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Die denkwürdige Reise der zerstrittensten Nationalmannschaft aller Zeiten

Nürnbergs Torwartlegende Heiner Stuhlfauth war Teil der deutschen Nationalmannschaft, die 1924 den ersten Sieg überhaupt in den Niederlanden feierte Nürnbergs Torwartlegende Heiner Stuhlfauth war Teil der deutschen Nationalmannschaft, die 1924 den ersten Sieg überhaupt in den Niederlanden feierte
Nürnbergs Torwartlegende Heiner Stuhlfauth war Teil der deutschen Nationalmannschaft, die 1924 den ersten Sieg überhaupt in den Niederlanden feierte
Quelle: picture alliance/SZ Photo/Scherl
Die Zusammenstellung der Nationalmannschaft war anno 1924 noch etwas willkürlich. Es gab keinen Bundestrainer, nur einen Spielausschuss – der oft nach regionalen Aspekten nominierte. So wurden in erster Linie Nürnberger und Fürther nach Amsterdam geschickt. Das war eine kühne Idee.

An diesem Sonntag wird die Geschichte von der zerstrittensten deutschen Nationalmannschaft und ihrer merkwürdigsten Reise 100 Jahre alt. Sie ist nicht zu verstehen ohne die Vorgeschichte und deren Vorgeschichte, und selbst wenn alles erzählt werden könnte, bliebe sie merkwürdig.

Die sehr spezielle Rivalität zwischen dem 1. FC Nürnberg und der Spielvereinigung Fürth, die bis in unsere Tage anhält, war schon 1924 legendär, als der Fußball erst begann, ein Massenphänomen zu werden. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wurde der beste Fußball des Landes in Franken gespielt: der 1. FC Nürnberg stand quasi jährlich im Endspiel und wenn er dort war, gewann er es. Vorher aber musste er die Nachbarn aus Fürth, schon 1914 Meister, in der süddeutschen Meisterschaft ausschalten, und das fiel von Jahr zu Jahr schwerer.

Die Spiele elektrisierten die Massen, oft gerieten sie zu sportlichen Schlachten. Wie am 13. April 1924, als der Kicker schrieb: „Schon vor dem Kampfe herrscht eine Atmosphäre, wie man sie sich vergifteter gar nicht vorstellen kann.“ Zwei Sportgerichtsurteile zugunsten der Fürther ließen die „Clubberer“ an Schiebung glauben, weil der Rivale zwei Punkte am grünen Tisch erhielt und die Sperre eines Spielers verkürzt wurde. Bissige Parole der Nürnberger Fans: „Die Spielvereinigung Fürth kann alles.“

Im vorentscheidenden Spiel (0:0) um den süddeutschen Titel flogen die Fetzen und in Hans Kalb und Carl Riegel zwei Nürnberger vom Platz, dafür wurde der Schiedsrichter von einem „Club“-Rowdy getreten. „Können wir uns wundern, wenn kein Schiedsrichter mehr ein Spiel Nürnberg – Fürth leiten will?“, fragte der „Kicker“ und die „Nürnberger Zeitung“ klagte: „Ringkampf, Boxkampf, Schlägerei, ja Rauferei möchte man nennen, was die beiden Mannschaften vorgeführt haben.“ So weit, so schlecht.

Bis zum Rückspiel in zwei Wochen hätten sich alle wieder beruhigen können, wäre da nicht das Länderspiel an Ostermontag in Amsterdam gewesen, der damals auf den 21. April fiel. Dazu hatte der Deutsche Fußball-Bund – wie schon im Januar beim 4:3 gegen Österreich – eine rein fränkische Auswahl nominiert – plus zwei Reservisten aus Stuttgart und Altona. Zwar gab es 1924 schon 5963 Vereine und 780.528 Mitglieder, spielen aber sollten die Besten der „Hochburg“, wie die ehrfurchtsvolle Bezeichnung für Nürnberg und Fürth damals lautete.

Mangels Überblick galt Blockbildung als probates Mittel

Die Zusammenstellung der Nationalmannschaft war anno 1924 noch etwas willkürlich. Es gab keinen Bundestrainer, nur einen Spielausschuss – der oft nach regionalen Aspekten nominierte. Es gab ja auch keine Bundesliga, sondern 79 (!) erstklassige Bezirksligen, und kein Fernsehen. Niemand hatte einen Überblick, wer die Besten im Reich waren, und so galt Blockbildung als probates Mittel. Bloß hatte auf diesen Block niemand Bock, es hagelte zunächst Absagen. Ostern gehöre doch der Familie, manche schoben berufliche Verpflichtungen vor. In Wahrheit wollte kein Fürther einen Nürnberger sehen und umgekehrt.

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Spielausschusschef Julius Keyl vom DFB brachte sie dennoch mit diplomatischem Geschick am Samstagmorgen an den Nürnberger Hauptbahnhof. Als die sechs Fürther in den hinteren Waggon einstiegen, nahmen die sechs Nürnberger den vorderen. Bloß keinen Kontakt. In Düsseldorf stiegen sie um, und DFB-Expeditionsleiter Gustav Blaschke fragte die Nürnberger, wo denn die Fürther seien, ehe er auch sie ausstiegen sah. Fortan hatte er einen neuen Job: Friedensrichter.

Die Mannschaft des 1. FC Nürnberg, aufgenommen im Juni 1924 in Berlin nach dem Sieg im Endspiel um die Deutsche Meisterschaft gegen den HSV
Die Mannschaft des 1. FC Nürnberg, aufgenommen im Juni 1924 in Berlin nach dem Sieg im Endspiel um die Deutsche Meisterschaft gegen den HSV
Quelle: picture-alliance/dpa/Harro Schweizer

Es ging ein kurzes Stück weiter nach Rheine, wo die Mannschaft ein Hotel bezog. Beim Stadtausflug ließen die Nürnberger so lange auf sich warten, dass Blaschke überlegte die Besten der gerade vor Ort spielenden Elf von Schwarz-Weiß Essen einzuberufen. Dann wies ihn jemand darauf hin, dass es sich um eine Jugendauswahl handelte. Der Eklat blieb aus, die Luft aber dick.

Auf der Fahrt nach Amsterdam am Ostersonntag reisten die verfeindeten Kicker wieder in getrennten Waggons, und Blaschke pendelte hin und her: „Vertragt euch, ihr müsst doch morgen zusammen spielen“, flehte er sie an. „Spielen schon, da müssen sie keine Angst haben – mehr aber auch nicht“, versicherte ihm Torwartlegende Heiner Stuhlfauth. Ansonsten herrschte Eiseskälte.

Gejubelt nach dem Tor wurde natürlich getrennt

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„Wir setzten uns zum Essen im ,Hotel American’ in Amsterdam jede Gruppe in eine andere Ecke, ebenso beim Frühstück, im Omnibus zum Sportplatz, in der Umkleidekabine. Keiner sprach ein Wort, auch nicht bei Halbzeit“, erinnerte sich Stuhlfauth noch 1961, „es wäre uns wie Fahnenflucht erschienen“.

Interessant ist, wie wenig davon in die Presse gelangte. Die feierte den ersten Sieg überhaupt in den Niederlanden (1:0) durch ein Tor des Fürthers Karl Auer auf Vorarbeit des Nürnbergers Heiner Träg. Gejubelt wurde natürlich getrennt.

Die Lehre von Amsterdam: Es braucht nicht immer elf Freunde, um Siege zu erringen. Die wurden sie auch auf der in gleicher Weise begangenen Rückfahrt nicht mehr. 26 Stunden Bahnfahrt konnten die feindlichen Fußballbrüder nicht versöhnen. Das gelang erst Wochen später „Kicker“-Gründer Walter Bensemann, der die Mannschaften zu einem Diner ins Nürnberger „Grand-Hotel“ einlud – ohne zu verraten, dass die Rivalen auch kämen.

Beim Wein sagten sie sich dann die Wahrheit – es war nämlich alles halb so schlimm. Heiner Träg beschwor noch 1963: „Im jugendlichen Übermut übertrieb man hier und da ein wenig. Es sind niemals ernste Differenzen entstanden.“ Wohl aber schöne Geschichten.

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