Das sozialwissenschaftliche Institut der Berliner Humboldt-Uni (HU) sieht inzwischen aus wie eine Abrissbude: Überall wurden Graffiti an die Wände geschmiert, Möbel zerstört, Müll herumgeworfen. HU-Präsidentin Julia von Blumenthal sagte dem Nachrichtenmagazin „Spiegel“, das Institut sei vielleicht für Monate nicht nutzbar.
Schockiert über die Schäden gibt sie sich selbstkritisch: Im Nachhinein sei ihre Strategie, die Besetzung des Instituts am 22. und 23. Mai zunächst zu dulden und auf eine polizeiliche Räumung zugunsten eines Dialogs mit den propalästinensischen Aktivisten zu verzichten, nicht die richtige gewesen.
Hochschulleitungen haben Vermögensbetreuungspflicht
Ob Leipzig, Frankfurt oder Berlin: Der Nahost-Konflikt wird inzwischen auch an deutschen Hochschulen ausgetragen. Darüber, wie mit den Besetzern umzugehen ist, müssen vor allem die Uni-Präsidenten als Inhaber des Hausrechts entscheiden. Wie weit ihr Spielraum dabei reicht, wird nun auch zu einer Frage für die Strafverfolgungsbehörden. Denn der Rechtsanwalt Carsten Brennecke hat Strafanzeige gegen von Blumenthal wegen Verdachts der Untreue gestellt.
In dem dreiseitigen Dokument wirft er ihr vor, durch die Duldung der Besetzer eine längere Beschädigung der Räume in Kauf genommen zu haben. Weil sie nach der Räumung auch noch erklärt habe, auf die Erstattung von Strafanzeigen gegen die Aktivisten zu verzichten, könne die Uni keine Schadensersatzansprüche gegenüber den Tätern geltend machen. Sie würde damit auf den Kosten für die Beseitigung der Schäden sitzen bleiben.
WELT AM SONNTAG hat zwei Strafrechts-Professoren um eine Bewertung der Anzeige gebeten. Die Kölner Juristin Frauke Rostalski sagte, dass „eine Untreue-Strafbarkeit“ in Betracht komme, wenn eine Person, die eine „Vermögensbetreuungspflicht“ habe, Schädigungen zulasse.
Michael Kubiciel von der Uni Augsburg erklärte, dass die Präsidentin einer Uni ihr anvertrautes fremdes Vermögen verwalte und ohne guten rechtlichen Grund weder auf die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen verzichten noch die Besetzung ihrer Räume dulden könne, wenn darin Straftaten begangen würden.
Anzeigen als Grundlage für Schadensersatz-Klagen
Grundsätzlich hat Brennecke also einen Punkt. Doch bei der Analyse des konkreten Falls sind die beiden Professoren anderer Meinung: So entnimmt Rostalski den von Brennecke angeführten Statements der HU-Präsidentin nur, dass sie keine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs stellen wolle. Da sie die Besetzung geduldet habe, sei die Strafbarkeit ohnehin entfallen. Bezüglich Anzeigen wegen Sachbeschädigung habe von Blumenthal nur gesagt, sie wolle erst darüber entscheiden, wenn sie das Gebäude gesichtet habe.
Ohnehin wären die Anzeigen nur ein Mittel zum Zweck, nämlich um auf diese Weise die Personalien der Schädiger zu ermitteln, damit man sie dann vor den Zivilgerichten auf Schadensersatz verklagen kann. Allerdings habe im Fall der HU bereits die Polizei Anzeige wegen Sachbeschädigung gestellt, sodass es eine eigene Anzeige seitens der Uni gar nicht mehr brauche, so Rostalski.
Es komme nur darauf an, dass das Präsidium die Durchsetzung des Schadensersatzanspruches, etwa mithilfe einer Kanzlei, tatsächlich durchsetze und nicht von vornherein darauf verzichte, sagt auch Kubiciel.
Auch die Aussagen der HU-Präsidentin zur Duldung versteht Rostalski anders als Brennecke. So habe von Blumenthal am Mittwochabend den Aktivisten gerade klargemacht, sie dulde die Besetzung nur, wenn es nicht zu weiteren Sachbeschädigungen komme. Das schließe einen Vorsatz aus.
Erst am nächsten Morgen hätten ihr die Besetzer dann gesagt, sie könnten nicht garantieren, dass keine weiteren Graffiti hinzugekommen seien. Wenn Brennecke schreibt, dass von Blumenthal damit hätte rechnen müssen, übersehe er, dass bloße Fahrlässigkeit für die Begründung einer Untreue-Strafbarkeit nicht ausreichte, so Rostalski.
Uni stellt nun doch Anzeigen
Abschließend lässt sich festhalten, dass Uni-Präsidenten wie von Blumenthal in einer schwierigen Lage stecken. „Sie müssen eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung treffen, in der sich zivil- und strafrechtliche Fragen stellen, aber auch fürsorgerechtliche Aspekte für Mitarbeiter und Studierende, die nicht an der Besetzung teilnehmen, sondern ihrem normalen Uni-Alltag nachgehen wollen, relevant werden“, sagt Kubiciel.
Der Entscheidungsspielraum für die Duldung strafbarer Proteste sei jedenfalls deutlich enger „als von den Verfassern offener Briefe unterstellt“. Damit spielt er auf ein kontroverses Online-Statement an, in dem Hunderte Dozenten die Berliner Universitätsleitungen aufforderten, von Polizeieinsätzen und Anzeigen gegen die eigenen Studenten abzusehen.
Zu Brenneckes Anzeige möchte sich die Pressestelle der HU auf Anfrage nicht äußern. Sie teilt aber mit, dass momentan die Schadensaufnahme und die Sichtung der Arbeitsräume durch die Mitarbeiter des Instituts im Gange sei. Die Uni habe vor, bei der Polizei umfassend Strafanzeige zu stellen – auch wegen Sachbeschädigung.
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