Dieser Berg ruft nicht. Das hat er gar nicht nötig. Er bittet höchstens zur Audienz, nicht umsonst trägt die Rigi schließlich den Beinamen „Königin der Berge“. Ein Titel, der bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts Neugier und Reiselust entfachte.
Dabei ist die Rigi eine elitäre Einzelgängerin und ein Schweizer Zwerg noch dazu. Keine anderen Berge haben sich zu ihr gesellt, und an die 1800-Meter-Marke reicht sie gerade so heran. Doch auf Rigi Kulm, ihrem höchsten Gipfel, zieht die Landschaft alle Register. Von hier lässt sich fast alles sehen, was in der Schweizer Bergwelt Rang und Namen hat, auch Eiger, Mönch und Jungfrau.
Den Sonnenaufgang dort oben zu erleben, war für jeden Schweiz-Reisenden der damaligen Zeit ein Muss. „Es war ein wogendes Chaos riesiger Bergmassen, die Spitzen geschmückt mit unvergänglichem Schnee und umflutet von der goldenen Pracht des zitternden Lichts“, schwärmte beispielsweise der amerikanische Autor Mark Twain im Jahr 1879, der ebenso zum Who’s Who der Rigi-Besucher gehörte wie Goethe, Leo Tolstoi, der Bayernkönig Ludwig II. und Richard Wagner.
Weil den Gästen die Gipfelwanderung zu beschwerlich war, ließen sie sich in einem Tragesessel nach oben hieven. Die britische Queen Victoria nahm es sportlicher, ritt zu Pferd hinauf und notierte ihre Freude mit königlicher Contenance in ihr Tagebuch: „We are amused.“
Anfangs lachte man über Pläne für Bergbahnen
Wenige Jahre nach ihrer Bergtour wäre Majestät bestimmt noch amüsierter gewesen, denn da hätte sie das Felsmassiv bereits komfortabel mit der Rigibahn erklimmen können. Die wurde am 21. Mai 1871 mit einer Fahrt von Vitznau nach Rigi Staffelhöhe feierlich eröffnet und wird seitdem als erste Bergbahn Europas gerühmt. Eigentlich eine erschummelte Ehre, denn die Steinbruchbahn Ostermundigen wurde zwar erst fünf Monate nach der Rigibahn eingeweiht, war jedoch schon seit 1870 inoffiziell in Betrieb.
Anfangs wurden Pläne für den Bau von Bergbahnen als Spinnereien verlacht. Ein Grund für die rigorose Ablehnung resultierte sicherlich auch aus dem höchst abenteuerlichen Projekt des Winterthurer Architekten Friedrich Albrecht.
Der hatte eine Luftbahn entworfen, deren Passagiergondeln von Heliumballons aufwärts gezogen werden sollten. Mit dieser Idee hätte er Jules Verne, den Vater der Science-Fiction-Romane, in Verzücken versetzt, aber in der Schweiz durfte in diesem Fall nur fantastisch sein, was auch funktionierte.
Kein Wunder, dass auch der Ingenieur Niklaus Riggenbach mit seinem Vorhaben, Züge mittels Zahnrad und Zahnstange über Steigungen zu führen, auf reichlich Skepsis stieß. Als aber bekannt wurde, dass eine Bahn mit ähnlichem Antrieb bereits seit 1869 in Amerika eingesetzt wurde, die Mount Washington Cog Railway auf den gleichnamigen Berg im Bundesstaat New Hampshire nämlich, erhielt er prompt die Genehmigung für seine Rigibahn.
Bei Kosten in Höhe von rund 1,3 Millionen Franken für Gebäude, Bahnanlagen und Rollmaterial kalkulierten die Betreiber mit 50.000 Gästen jährlich, um die Bergbahn rentabel zu betreiben. Im dritten Jahr fuhren bereits mehr als 100.000 Passagiere gen Gipfel.
Die Rigibahn begeistert mit der vollen Dosis Schweiz
Die Bahn erwies sich als sichere Methode, Menschen mit dem Versprechen auf die volle Dosis Schweiz in Euphorie zu versetzen. Damit erfüllte sich auch Riggenbachs Wunsch, die Tour möge nicht allein Erste-Klasse-Reisenden vorbehalten bleiben. „Ich will alles Volk auf die Berge führen, damit sie die Herrlichkeit unseres erhabenen Landes genießen können“, schilderte der Ingenieur sein Ziel zur Demokratisierung des Aussichtsglücks.
Sein Erfolg brachte auch dem Fischerdorf Vitznau den touristischen Aufschwung und zahlreiche Arbeitsplätze. Der kleine Ort am Vierwaldstättersee ist mit dem Schiff von Luzern aus in einer guten Stunde zu erreichen.
Zu Füßen der Rigi gelegen, wird die Region um Vitznau auch als Riviera der Zentralschweiz bezeichnet, denn die Südwand des Berges reflektiert die Sonnenwärme so stark, dass ein mildes Mikroklima entsteht, in dem mediterrane Pflanzen gut durch den Winter kommen. Feigen, Weintrauben und Edelkastanien reifen hier, am Ufer des karibikblau schillernden Sees wedeln Palmen im warmen Wind. Begeisterte Botaniker haben rund 40 Orchideenarten gezählt.
Zwischen diesem Seeparadies und dem Rigi-Gipfel liegt heute eine nur halbstündige Fahrt mit der Zahnrad-Bergbahn, die im Laufe der Jahre schnellere Loks und komfortablere Waggons erhalten hat.
Mit der alten Dampflok auf die Königin der Berge
Um einiges länger wird die alte Dame indes brauchen, die anlässlich des diesjährigen Jubiläums aus dem Ruhestand zurückgeholt wird. Den verbrachte die legendäre Dampflokomotive aus den Gründerjahren der Rigibahn seit 1959 im Luzerner Verkehrshaus, ein Museum für Technik und Mobilität.
Lok Nr. 7, von Bahnmitarbeitern auch liebevoll „s Sibni“ genannt, ist tatsächlich eine museumswürdige Schönheit, aber immer noch einsatzbereit, weltweit sogar die einzige noch fahrtüchtige Zahnraddampflok mit stehendem Kessel. Ein kleiner Triumph des alten Eisens über die Zeit.
Damit die Ikone der Schweizer Mobilitätsgeschichte wieder auf ihrer Originalstrecke Richtung Gipfel schnaufen kann, wurde „s Sibni“ im September 2020 auf dem Seeweg nach Vitznau transportiert, wo sie in den Depots der Rigi Bahnen AG fit dafür gemacht wird, ihren Passagieren noch einmal alle Mühen des Aufstiegs abzunehmen. Am 21. Mai 2021, exakt 150 Jahre nach Inbetriebnahme der Vitznau-Rigi-Bahn, soll die Dampflok Nr. 7 erneut auf die Königin der Berge fahren, und das eine Saison lang bis in den Oktober, bevor sie wieder ins Museum zurückkommt.
Wenn es steil aufwärts geht, vorbei an Murmeltieren, Almwiesen und Felswänden, während in der Tiefe der Vierwaldstättersee immer wieder aufblitzt, dann ist diese Bahnfahrt nicht nur spannend, sondern bilderbuchschön. Egal, ob man mit einem greisen Meisterwerk der Ingenieurtechnik oder einem ihrer Nachfolger hochruckelt.
Tipps und Informationen
Anreise: Mit dem Zug ist Luzern regelmäßig via Basel oder Zürich zu erreichen, Infos unter sbb.ch, bahn.de. Flixbus bietet von vielen deutschen Städten Direktverbindungen, Reservierungen unter flixbus.de. Von Luzern aus gelangt man mit dem Schiff über den Vierwaldstättersee in knapp 60 Minuten bis Vitznau, lakelucerne.ch. Die Talstation der Rigibahn ist nur wenige Gehminuten von der Schiffsanlegestelle entfernt.
Fahrpläne: Die Fahrpläne aller Seil- und Zahnradbahnen, die auf die Rigi führen, werden hier gelistet: rigi.ch/informieren/fahrplaene
Unterkunft: In Luzern: Zimmereinrichtungen im Art-déco-Stil und eine grandiose Aussicht auf See und Berge genießt man im „Hotel Montana“. Doppelzimmer mit Frühstück ab 240 Euro, hotel-montana.ch.
In Vitznau: Ein idealer Ausgangspunkt für Berg- und Schiffstouren ist das familiengeführte Drei-Sterne-Hotel „Rigi Vitznau“. Doppelzimmer mit Frühstück gibt es ab 163 Euro, rigi-vitznau.ch.
Auf der Rigi: Direkt beim höchsten Gipfel gelegen, beherbergt das „Rigi Kulm Hotel“ als erstes Berggasthaus der Schweiz bereits seit gut 200 Jahren Gäste. Doppelzimmer mit Frühstück ab 210 Euro, rigikulm.ch.
Gemütliche Gästezimmer (mit zwei bis vier Betten) in Gipfelnähe bietet auch die Alpwirtschaft Chäserenholz. Zimmer inklusive Bettwäsche und Älplerfrühstück mit hausgemachten Spezialitäten ab 50 Euro pro Person, alp-beizli.ch/alp-chaserenholz.
Mit Blick auf See und Berge und kostenfreiem Eintritt ins Mineralbad überzeugt das „Hotel Rigi Kaltbad“. Doppelzimmer mit Frühstück ab 230 Euro, hotelrigikaltbad.ch.
Jubiläumsfeiern: Neben der Inbetriebnahme der Lok Nr. 7 wird es am Jubiläums-Wochenende vom 21. bis 24. Mai 2021 auch eine historische Fahrzeugparade geben. Die Geschichte der Rigi-Bahnen sowie Zentralschweizer Bräuche und Traditionen werden im Rahmen der Rigi-Festspiele im Juli und August gezeigt. Geplant sind etwa zehn Vorführungen in der Naturarena auf Rigi Staffel. Eine Lok-7-Fahrt mit der restaurierten Ur-Zahnrad-Dampflokomotive von 1873 kostet ab 18 Euro, Tickets buchbar unter rigi.ch.
Die feierliche Präsentation von sechs neuen Triebwagen erfolgt im September 2021. Informationen über weitere Jubiläumsangebote wie Depotführungen, Sonntagsbrunch zum Sonnenaufgang oder auch ein Nostalgie-Dinner im historischen Salonwagen finden sich ebenfalls unter rigi.ch.
Weitere Infos: myswitzerland.com; luzern.com
Dieser Text ist aus der WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause.