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Die Nord-Metropolen kommen endlich in Fahrt

Mit der schnellen ICE-Verbindung sollen nun Deutschlands größte Städte zusammenwachsen

Da legt sich Hanns Peter Nerger in dieser Woche in den USA ins Zeug und rührt vor Reisejournalisten nach Kräften die Werbetrommel für den Touristik-Magneten Berlin und die bald komfortable ICE-Schnellbahnverbindung zur Nachbar-Metropole Hamburg. Und dann muß der Geschäftsführer der Berlin Tourismus Marketing GmbH (BTM) das erleben. "Als ich am Donnerstag zurückkam, dachte ich, ich werde noch grauer, als ich ohnehin schon bin."

Der Grund des Entsetzens: Die Deutsche Bahn AG hatte in ihrem Berliner Fahrplanheft die neuen, 230 Stundenkilometer schnellen ICE-Züge, ihr derzeit wohl wichtigstes Produkt, schlichtweg vergessen. Sie sollen vom 12. Oktober an die Fahrzeit auf der 287 Kilometer langen Strecke zwischen Elbe und Spree um 36 auf 90 Minuten verkürzen.

Doch an die Panne dürfte spätestens am kommenden Sonntag kaum noch einer denken, wenn sich am Morgen im Hamburger Hauptbahnhof ein Sonder-ICE voller Polit-Prominenz nach Berlin in Bewegung setzt. Verkehrsminister Manfred Stolpe, Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust, dessen Berliner Kollege Klaus Wowereit und womöglich auch der geladene Bundeskanzler werden die Sektkorken knallen lassen und auf den Segen der zeitsparenden Verbindung für Wirtschaft und Tourismus anstoßen.

Der Jubel kommt jedoch von der falschen Seite. Waren es doch die Politiker, die mit ihren hochfliegenden Plänen für eine Transrapidstrecke zwischen der Elb-Metropole und der Hauptstadt den längst überfälligen Ausbau der ICE-Verbindung jahrelang blockierten. Bis heute fahren die maximal 160 Stundenkilometer schnellen Züge mehr als zwei Stunden. Das ist langsamer als der legendäre "Fliegende Hamburger" (siehe Kasten) von 1932. Erst vor vier Jahren, als die Idee einer Magnetbahn geplatzt war, gab es grünes Licht - und weitere 650 Millionen Euro aus der Bundeskasse.

Seither ergingen sich, beklagen Tourismus-Manager wie Nerger, die Politiker beider Städte eher in Desinteresse und verlegten sich lieber aufs Streiten um die Ansiedlungspolitik, anstatt das Potential der künftigen Bahnverbindung auszuloten. Vor allem Hamburg zeigte sich regelmäßig verschnupft, wenn Berlin mit unschöner Regelmäßigkeit Firmen wie den Musikkonzern Universal oder Verbände wie den der Phonoindustrie mit Mitteln aus dem Länderfinanzausgleich anlocken konnte.

Ansätze zu einem systematischen Ausbau der Zusammenarbeit zwischen den beiden größten deutschen Städten gab es zwar - aber sie standen nur auf dem Papier. So etwa eine 2001 vereinbarte Kooperation der Kommunen, nach der Hamburg und Berlin gerade vor dem Hintergrund der künftigen ICE-Strecke voneinander profitieren wollen, "indem sie den Austausch von Waren und Dienstleistungen untereinander fördern, als nordostdeutsche Metropolen-Region in der Standortkonkurrenz auf nationaler und internationaler Ebene gemeinsam auftreten sowie gemeinsam neue Märkte erschließen". Doch daraus wurde ebenso wenig etwas wie aus einem hierfür geplanten Koordinierungskreis.

So ist es geblieben. In der Hamburger Behörde für Wirtschaft und Arbeit unter Senator Gunnar Uldall etwa hat man bisher noch nicht einmal nachgerechnet, was die von der Bahn prognostizierte Steigerung des Passagieraufkommens auf der Strecke um 15 Prozent - heute sind es im Schnitt 6700 Reisende pro Tag - eigentlich für die Stadt bedeuten könnte.

Dafür haben sich die Tourismusorganisationen BTM und ihr hanseatisches Pendant Hamburg Tourismus GmbH (HHT) unter ihrem Chef Dietrich von Albedyll um so mehr ins Zeug gelegt. Bereits 1998 schlossen die Gesellschaften eine Vereinbarung, die auch zu einer konkreten Zusammenarbeit führte. So treten beide Organisationen schon seit längerem gemeinsam im Ausland auf, etwa in den USA oder in China, um auf den internationalen Märkten Angebote zu lancieren und den Reiseveranstaltern Kombinationsmöglichkeiten und Paketangebote zu unterbreiten.

Zwar klappte das auch nicht immer reibungslos, weil die Hamburger unter anderem aufgrund ihres geringeren Merchandising-Angebots häufig knapper bei Kasse waren als ihre Berliner Kollegen. Aber dennoch sollen mit dem Start des schnellen ICE jetzt neue Vermarktungsansätze verstärkt gemeinsam genutzt werden. Nerger: "Wir sind das Schwungrad dieser Entwicklung. Wir können nicht warten, bis sich die Politiker wieder verlobt haben."

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Die wichtigsten Vorhaben sind bereits in Arbeit - so etwa Werbung und Absatzförderung unter Einbeziehung der Bahn, Angebote von Kombinationspaketen (Übernachtung und Zusatzleistung) oder die Vernetzung beider Reservierungssysteme. Mittelfristig, so sagte Nerger der "Welt am Sonntag", sei sogar eine gesellschaftsrechtliche Verbindung von BTM und HHT angestrebt.

Anderes steht noch auf der Wunschliste - etwa die gegenseitige Anerkennung der Fahrscheine durch die beiden kommunalen Verkehrsbetriebe HVV und BVG oder die gegenseitige Akzeptanz der touristischen Sonderkarten wie der Berlin-Welcome-Card und ihres Hamburger Gegenstücks. Vieles aber könnte schon heute auch ohne die Organisationen in bilateralen Abkommen laufen, meint Nerger.

Dabei denkt er zum Beispiel an Museen, Theater oder Opern, die ihre Besucher auf die Angebote ihrer Kollegen in der jeweils anderen Stadt hinweisen. Ganz ohne Flankenschutz bleiben die Tourismus-Manager allerdings nicht. Immerhin will der Hamburger CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Klimke jetzt einen Arbeitskreis ohne Rechtsverbindlichkeit gründen, in den Vertreter aller Fraktionen eingeladen werden sollen. Klimke: "Es kann nicht sein, daß sich die beiden größten Städte im strukturschwachen Norden Konkurrenz machen. Das muß sich ändern." Wie viele andere hat auch Klimke die entscheidende Schwachstelle der neuen Verbindung ausgemacht: Der letzte der flotten Züge verläßt Berlin bereits um 21.45 Uhr, Hamburg sogar schon um 20.38 Uhr. Nur ein Intercity, der 116 Minuten benötigt, startet noch anschließend von Hamburg nach Berlin. Klimke: "Eben mal schnell nach Hamburg zum Abendessen oder in die Oper und am gleichen Tag wieder zurück - das kann man vorerst vergessen."

Die Bahn, so hat ihr Chef Hartmut Mehdorn immerhin versichert, werde das Aufkommen in den Randzeiten genau beobachten.

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