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DIE WELT

Das Ende der "Tante Voss"

Leitender Redakteur Geschichte
Aus dem Gedächtnis

Der Abschied war endgültig: "Die Geschichte einer Zeitung, die beinahe ein Vierteljahrtausend umfasst, findet mit dem heutigen Tag einen Abschluss."

So musste Erich Welter, der erst 33-jährige Chefredakteur der "Vossischen Zeitung", am 31. März 1934 seinen letzten Leitartikel beginnen. 230 Jahre lang hatte das Blatt durchgehalten, war längst zur traditionsreichsten Berliner Zeitung geworden, als der politisch-ökonomische Druck der Nazis den Ullstein-Verlag zur Aufgabe zwang.

Auch nach dem furchtbaren Ende des "Tausendjährigen Reiches" 1945 wurde die Tradition nicht wieder aufgenommen. Rudolf Ullstein, der letzte aus dem Kreis der fünf Brüder, die Ullstein zum innovativsten Verlag Europas gemacht hatten, begründete das zum 250. Geburtstag der verschiedenen "Tante Voss" 1954: "Ich glaube nicht, dass wir heute eine ähnliche Zeitung wie die ,Vossische Zeitung' herausbringen können. Das Publikum hat keine Zeit dazu, Zeitungen von ihrem Umfang zu lesen."

Wahrscheinlich hatte Rudolf Ullstein Recht, denn die "Vossische Zeitung" war schon in den letzten drei Jahrzehnten ihrer Existenz durchaus gefährdet. Nur deshalb konnte der Ullstein-Verlag zu Jahresbeginn 1914 das gutbürgerliche, niveauvolle Blatt überhaupt übernehmen. 29 400 Abonnenten hatte es damals, so verzeichnet es die lange verschollene und kürzlich wieder aufgetauchte handschriftliche Chronik des Ullstein-Verlages.

Ökonomisch war die "Tante Voss" für Ullstein nie ein gutes Geschäft. Publizistisch dagegen erfüllte die Übernahme die Erwartungen: Die "Vossische" bildete als bürgerlich-liberale Zeitung mit der wirtschaftsliberalen "Frankfurter Zeitung" und dem linksliberalen "Berliner Tageblatt" das Trio der deutschen Zeitungen, die in der Welt wahrgenommen wurden.

Alle drei Blätter bekannten sich zur Weimarer Republik, alle drei vertraten einen Kurs der Aussöhnung mit den ehemaligen Kriegsgegnern. Damit gehörten sie alle drei zu den natürlichen Gegnern der Nationalsozialisten. Und wie die meisten Menschen in Deutschland, unterschätzen alle drei Blätter Anfang Januar 1933 die Gefahr, die von Hitler ausging.

Obwohl die drei Zeitungen den braunen Machthabern gleichermaßen verhasst waren, verlief ihr Untergang sehr unterschiedlich. Das "Tageblatt", bereits seit Anfang 1933 wegen Insolvenz des Mosse-Verlages angeschlagen, erschien bis Ende 1938, die "FZ" sogar bis 1943. Als erste aufgeben musste die "Vossische". Denn sie gehörte als einzige noch 1934 einem jüdischen Verlagshaus. Das reizte den Rassenhass der Nazis.

Weil zusätzlich das antisemitische "Schriftleitergesetz" von Oktober 1933 die ökonomische von der publizistischen Verantwortung trennte, sahen die Ullsteins keinen Grund mehr, das inzwischen hochdefizitäre Blatt, dessen Inhalt sie nicht mehr in liberalem Sinne beeinflussen konnten, auch noch zu unterstützen. So kam es zur Einstellung des Blattes; die (nicht-jüdischen) Mitarbeiter konnten zu anderen Ullstein-Titeln wechseln oder verließen wie Chefredakteur Welter den Verlag - er kehrte zur "Frankfurter Zeitung" zurück.

Der Ullstein-Verlag überlebte das Ende seines Renommierblattes nur kurz. Am 10. Juni 1934 wurden die Gebrüder Ullstein zum Verkauf weit unter Wert gezwungen, 1937 verschwand auch der traditionsreiche Name.

Der "Vossischen Zeitung" blieb durch die Einstellung vor siebzig Jahren jedenfalls das Schicksal erspart, wie etwa die "Berliner Morgenpost" zum Organ der immer dreisteren Goebbels-Propaganda zu werden.

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