Von wegen immer nur Playstation. Das Klischee, Fußballprofis würden zwischen den Trainings meist an der Videokonsole sitzen, widerlegen die deutschen Nationalspieler in Herzogenaurach. Joshua Kimmich kümmert sich gern um die Pflanzen im EM-Quartier, hat mit David Raum bereits zwei Bäume gepflanzt und löst mit seinen Kollegen Kreuzworträtsel.
Seit Sonntagabend steht die Antwort auf eine Frage künftiger Rätsel fest: Deutscher Viertelfinale-Gegner der EM 2024 in Deutschland, sieben Buchstaben? S-P-A-N-I-E-N. Der Turnier-Favorit siegte 4:1 gegen Georgien und trifft am Freitag (18 Uhr, ARD/MagentaTV und im WELT-Liveticker) in Stuttgart auf die DFB-Auswahl. Viele Experten sehen die Top-Begegnung als vorgezogenes Finale. „Die Spanier machen den stabilsten Eindruck bisher im Turnier“, sagte Kimmich Montagmittag bei einer Pressekonferenz in Herzogenaurach. „Wenn man das Turnier gewinnen will, führt kein Weg an Spanien vorbei. Das wird ein gutes Spiel. Als Spieler freut man sich auf solche Partien, in denen es zur Sache geht.“ Der 29-jährige Rechtsverteidiger vom FC Bayern sagte zudem: „Ich glaube nicht, dass sich die Spanier über uns als Gegner freuen.“
Rudi Völler war der bislang letzte deutsche Spieler, der bei einem Turnier-Sieg gegen Spanien traf. 1988 bei der EM, die ebenfalls in Deutschland ausgetragen wurde, erzielte der damalige Weltklasse-Stürmer beim 2:0 in der Gruppenphase beide Tore. Inzwischen ist Völler Sportdirektor des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und sagte: „Spanien hat traditionell gute Fußballer und spielt aktuell auf Top-Niveau. Nun kommen zu ihrem klassischen Stil auch noch zwei wahnsinnig schnelle Außenbahnstürmer hinzu. Das macht sie noch gefährlicher. Es ist beeindruckend zu sehen, wie sie in ihre Eins-gegen-Eins-Duelle gehen.“
Die spanische Flügelzange spielt überragend
Damit meint Völler insbesondere Lamine Yamal vom FC Barcelona und Nico Williams von Athletic Bilbao. Die spanische Flügelzange ist in Sachen offensivem Tempo und Überraschungsmomenten bislang die Benchmark dieser EM. Auf die deutschen Außenverteidiger Kimmich und Raum wartet harte Arbeit. „Es wird vermutlich das ein oder andere Eins-gegen-Eins auf einen zukommen. Schauen wir mal, was da abgeht“, so Kimmich. Und Linksverteidiger Raum von RB Leipzig, der nach seiner überzeugenden Leistung im Achtelfinale gegen Dänemark (2:0) aller Voraussicht nach erneut für Maximilian Mittelstädt vom VfB Stuttgart spielen wird, sagte: „Die spanische Mannschaft ist brutal besetzt. Williams und Yamal sind zwei Dribbler, bei denen wir gefordert sind. Mit den Trainern werden wir uns einen guten Plan einfallen lassen.“ Er selbst habe gegen Dänemark seinen Turnier-Moment gehabt, „der hat Lust auf mehr gemacht“.
Yamal und Williams ziehen immer wieder in die Mitte. Die Lösung aus deutscher Sicht? „Die Mitte zumachen!“, sagte Kimmich. „Sie haben den Ball an ihrem starken Fuß, wenn sie in die Mitte ziehen.“ Dort habe man als Verteidiger generell aber auch Kollegen, die zentral absichern helfen können.
Williams ist 21 Jahre, Yamal gerade mal 16 Jahre. Während des Turniers erfuhr Yamal, dass er die Mittlere Reife geschafft hat. Für Barcelonas Profis hat er mit 15 Jahren debütiert. „Der Junge spielt seit einiger Zeit bei Barcelona, hat sich auch in der Nationalmannschaft festgespielt. Man kann ihn auch verteidigen – man muss nur einen Weg finden“, so Raum. Angstschweiß gebe es bei ihm nicht. Im Gegenteil: „So einen Spieler wünscht man sich. Wenn man gegen die Besten spielt, kann man zeigen, was man drauf hat.“
„Spanien will die Kontrolle über das Spiel, das wollen wir auch“
Was wird der Schlüssel in der Partie sein? Eher die Taktik – oder die Emotionen, der Wille? „Der richtige Mix“, sagte Kimmich. „Spanien will die Kontrolle über das Spiel haben, aber das wollen wir auch. Man muss auch mit einer gewissen Dynamik, mit Mut und Wucht auftreten. Der Kopf wird sicherlich auch entscheidend sein.“
Das Achtelfinale der Spanier sahen sich Kimmich und Raum im Organisations-Büro des DFB im Teamquartier an. „Wir brauchen eine Top-Leistung von jedem einzelnen von uns und als Gruppe“, betonte Kimmich. „Es wird wichtig, eng am Gegner dranzubleiben. Aber es ist auch wichtig, selbst Fußball zu spielen. Wir wollen unser Spiel aufziehen.“ Raum sagte, er habe im Gefühl, dass Kimmich ein Tor erzielen wird. Und zur Not, sagte Kimmich augenzwinkernd, könne man ja Rudi Völler einwechseln.