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Nordsee

Auf Borkum übernehmen die jungen Wilden

Autorenprofilbild von Jörn Lauterbach
Von Jörn LauterbachRedaktionsleiter Hamburg und NRW
Veröffentlicht am 13.04.2023Lesedauer: 7 Minuten
Der neue Leuchtturm ist das Wahrzeichen Borkums, davor lockt die frisch sanierte Kurpromenade und natürlich der Strand
Der neue Leuchtturm ist das Wahrzeichen Borkums, davor lockt die frisch sanierte Kurpromenade und natürlich der StrandQuelle: picture alliance/ CHROMORANGE

Die Nordsee-Inseln starten in die Saison – und auf Borkum übernimmt eine neue Generation an Hoteliers und Händlern. Der Nachwuchs hadert zwar mit manchen Haltungen der Alteingesessenen, profitiert aber auch von sehr speziellen Bedingungen.

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Eigentlich ist Sören Hüppe keiner von ihnen, keiner der geborenen Borkumer, deren Familiengeschichte sich nicht selten über die vergangenen Jahrhunderte verteilt. Doch wenn der 34-Jährige durch die wenigen Straßen der Inselhauptstadt geht, ist seine Grüßhand beinahe fortwährend in der Luft, kennt er hier doch so ziemlich jede und jeden. Seit seiner Ankunft saniert und führt er hier Hotels und Ferienwohnungen, er steht für den Wandel einer in die Jahre gekommenen Tourismus-Infrastruktur; sein Arthotel „Bakker“ zum Beispiel hat nichts mehr mit dem Typus Pension „Zur gelben Gardine“ zu tun, wie er in den verwinkelten Straßen durchaus auch heute noch anzutreffen ist. Aber nicht nur bei ihm ist die Neuzeit angekommen – insgesamt ändert sich das Leben und das Angebot auf der größten der ostfriesischen Inseln gerade sehr. Und das liegt auch daran, dass insbesondere die jüngere Generation der Borkumer dabei ist, das Ruder zu übernehmen.

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„Alle Inseln unterscheiden sich vom Festland, aber Borkum ist noch einmal speziell“, hat Sören Hüppe festgestellt, der schon als Kind hier im Hochseeklima Urlaub gemacht hat und nun gemeinsam mit seiner Schwester Neele das Unternehmen führt. Speziell ist zunächst die Lage, denn anders als für die meisten der anderen Inseln der ostfriesischen Inselkette, zu der auch noch Wangerooge, Spiekeroog, Langeoog, Baltrum, Norderney und Juist gehören, ist es für Arbeitskräfte kaum möglich, zur Arbeit per Fähre zu pendeln. Dafür ist die Fahrzeit von Emden mit über zwei Stunden zu weit, und auch die Alternativverbindung zum niederländischen Eemshaven bietet sich aufgrund der Lage des Fährhafens nicht an. Wer auf Borkum etwas verdienen oder sogar unternehmerisch bewegen will, muss sich hier niederlassen.

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Sören Hüppe vor seinem Arth otel „Bakker“ – er will weiter expandieren
Sören Hüppe vor seinem Arth otel „Bakker“ – er will weiter expandierenQuelle: Matthias Emminger

Aber noch spezieller ist die Inselpolitik mit Blick auf Investoren von außen, die etwa auf Norderney in den vergangenen Jahren Hunderte Millionen Euro in Hotelanlagen und Gastronomie investierten. Diesen Weg wollten die Borkumer aus Sorge vor einer Fremdbestimmung nicht mehr gehen. Die Folgen einer falschen Ansiedlungspolitik hat man schließlich selbst noch jeden Tag vor Augen, nicht wenige Blocks der 1960er- und 1970er-Jahre mit Zweit- und Ferienwohnungen stehen weiterhin und ziemlich heruntergekommen in bester Lage. Um solche Entwicklungen wenigstens für die Zukunft auszuschließen, veränderte die Gemeinde die Richtlinien des Baurechts. Neue Ferienwohnungen dürfen – wie jetzt auch in der Gemeinde Sylt – hier nicht mehr entstehen, dafür soll der Bestand saniert werden. Handels- oder Gastronomieketten von außen wird ein Riegel vorgeschoben, indem die maximal bespielbare Fläche 300 Quadratmeter beträgt, was sich dann für die meisten Filialisten nicht mehr lohnt. Zwar gibt es auch auf Borkum einen Lidl-Markt, aber auch für diesen wurde ein Erweiterungsantrag abgelehnt.

Viele sonst typische Anbieter sind nicht da

Gastro-Ketten wie Gosch oder Nordsee und andere gängige Anbieter im Textilbereich sucht man hingegen vergebens, geprägt ist die Inselhauptstadt von lokalen Betreibern in allen Segmenten. Über jede angefragte größere Investition wird in den zuständigen politischen Gremien Borkums bisweilen leidenschaftlich debattiert. So wurde auch das Ersuchen eines Einheimischen abgelehnt, der ein Vier-Sterne-Plus-Hotel in bester Strandlage mit mehreren Hundert Zimmern errichten wollte; zum einen waren wohl die Erfahrungen mit dem Investor bei vorherigen Projekten nicht die besten gewesen, aber eine knappe Mehrheit befand zudem, dass ein Angebot in dieser Größenordnung schlecht nach Borkum passt.

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Deswegen bleibt aber noch lange nicht alles beim Altem hier draußen in der Nordsee. Investiert wird durch mehrere Förderprogramme der EU und des Landes Niedersachsen durchaus. So ist zuletzt die wohl schönste Inselpromenade Deutschlands entstanden, ausgestattet mit der klassischen Kurhaus-Pavillonbebauung, aber auch mit Bars der Neuzeit, von denen aus der Sonnenuntergang über dem freien Meer genossen werden kann. Wichtiger aber noch als Baumaßnahmen ist für die Zukunft der Insel wohl das Engagement der jungen Borkumer selbst, die aufgrund der fehlenden Konkurrenz von außen die Chance haben, eigene Vorhaben umzusetzen. „Viele kommen deswegen nach einer Zeit auf dem Festland, nach ihrer Ausbildung oder dem Studium, wieder hierher zurück – und das ist der Idealfall für die Insel, weil so auch die Ideen aus den Städten auf die abgelegene Insel gelangen“, sagt Sören Hüppe.

Der Inselnachwuchs hält zusammen

Diese jungen Wilden Borkums haben sich längst untereinander vernetzt, was auch im Kampf gegen die weiterhin präsenten Altvorderen der Inselgemeinschaft – die den Veränderungswillen nicht immer in gleicher Weise teilen, häufig aber Eigentümer der Immobilien sind –, hilft. Die junge Generation kennt und unterstützt sich, sei es bei konzeptionellen oder handwerklichen Arbeiten. Das berichtet auch Nina Sleeboom, die als Tochter eines Handwerkers auf Borkum aufwuchs. Ihr Weg verschlug sie nach Hamburg, sie lernte dort das Gastronomie-Geschäft, aber auch, wie ihre Altersgenossen etwa im bunten Schanzenviertel ticken, welche Trends sich verstärken. Im vergangenen Jahr hat sie das „Café Sleeboom“ in der Haupteinkaufsstraße Borkums eröffnet und es im Designkonzept und bei der Warenauswahl so gestaltet, dass es auch in Berlin-Mitte oder München-Schwabing Erfolg haben dürfte. „Ich setze ausschließlich auf Eigenproduktionen und hochwertige Inhaltsstoffe“, sagt die Inhaberin.

Nina Sleeboom bringt die vegane Backkunst auf die Nordseeinsel
Nina Sleeboom bringt die vegane Backkunst auf die NordseeinselQuelle: Jörn Lauterbach

Durch sie kommt auch die vegane Backkunst auf die Insel, in einem kleinen Shop werden Mitbringsel verkauft, „die die Leute auch wirklich gebrauchen können – nicht irgendein Schrott, der billig produziert wurde und den zu Hause niemand haben möchte“, sagt Sleeboom. Diesen Ansatz wünscht sie sich auch für den Umgang mit ihrer Insel Borkum: „Wir leben hier von der Natur und der Naturnähe und sollten deswegen alle gemeinsam darauf achtgeben, wie wir mit dieser Lage umgehen.“

Laura Krekler kehrte nach Borkum zurück und eröffnete eine Boutique
Laura Krekler kehrte nach Borkum zurück und eröffnete eine BoutiqueQuelle: privat

Schon seit ihrer Jugend kennt sie Laura Krekler, die sich wenige Fußminuten entfernt ihren Traum von einer eigenen Boutique erfüllt hat, das „Lous“. Zunächst nur in einem kleinen Eckhaus untergebracht, konnte sie mittlerweile durch den großen Zuspruch auch eine ehemalige Kneipe von gegenüber übernehmen und ebenfalls zu einer Boutique umbauen. Bei ihr gibt es Mode, die weit entfernt vom Windbreaker- und Fleecejacken-Chic ist, der in vielen anderen Läden Borkums angeboten wird. „Natürlich richte ich mich auch nach dem Publikum aus, das wir hier auf der Insel haben – aber es findet sich bei mir ganz viel, was ich auch selber gern trage.“ Dass es möglich ist, auch hochwertige Mode in einem entsprechenden Ambiente zu verkaufen, hat sie gerade bei einer Kollektion von durchaus hochpreisigen Cashmere-Schals erfahren; der Hersteller vermeldete jedenfalls, dass nirgendwo in Deutschland mehr verkauft wurden. „Wir stehen hier alle vor der Herausforderung, noch mehr jüngeres Publikum anzuziehen und müssen dafür einiges tun“, sagt sie.

Nach einem Jahr kam auch der Bürgermeister

Davon würde auch Servet Cigdem profitieren, dessen Großvater einst als Teppichhändler auf die Insel kam. Auch wenn der Enkel vor allem in Bremen aufwuchs und später als Lebensmitteltechniker in Hamburg Karriere machte, fühlt er sich als „Borkumer in dritter Generation“. Auf seinem iPad zeigt er, wie er in den vergangenen Jahren aus einem ziemlich heruntergewirtschafteten griechischen Lokal das „Bistro Buddelhus“ machte; die neue Zapfanlage bekam er von Laura Krekler, als diese wiederum die Kneipe zur Boutique umgestaltete. Man hält eben zusammen. Cigdem, der ein wenig wie Tim Mälzer spricht und auf jeden Fall dessen Elan hat, setzt auf wenige, aber hochwertige Produkte, die in der offenen Küche – eine Seltenheit für Borkum – zubereitet werden. Es kann kombiniert und neu zusammengestellt werden, ein Schwerpunkt liegt auf Schnitzelgerichten.

Servet Cigdem setzt im „Bistro Buddelhus“ auf Schnitzelgerichte
Servet Cigdem setzt im „Bistro Buddelhus“ auf SchnitzelgerichteQuelle: Jörn Lauterbach

Der Laden brummt, und nur ein Jahr nach der Eröffnung kam, wie der Gastronom schmunzelnd erzählt, sogar mal der Bürgermeister zum Essen vorbei. Er würde sich wünschen, dass sich der „Gap“ zwischen den alten Insulanern und seiner Generation noch weiter schließt, um gemeinsam das neue Inselleben zu entwickeln: „Borkum ist eben doch die andere Insel, und das wollen die Leute hier auch“, sagt er.

Sören Hüppe hat nur noch wenig Zeit, um seine Bauvorhaben in seinem ArtHotel und vor allem in den Ferienhäusern umzusetzen, denn in der Hauptsaison soll Ruhe in der Inselhauptstadt sein, damit die Gäste ihren Aufenthalt genießen können. Für den Hotelier kommt dann die Zeit, gute Einnahmen zu erzielen, um neue Pläne zu machen, zum Beispiel für einen Pool. Und am Abend trifft er dann alle, die genauso viel für Borkum übrig haben, zum Sundowner am Südstrand. „Man muss ja auch mal selbst erleben, wofür man das alles tut“, sagt er.