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WELT am SONNTAG

Visionär des Schreckens

Ein Vampirfilm über die Dreharbeiten zu einem Vampirfilm und die Besessenheit seines Schöpfers - "Shadow of the Vampire"

Er trägt einen weißen Kittel, ist mit der Morphium-Spritze rasch zur Stelle und lässt sich gern Herr Doktor nennen. Dabei ist Friedrich Wilhelm Murnau gar kein Arzt, sondern Filmregisseur. Im Jahr 1921 ist er Anfang dreißig und dreht den ersten Vampirfilm aller Zeiten: "Nosferatu. Eine Symphonie des Grauens" wird er später heißen.

Die Dreharbeiten zu "Nosferatu" sind das Thema von "Shadow of the Vampire", dem zweiten Spielfilm des Amerikaners E. Elias Merhige, der jetzt in die Kinos kommt. Eine erfundene Geschichte mit realen Personen und gleichzeitig ein Vampirfilm, der die Besessenheit eines Visionärs und die Dekadenz der Inflationszeit nach dem Ersten Weltkrieg reflektiert. Es geht um einen Pakt mit dem Leibhaftigen, um das Kino und den Tod, um Sucht und Sex.

"Warum willst du Theater spielen, wenn du Film machen kannst?", fragt der Regisseur seine Hauptdarstellerin Greta, die sich darüber beschwert, dass sie ihre Bühnenprobe abbrechen musste. Und sie antwortet: "Die Zuschauer geben mir Leben, die Kamera nimmt es mir." Im Prinzip soll sie Recht behalten, nur wird es ihr Schauspielerkollege Max Schreck sein, der ihr das Leben nimmt - vor laufender Kamera.

In Murnaus "Nosferatu" spielte der bis dahin kaum bekannte Max Schreck den Grafen Orlock - aus rechtlichen Gründen durfte er nicht Dracula wie sein von Bram Stoker geschaffenes literarisches Vorbild heißen. In "Shadow of the Vampire" ist nun Max Schreck (Willem Dafoe) gar kein Schauspieler, sondern tatsächlich ein Blut saugender Untoter, der seit Jahrhunderten durch die Karpaten geistert. Murnau hat mit ihm einen Pakt geschlossen: Wenn er beim Filmprojekt mitmacht und die Crew in Ruhe lässt, bekommt er am Ende Greta buchstäblich zum Fraß vorgeworfen. Aber auch Murnau kann die Mächte der Finsternis nicht in Schach halten, denn der Graf ist unersättlich. Er dreht dennoch weiter, ohne Rücksicht auf Verluste. "Ich denke, der Film ist im Kasten", konstatiert er zum Schluss; zwar starb der Graf den klassischen Vampirtod im ersten Morgenlicht, aber auch die Filmcrew ist ziemlich dezimiert ...

Aller Blutrünstigkeit zum Trotz ist "Shadow of the Vampire" eine kluge Parabel über einen Schöpfer und seine Kreaturen. Und da von den 21 Filmen, die Friedrich Wilhelm Murnau von 1919 bis 1931 drehte, nur die Hälfte erhalten und auch über Murnaus Leben vergleichsweise wenig bekannt ist, eignet er sich für Spekulationen. Man weiß nur, wie er aussah: ähnlich wie John Malkovich in "Shadow of the Vampire". So könnte er gewesen sein, denkt man, wenn man diesem Murnau bei den Dreharbeiten zusieht: Seinen Anweisungen folgen die Darsteller wie Marionetten - seine Geschöpfe, die er notfalls mit Drogen und Drohungen unter Druck setzt.

Und der wirkliche Murnau hat schließlich, seiner Zeit voraus, die Welt neu erschaffen: Kaum eine Szene von "Nosferatu" ist im Studio gedreht, aber er ließ die Wälder, Gassen und Gebäude, ja sogar das Segelschiff aussehen wie gemalte, expressionistisch verzerrte Kulissen. Drei Jahre später drehte er mit "Der letzte Mann" den ultimativen Großstadtfilm - ausschließlich im Studio.

Der Visionär der Filmkunst? Ein blinder Seher? In "Shadow of the Vampire" jedenfalls trägt er die meiste Zeit eine Brille mit schwarzen Gläsern.

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