vorgeschlagen hatte. „Wir haben uns zu sehr mit den Symptomen und nicht den Ursachen beschäftigt. Und die Ursache ist vor allem in Syrien“, sagt Güler.

Der Gast des Abends

Pflaum ist Sprecherin der Bewegung Seebrücke, die in europäischen Gewässern Flüchtlinge zu retten versucht. „Aus ganz Europa sind Neonazis angereist, die gegen die Flüchtlinge an der griechischen Grenze angehen“, sagt Pflaum. Ihr Eindruck sei, dass die Zivilbevölkerung in Griechenland über die Situation an den Grenzen unglücklich sei. „Das Recht auf Asyl wird dort ausgesetzt. Die Menschen in den Flüchtlingslagern bekommen mit, dass sie entrechtet und entmenschlicht werden“, sagt Pflaum. Von Deutschland fordert sie die sofortige Aufnahme von Flüchtlingen. „Wir haben genug Platz, und über 140 Kommunen haben sich bereiterklärt, mehr aufnehmen zu wollen.“

Auch Göring-Eckardt verweist auf Kommunen wie Bonn und Bielefeld, die weitere Flüchtlinge von der griechischen Grenze aufnehmen wollen. Für den Kabarettisten Florian Schroeder gibt es die „Willkommenskultur“, die noch 2015 in Deutschland prägend gewesen sei, jetzt nicht mehr. „Dabei haben sich die Flüchtlinge von damals gut integriert, 85 Prozent haben einen Sprachkurs belegt und viele arbeiten“, sagt er. „Es ist nicht in der Katastrophe geendet.“

Auch der Satz von Bundeskanzlerin Angela Merkel („Wir schaffen das“) habe sich bewährt, doch aktuell „duckt sich die Kanzlerin weg“. Und Griechenland habe faktisch das Asylrecht an den Grenzen ausgesetzt. „Der Wertekanon wird Schritt für Schritt von einem demokratischen Staat unterlaufen“, sagt er über Griechenlands Vorgehen an den Grenzen. „Wir sind in der EU dem Humanismus und der Aufklärung verpflichtet“, sagt Schroeder.

Integrationsstaatssekretärin Güler widerspricht: Es stimme nicht, dass die Menschen nicht mehr bereit seien, Flüchtlinge aufzunehmen. Das zeige sich auch an vielen aktuellen ehrenamtlichen Flüchtlingsinitiativen. „Dass wir es geschafft haben in den vergangenen fünf Jahren, ist auch wegen dieser Menschen“, sagt Güler.

Der Vorwurf des Abends

Einige Flüchtlinge an der griechischen Grenze werfen mit Steinen, Sicherheitskräfte sollen angeblich auch schon Schüsse abgegeben haben. Schuler bezeichnet aggressive Flüchtlinge als „marodierende Horden“. Kabarettist Florian Schroeder zeigt sich von dieser Ausdrucksweise „schockiert“. „Wir sprechen von Menschen in Not, als seien sie Ungeziefer“, mahnt er. Schulers Äußerungen rückt er in die Nähe der AfD und wirft dem Journalisten direkt vor: „Sie sprechen von Menschen, als seien es Tiere.“ Diese Menschen seien aber in Not und würden deshalb aggressiv handeln.

„Mit dieser Sprache machen Sie Unmenschlichkeit salonfähig“, sagt Schroeder. Schuler hingegen findet: „Jemand, der zivilisiert eine Grenze übertreten will, verhält sich anders.“

Was sagt das Netz?

Die „Hart aber fair“-Redakteurin Brigitte Büscher hat einige Kommentare zum Thema aus den sozialen Netzwerken ausgewählt. So fordert Rainer Boffo, Griechenland zu helfen, und unterstützt den Vorschlag, Menschen aus den Lagern zu holen, die es am nötigsten haben. Die Grenzen in Griechenland zu öffnen wäre für Sven Etan Binkert das falsche Signal der Türkei gegenüber: „Europa würde sich als erpressbar erweisen.“

Sebastian Brenner fordert einen härteren Kurs gegenüber der Türkei: „Warum setzt die Weltgemeinschaft Erdogan nicht sofort wirtschaftlich unter Druck und schneidet ihn von allen internationalen Beziehungen ab? Volksaufstände in der Türkei würden dem Spuk schnell ein Ende setzen.“ Und für Mikele Gross sollen sich Fehler von 2015 nicht wiederholen, weshalb die deutsche Bundesregierung den Menschen an der griechischen Grenze helfen müsse.