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DIE WELT

Eine Ansammlung antijüdischer Klischees

Leitender Redakteur Geschichte
Die Bundeszentrale für politische Bildung zog den April-Band ihres "Deutschland-Archivs" zurück

Was hat Antisemitismus zu tun mit Paragraph 218 des Strafgesetzbuches, was deutscher Nationalstolz mit der Verteidigungsbereitschaft der Bundesrepublik im Kalten Krieg? Richtig: gar nichts. Dennoch bringt Konrad Löw, emeritierter Politologe der Universität Bayreuth, diese Reizthemen und weitere vermeintlich "unbequeme Wahrheiten" in einem Aufsatz in der April-Nummer der Zeitschrift "Deutschland-Archiv" in Verbindung. Daraufhin hat die Bundeszentrale für politische Bildung das Heft kurz vor Ostern zurückgezogen und sich "aufs Schärfste" von Löws Text distanziert.

Ein Skandal? Ein Anschlag auf die Meinungsfreiheit? Schon hebt Geraune an, bestimmte "Tatsachen" dürfe "man" eben hier zu Lande nicht publizieren, weil "man" sofort vom ("man" sagt es nicht, meint es aber: "jüdischen") "Meinungskartell" in die "rechtsextreme Ecke" gestellt werde.

Doch bevor lamentiert wird, sollte "man" den strittigen Text lesen. Denn was Konrad Löw unter dem Titel "Deutsche Identität in Verfassung und Geschichte" auf zehn Seiten darbietet, ist ziemlich kruder Unsinn. So krude, dass er aus Gründen des Selbstschutzes hätte hoffen müssen, die Redaktion des "Deutschland-Archivs" werde den Abdruck ablehnen. Leider hat sie es nicht getan.

Kostprobe: ",Eigenverantwortung" und ,Selbstbestimmung' leisten der Selbstsucht Vorschub, die in unseren Tagen immer mehr in diverse Süchte entartet, Magersucht, Fresssucht, Spielsucht, Trunksucht, Drogensucht usw. Auch diese Feststellung ist Teil der deutschen Identität." Wie bitte?

Weiter beklagt Professor Löw, dass das "Sittengesetz" (Artikel 2 Grundgesetz) für das Bundesverfassungsgericht "geradezu inexistent" geworden sei. Ein Blick in einen Standardkommentar erweist jedoch, dass beim "heutigen Grad der Durchnormiertheit aller Lebensbereiche" das "Sittengesetz" in "der verfassungsmäßigen Ordnung aufgeht" und daher "ohne praktische Bedeutung" ist.

Da verwundert kaum noch, dass für Löw die Weimarer Reichsverfassung "den Reichstag zum obersten staatlichen Machtorgan" erhoben hat. War da nicht etwas mit "Legislative" und "Exekutive"? Merke: Kenntnisse in Staatsrecht scheinen in Bayreuth unnötig, um Politikwissenschaft zu lehren.

All das ist peinlich, wäre aber kein Grund, eine Ausgabe des "Deutschland-Archivs" einzustampfen. Verstehen kann man die Entscheidung der Bundeszentrale allerdings, wenn man Löws Ausführungen zum "Holocaust als Teil der deutschen Identität" liest. Da spricht der 73-Jährige von einer "deutsch-jüdischen Symbiose unter dem Hakenkreuz" - und meint jene wenigen tausend "Arier", die ihr Leben riskierten, um Juden zu verstecken. Aus einer Bemerkung in Victor Klemperers Tagebüchern schließt er, auf "einen deutschen Judenhasser" seien "fünfzig Deutsche gekommen, die Mitleid mit den verfolgten Juden empfanden".

Und selbstverständlich präsentiert Löw die beliebten Klischees: "jüdische" Zeitungen in der Weimarer Zeit, "jüdische" Anführer der Münchner Räterepublik, die "jüdische Kriegserklärung" an Deutschland 1933, den "jüdischen" Beitrag zum Holocaust durch Judenräte und Ghettopolizisten. Wozu das alles? Natürlich: Um den Vorwurf der Kollektivschuld zu entkräften, den auch Salomon Korn erhebe (Löw nennt ihn "Samuel Korn"). Welch Unfug!

Eine Zeitschrift wird zurückgezogen. Ein Skandal? Nein, wirklich nicht. Bei Löws Aufsatz handelt sich um die intellektuelle Selbstentleibung eines einst angesehenen Marxismus-Kritikers. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat lediglich die Notbremse gezogen; zu spät gewiss, aber immerhin. Konrad Löw ist so wenig ein Märtyrer der Meinungsfreiheit wie Martin Hohmann. Sein Aufsatz ist aber auch kein Beweis für wachsenden Antisemitismus in Deutschland. Er sollte dem Vergessen anheim fallen.

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