Es geht um Spionage und Sabotage, Extremismus und Unterwanderung: Der Militärische Abschirmdienst, kurz MAD, soll die Bundeswehr vor Verfassungsfeinden in den eigenen Reihen und Infiltrierung von außen schützen. Angesichts der gestiegenen Bedeutung der Truppe will das Verteidigungsministerium die Arbeit des Nachrichtendienstes auf eine neue gesetzliche Grundlage stellen. Der MAD erhält zusätzliche Befugnisse, soll aber auch besser kontrolliert werden.
Der Referentenentwurf für das Gesetz liegt exklusiv WELT AM SONNTAG vor. Bei Auslandseinsätzen soll der MAD – anders als bisher – demnach auch außerhalb von Bundeswehr-Stützpunkten nachrichtendienstliche Maßnahmen nutzen dürfen. Neben eigenen Soldaten soll er auch Ausländer überwachen können, etwa durch Observationen, das Abhören von Telekommunikation oder den Einsatz von V-Personen.
Das Verteidigungsministerium will den MAD so für die von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufene „Zeitenwende“ ertüchtigen. „Die Novellierung gewährt dem Militärischen Abschirmdienst die notwendigen Befugnisse, um die Bundeswehr auch bei Auslandseinsätzen gegen Spionage und Sabotage durch fremde Mächte, sowie gegen extremistische Unterwanderungsversuche aus den eigenen Reihen schützen zu können“, bestätigte eine Ministeriumssprecherin dieser Zeitung. „Wir setzen darauf, dass das Gesetz noch in diesem Jahr verabschiedet werden und in Kraft treten kann.“
Der Grund für die Eile: Bis Ende 2027 sollen fast 5000 Soldaten, erstmals in der Geschichte der Truppe, dauerhaft an der Ostflanke der NATO stationiert werden. Die „kriegstüchtige Brigade“, so formuliert Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) die Anforderungen an die Einheit in Litauen, wird fast unmittelbar an der russischen Grenze operieren – in Sichtweite eines Regimes, das Spionage und Sabotage unter der Präsidentschaft des einstigen KGB-Agenten Wladimir Putin zu einem üblichen Mittel der Politik erhoben hat.
Im derzeitigen Rechtsrahmen wäre der MAD für die Abwehr von russischen Infiltrationsversuchen nach Auffassung des Verteidigungsministeriums nicht ausreichend gewappnet. Tatsächlich darf der Geheimdienst sein Besteck bei Auslandseinsätzen im Regelfall derzeit nur innerhalb der Bundeswehr-Kasernen und nur gegen eigene Soldaten einsetzen. Ausländische Einflüsterer und Spione darf der MAD dagegen normalerweise nicht in den Fokus nehmen, ebenso wenig ausländische Saboteure.
Das neue Gesetz soll das ändern –und den Dienst ganz grundsätzlich stärken. Denn im Vergleich zum Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und dem für die Auslandsaufklärung zuständigen Bundesnachrichtendienst (BND) fristete er mit seinen rund 1500 Bediensteten bisher ein Nischendasein.
Das zeigte sich auch im MAD-Gesetz. Das erst 1990, also 34 Jahre nach der Gründung des Dienstes, erlassene Paragrafenwerk regelt dessen Befugnisse vor allem durch Verweise auf das Gesetz für den Verfassungsschutz. Juristen bescheinigen dem MAD-Gesetz, in Teilen „völlig unverständlich“ zu sein.
Reformbedarf sieht die Ampel-Koalition auch angesichts einer Pannenserie, bei der der MAD seiner Rolle als Frühwarnsystem kaum gerecht wurde. Zum Beispiel beim Fall Carsten L.: Der einstige Leiter der Bundeswehr-Abteilung für technische Aufklärung wurde im Dezember 2022 verhaftet, weil er den Russen Interna zugespielt haben soll. Die Bundeswehr erfuhr davon nicht durch den MAD – sondern durch einen Nachrichtendienst aus dem Ausland.
Wie anfällig die Truppe für extremistische Unterwanderung aus den eigenen Reihen ist, zeigte sich beim Auffliegen der Reichsbürger um Heinrich XIII. Prinz Reuß: Der Gruppe gehörten auch ehemalige und aktive Soldaten an. Im Februar wurde zudem bekannt, dass die Russen eine Online-Besprechung zum Marschflugkörper Taurus abhören konnten. Bundeswehr-Offiziere hatten eine ungesicherte Leitung genutzt.
In der Koalition heißt es, der Entwurf für das neue MAD-Gesetz könne bis Ende dieses Jahres verabschiedet werden. Der Zeitplan scheint ambitioniert. Denn die Reform ist kein „Stand-alone“-Projekt.
Die Ampel will vielmehr auch die Gesetze für das BfV und den BND anpassen. Das Verfassungsgericht hat angemahnt, die Gründe für den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel präziser zu definieren. Auf Initiative der Grünen soll zudem der zunächst für den BND etablierte „Unabhängige Kontrollrat“ auch für das BfV und dem MAD nachrichtendienstliche Einsätze vorab auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen. Die Gesetze für die drei Dienste müssen daher koordiniert werden. Das sei aufwendig, heißt es. Im Wesentlichen seien sich die Koalitionäre mit dem Kanzleramt, sowie Innen- und Verteidigungsministerium aber einig.
Der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz betont, wer die „Zeitenwende“ ernst nehme, müsse angesichts der angespannten Sicherheitslage ein „Update“ der Gesetze in den Blick nehmen. Das Verfassungsgericht habe Vorgaben gemacht. „Beispielsweise müssen alle nachrichtendienstlichen Mittel hinreichend bestimmt und klar ausformuliert sein und je nach Eingriffstiefe und Schwere einer unabhängigen Vorabkontrolle unterworfen werden“, sagte von Notz.
Auch der verteidigungspolitische Sprecher der FDP, Alexander Müller, mahnte klare Regelungen der Befugnisse an. „Dabei gehen wir von dem Grundsatz aus, dass wir starke Nachrichtendienste benötigen, die starker Kontrolle unterliegen“, sagte Müller.
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