Irgendwo auf dem Atlantischen Ozean zwischen New York City und Halifax stellt John sich in einer himmelblauen Kapsel in einen Filzsack und verschränkt die Arme über der Brust. Kurz bevor sich die Kapselluke über ihm schließt, lächelt er nervös und reckt den Daumen in die Höhe. „Three, two, one“ zählt eine wie Darth Vader klingende Computerstimme den Countdown an. Dann macht es flutsch, und John ist weg.
„The Drop“ heißt die Freefall-Trockenrutsche, in der John gerade zehn Geschosse an Bord des Kreuzfahrtschiffs „Norwegian Prima“ hinunterjagt, bevor er Sekunden später auf Deck acht wieder ausgespuckt wird. Dort wartet seine Frau bereits mit laufender Smartphone-Kamera.
Den besten Blick auf die Gaudi hatte allerdings eine Passagierin, deren Kabinenbalkon sich genau dort befindet, wo die Röhre für ein paar Meter durchsichtig ist. Damit die Rutschpartie sicher endet, werden die Rutschenden auf der Mittelstrecke kurz abgebremst, sodass John in seinem Filzsack und die Urlauberin im Bademantel sich kurz zulächeln konnten, wie er erzählt.
Das neueste Schiff der amerikanischen Reederei Norwegian Cruise Line, im August 2022 in Dienst gestellt, ist ein schwimmender Vergnügungspark. Während die „Prima“ über die Weltmeere gleitet, können die Passagiere in einer Art Helixspirale zu zweit um die Wette rutschen, sich von einer künstlichen Flutwelle bahnabwärts spülen lassen oder über eine 420 Meter lange Kartbahn sausen.
An Bord duzen sich alle, man spricht sich mit Vornamen an. Fröhliche Ausgelassenheit mit ein bisschen Nervenkitzel bei gehobenem Komfort – diese Rezeptur soll neue, jüngere Kundenschichten erschließen. Indem sie das Kind im Kreuzfahrer weckt.
Ein Abenteuerspielplatz für Erwachsene
Zwar gibt es kürzere Kartbahnen und Wasserrutschen bereits auf anderen Schiffen, doch das neue Konzept zielt auf den Spieltrieb eines ausgewachseneren Publikums ab – keine der Rutschen hier ist für Kinder unter acht Jahren geeignet, es gibt weder einen speziellen Kinderpool noch eine Wasserrutsche für Kleinkinder. Der Kids Aquapark auf der „Prima“ ist mehr Wasserskulptur als Spielplatz und abseitig positioniert.
Am besten aufgehoben sind auf dem neuen Schiff Teenager mit stattlichem Taschengeld und Erwachsene, die kein Problem damit haben, für jede Attraktion ein paar Dollar draufzuzahlen, denn Kartbahn, das interaktive Minigolf „Tee Time“ und Darts kosten pro Runde zwischen zehn und 40 Dollar extra. Ebenso der gigantische Galaxy-Pavillon, ein virtueller Abenteuerspielplatz mit Flug- und Wettfahrtsimulator, zum Golfspielen oder Auf-Zombies-Ballern mit zwei Escape-Rooms. Die Rutschen, immerhin, sind kostenlos.
Die Kreuzfahrtbranche hat aus der Pandemie einige Lehren gezogen, und für die „Prima“ heißen sie: dezentralere Angebote, mehr Frischluft. In „The Stadium“, einer großzügigen, überdachten Anlage in einem Design, das zwischen den TV-Serien „Miami Vice“ (Palmen, Flamingos, Neonröhren) und den „Sopranos“ (Chesterfield-Sofas, dunkle Holzvertäfelung) changiert, kann man Darts, Pickleball, Beerpong, Shuffleboard und Kicker spielen.
Viele der Restaurants haben Außensitzplätze, und auf Deck acht zieht sich ein Ocean Boulevard einmal ganz ums Schiff herum. Es wird an Bord so viel geboten, dass es fast egal ist, wo das Schiff entlangschippert – Urlauber brauchen es, wenn sie Unterhaltung suchen, eigentlich gar nicht mehr zu verlassen.
Während der Kreuzfahrt im Homeoffice
Jüngere Kreuzfahrer sollen mit der Möglichkeit an Bord gelockt werden, remote zu arbeiten, also ohne festes Büro von unterwegs aus. Alex, ein Single Mitte 40 aus Manhattan, ist so einer. Er hat sein Homeoffice für die Dauer der Kreuzfahrt auf die „Prima“ verlegt. Dafür hat er sich ein Wi-Fi-Paket hinzugebucht (ab 25 Dollar pro Tag) und hofft nun, dass die Zoom-Telefonkonferenzen funktionieren. Und das klappt? „Zumindest zeitweise.“
Internetverbindungen laufen auf hoher See über Satellit, was teuer und eher unzuverlässig ist. Daher sieht man auf Kreuzfahrtschiffen mehr Menschen mit Büchern als mit Laptops vor der Nase. Noch. Denn im Juni genehmigte die zuständige US-Behörde, dass Starlink, der Internetzugang per Satellitennetzwerk des SpaceX-Unternehmers Elon Musk, auch von Fahrzeugen, Flugzeugen und eben Schiffen bezogen werden kann. Der Unterschied zum klassischen Satellitensystem ist, dass sich Starlink aus Tausenden kleinen Satelliten aufbaut statt aus wenigen großen. Das sorgt für ein zuverlässigeres und schnelleres Netz.
Das weltweit größte Kreuzfahrtunternehmen Royal Caribbean Group ist gerade dabei, seine gesamte Flotte mit dem System auszustatten. Auch Norwegian Cruise Line soll Starlink aktuell testen, jedenfalls deutete CEO Harry Sommer das im November auf einer Branchenkonferenz an. Das Kreuzfahrtunternehmen wollte dies auf Nachfrage offiziell noch nicht bestätigen. Doch klar ist: Wenn das Internet an Bord zuverlässiger und günstiger wird, wäre ein Schiff wie die „Norwegian Prima“ ideal geeignet für eine neue, jüngere und netzaffine Zielgruppe.
Erst surfen, dann sausen: Für Alex ist das genau die richtige Mischung, auch wenn der Zwei-Meter-Hüne sich die Gokarts verkneifen musste. Er bringt zwei Kilo zu viel auf die Waage, mehr als 120 sind für die 50 Stundenkilometer schnellen Wägelchen auf der 420-Meter-Strecke, die sich mit engen 14 Kurven über drei Etagen schraubt, nicht erlaubt.
Den Frust darüber spült Alex im Whirlpool ab. Abgesehen vom Erlebnis an der Rennstrecke, habe er allerdings überraschend wenig Probleme mit seinen Körpermaßen. Die Kabine sei ungewohnt großzügig und selbst das Bett lang genug. Am meisten ist Alex vom Spa beeindruckt, in dem es – noch eine Premiere auf hoher See – eine Sauna mit Holzkohleofen gibt.
Die Passagiere verteilen sich über das Kreuzfahrtschiff
3000 Passagiere und 1500 Crewmitglieder passen auf die „Norwegian Prima“. Die offene, aber verschachtelte Architektur des Schiffes vermeidet geschickt allzu große Menschenansammlungen. Statt dem einen großen gibt es, über das Schiff verteilt, mehrere kleinere Pools. Das zentrale Atrium erstreckt sich über drei Ebenen, auf denen sich Bars, Cafés, Lounge-Ecken und Gäste-Servicecenter befinden.
Selbst das Theater, das sich nachts in eine Disco verwandelt, ist mit 700 Plätzen für ein Kreuzfahrtschiff dieser Kategorie eher klein. Die Restaurant-Optionen sind zahlreich, die Speisesäle glamourös – viel Gold und exzentrische Kronleuchter. Im französischen Restaurant „Le Bistro“ reichen sie sogar fast bis zum Boden.
John und seine Frau sind bereit für eine Mittagspause. Die beiden sind passionierte Kreuzfahrer, sie mögen die neuen Attraktionen, die die „Prima“ bietet. Das Paar macht es sich auf dem dicken schwarz-weiß gestreiften Polster der Sonnenliegen gemütlich und bestellt Frozen Margaritas.
Ihr Menü stellen sie sich über einen im Tisch eingebauten Touchscreen zusammen, es wird von einem der elf Food-Stände in der luftigen Markthalle gebracht. John bestellt Guacamole mit Nacho-Chips und indisches Chicken Korma, seine Frau Thainudeln und einen Caesar Salad. Am Nebentisch verspeist ein Siebenjähriger einen gigantischen Eisbecher, während seine Oma Schinken von einem appetitlich hergerichteten Tapas-Teller pflückt.
Abhängen in der Lounge der „Norwegian Prima“
Zum Verdauungsspaziergang bietet sich besagter Ocean Boulevard an. Hier auf Deck acht flaniert man vorbei an flachen Wasserbecken, ausladenden Sonnenbetten, eleganten Beach-Bars und zwei Pools, mit etwas Glück kann man vom Beckenrand draußen im Meer Wale oder Delfine beobachten.
Ohne übrigens vom Motorengeräusch der Kartbahn gestört zu werden. Zwar sind die Wagen mit geräuschlosem Elektromotor ausgestattet, für das authentische Formel-1-Feeling wird aber ein Motorheulen von der Tonspur abgespielt. Zur Freude der Fahrer, zum Leidwesen der Sonnenbadenden des Vibe Beach Club, der sich auf Deck 17 direkt unter dem Speedway befindet.
Für alle, die den Trubel ausblenden wollen, ist die Observation Lounge auf Deck 17 der richtige Ort. Die hohe, leicht geneigte Fensterfront, die sich auf diesem Deck um den gesamten Schiffsbug zieht, bietet einen unverstellten Wasserblick. Wer hier ausgestreckt auf einer der Chaiselongues liegt, könnte meinen, auf den Wellen zu schwimmen, was vielleicht erklärt, warum man in der Lounge zu fast jeder Tageszeit jemanden antrifft, der sich ein kleines Nickerchen gönnt.
Für ein Schläfchen hat John nach dem Essen allerdings keine Zeit. Er will alles ausprobieren, was das Schiff zu bieten hat. „The Drop“ bleibt am Ende aber sein Favorit, sagt er, nicht zuletzt, weil die Megarutsche kostenlos ist. Auf die Frage, ob es nicht albern sei, als Erwachsener durch ein Plastikrohr zu rauschen, reagiert John mit fassungslosem Kopfschütteln. So eine Frage könne nur jemand stellen, der sich selbst nicht traue, findet er. Und stellt sich gleich wieder oben an.
Tipps und Informationen:
Die „Norwegian Prima“ ist ab Juni in Nordeuropa unterwegs, im Oktober im Mittelmeer, bevor sie dann für Karibik-Winterkreuzfahrten im November von Barcelona aus nach New York übersetzt. Die baugleiche „Norwegian Viva“ (ebenfalls mit dreigeschossiger Kartbahn an Bord) wird im Sommer 2023 getauft und schippert dann im östlichen Mittelmeer. In den kommenden fünf Jahren sollen noch vier Schiffe der neuen Prima-Kategorie folgen (ncl.com/de/de/).
Auch andere Kreuzfahrt-Anbieter haben schwimmende Spielplätze. Carnival Cruises ist bekannt für seine Wasserrutschen und bietet mit „Bolt“ die erste Achterbahn an Bord eines Schiffes (carnivalcruiseline.de). MSC hat eine Bowlingbahn an Bord (msccruises.de) und Royal Carribean zum Beispiel Eislaufbahn und Karussell (royalcaribbean.com/deu/de).
Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Norwegian Cruise Line. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter axelspringer.com/de/werte/downloads.