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Deutschland Angesagte Jugenddroge

Lähmungen und irreversible Nervenschäden – Die unterschätzte Lachgas-Gefahr

Sprühsahne als Partydroge – „Es kann zu Psychosen oder Lähmungserscheinungen kommen“

Jugendliche unter 21 dürfen ab sofort in New York keine Sprühsahne mehr kaufen. Die wird offenbar zunehmend als Partydroge missbraucht, denn in den Kapseln der Spender befindet sich Lachgas. Mediziner erklären, welche gravierenden Folgen die Einnahme mit sich bringt.

Quelle: WELT / Lea Freist

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Selbst Kinder können hierzulande die Droge Lachgas kaufen – dabei zieht anhaltender Konsum in vielen Fällen eine Reihe schwerer Gesundheitsgefahren nach sich. Ein Neurologe berichtet von Symptomen, die er noch nie zuvor bei jungen Menschen gesehen habe. Ein Suchtforscher hat eine klare Forderung.

In Berlin rammte kürzlich ein 20-Jähriger, der die Party-Droge Lachgas inhaliert hatte, mit seinem Auto gleich drei Fahrzeuge hintereinander, der Schaden summierte sich auf 30.000 Euro.

Auf einem Münchner S-Bahnhof stürzte ein 16 Jahre alter Junge desorientiert aufs Gleis, nachdem er sich das Rausch-Gas einverleibt hatte, sein Bein wurde von einer einfahrenden Bahn überrollt.

In Baden-Baden ermittelt die Polizei gegen einen 54-Jährigen, der mit zwei Kartuschen Lachgas intus offenbar Auto gefahren war, seinen Wagen aber unvermittelt an einer gefährlichen Stelle stoppte und völlig ungesichert stehen ließ. Als er aufgegriffen wurde, habe der Mann kaum laufen können, so die Polizei.

Und der Kölner Neurologe Volker Limmroth berichtet von immer mehr jungen Patienten, die mit schweren Nervenschädigungen in seiner Klinik landeten. Die Folgen eines langen und übermäßigen Genusses von ebendiesem Lachgas, das die meisten Menschen nur als Triebmittel für Sahnespender kennen oder allenfalls als Schmerzstiller beim Zahnarzt.

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„In über drei Jahrzehnten als Neurologe habe ich noch nie junge Patienten mit diesen Symptomen gesehen“, sagt der Chefarzt der Klinik für Neurologie in Köln-Merheim. Mittlerweile kämen fast wöchentlich junge Menschen in seine Klinik, die über längere Zeit viel zu viel Distickstoffmonoxid – so der offizielle Name von Lachgas – konsumiert hätten. Manche Erkrankungen seien irreversibel, denn das farblose Gas könne das Knochenmark schädigen und die Isolierung der Nervenbahnen angreifen.

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Mögliche Folgen von anhaltendem Lachgas-Missbrauch sind Forschungen zufolge auch Koordinationsstörungen und eine eingeschränkte Merkfähigkeit. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) warnt vor Gehirnschäden durch Sauerstoffmangel, ja sogar vor Lebensgefahr. „Um die Intensität der Inhalation und damit die Wirkung zu steigern, ziehen sich manche Konsumenten eine Plastiktüte über den Kopf. Falls Bewusstlosigkeit eintritt, droht Erstickungsgefahr“, so eine Sprecherin. Außerdem erzeuge das Inhalieren Schwindel, beim Sturz drohten Verletzungen.

Sprühsahne als Partydroge – „Es kann zu Psychosen oder Lähmungserscheinungen kommen“

Jugendliche unter 21 dürfen ab sofort in New York keine Sprühsahne mehr kaufen. Die wird offenbar zunehmend als Partydroge missbraucht, denn in den Kapseln der Spender befindet sich Lachgas. Mediziner erklären, welche gravierenden Folgen die Einnahme mit sich bringt.

Quelle: WELT / Lea Freist

Vor allem aber stört Lachgas mit der Zeit den Vitamin-B-Stoffwechsel, was Lähmungen und Polyneuropathien bescheren kann, also Gefühle von Kribbeln, Brennen oder Taubheit etwa in den Füßen. Ein junger Mann habe nicht mehr allein laufen können, zwei Angehörige mussten ihn in die Notaufnahme geleiten, bestätigt Neurologe Limmroth. „Unter den Nervenschäden wird er vermutlich sein Leben lang leiden.“

Ein paar Minuten Wohlgefühl

Gerade bei jungen Leuten wird Lachgas immer beliebter, um sich einen schnellen Kick zu verschaffen. Seine Wirkung hält zwar nur einige Minuten an. Aber da das im Jahr 1772 entdeckte Gas die Stimmung aufhellen, Angst nehmen und für Entspannung sorgen kann, ist es als Wohlfühl-Helferlein vor allem in der Partyszene auf dem Vormarsch. Solche Trends gab es zwar schon früher, aber mittlerweile mischen die Social-Media-Plattformen kräftig mit. Auf TikTok und anderen Kanälen wird nicht nur vorgemacht, wie man Lachgas konsumiert und wie es wirkt. Es gibt auch Challenges, die sehr junge Menschen und sogar Kinder zum Mitmachen animieren.

Und das umso mehr, als die Kartuschen in Deutschland frei verfügbar sind. Lediglich beim Einsatz für Narkosen oder zur Schmerzlinderung, beim Zahnarzt oder während einer Geburt etwa, gibt es Vorschriften. Für den Hausgebrauch dagegen steht Lachgas in vielen Kaufhäusern im Regal und ist bei Kiosken, Spätis sowie im Internet zu bekommen. Auch bei Festivals wird das Gas manchmal an Ständen verkauft, mitunter sogar aromatisiert.

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„Sogar ein Sechsjähriger darf sich am Kiosk eine Kartusche kaufen, und den Luftballon gleich mit dazu“, sagt der Frankfurter Suchtforscher Heino Stöver kopfschüttelnd.

Denn das Lachgas wird meist in Ballons umgefüllt, um es bequemer zu inhalieren. Die Wirkung setzt nach Sekunden ein und hält einige Minuten an. Wer sich nach dem Einatmen dann mit einem Kicheranfall am Boden kugelt oder mit schummrigem Kopf, aber einem angenehmen Kribbeln im ganzen Körper entspannt am Straßenrand sitzt, ist sich aber wohl oft nicht bewusst, wie gefährlich die „Spaßdroge“ auf Dauer sein kann. Der Präventionsbeauftragte der Frankfurter Polizei, Lars Küthe, erlebt das häufig, wenn er in Schulen aufklären will. Er bekomme von den Schülern dann zu hören, dass Lachgas gar nicht gefährlich sein könne, weil es ja offiziell erlaubt sei.

In der Medizin ist das Thema nach Beobachtung des Kölner Neurologen Volker Limmroth bisher aber noch nicht recht angekommen, und erst recht nicht in der breiten Bevölkerung. Bei jungen Menschen mit Nervenschädigungen werde oft fälschlicherweise Multiple Sklerose vermutet, wenn sie ihre Lachgas-Neigung beim Arzt nicht selbst zur Sprache brächten. Dringend mahnt der Mediziner daher mehr Aufklärung und auch eine Regulierung an.

„Ein medizinisches Produkt, das für Narkosen verwendet wird, steht am Kölner Büdchen neben dem Kühlschrank mit dem Kölsch. Das darf nicht sein.“ Als Arzt, aber auch als dreifacher Vater würde er sich wünschen, dass der freie Erwerb und Besitz von Lachgas auch in Deutschland untersagt werde, wie schon in den Niederlanden und Großbritannien.

Im Vereinigten Königreich drohen Wiederholungstätern seit Mitte November bis zu zwei Jahre Haft, wenn sie mehrfach beim Konsum der Partydroge erwischt werden. Die Niederlande haben Besitz und Verkauf bereits zum Jahresbeginn 2023 stark eingeschränkt, nicht zuletzt wegen der drastischen Zunahme von schweren Verkehrsunfällen unter Lachgas-Einfluss. Unter Schülern soll das Gas bis zum Verbot die meistkonsumierte Droge gewesen sein. Auch Dänemark erließ strenge Vorgaben. In Deutschland dagegen ist kein Verbot geplant.

„Auf europäischer Ebene diskutieren wir das Phänomen bereits seit Längerem, da der Konsum in verschiedenen Nachbarländern stark angestiegen ist und damit auch die gesundheitlichen Probleme“, sagt der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert (SPD). „Das bedeutet auch für uns in Deutschland, dass wir das sehr aufmerksam bei uns beobachten müssen, um dann gegebenenfalls Maßnahmen zum Gegensteuern zu ergreifen.“

Im Bundestag haben nur FDP und AfD klare Position

Doch mit der „aufmerksamen Beobachtung“ ist es noch nicht allzu weit her. Nach dem Verbot in Großbritannien hatten die meisten Parteien im Bundestag noch keine Position zu dem Thema. Lediglich bei FDP und AfD ist die Meinungsbildung schon vorangeschritten – übereinstimmend mit dem Tenor, dass ein Verkaufs- und Konsumverbot wenig zielführend wäre.

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Kristine Lütke, suchtdrogenpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, fordert stattdessen mehr Präventionsarbeit und wissenschaftliche Forschung. „Der europaweit zunehmende Konsum von Lachgas und die breite Verfügbarkeit, insbesondere in Kiosken und Spätis, sind beunruhigende Entwicklungen“, räumt die liberale Abgeordnete ein. Aber generelle Verbote seien keine Lösung, da das Gas in der Lebensmittelindustrie weitverbreitet sei und kaum ersetzt werden könne.

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Der AfD-Abgeordnete Jörg Schneider schlägt ebenfalls eine verstärkte Aufklärung vor, außerdem die Beschränkung des Verkaufs von Lachgas auf Fachgeschäfte in Kombination mit einer Altersbeschränkung. Ein kurzfristiges Verbot erscheine aber nicht als sinnvoll, da Lachgaspatronen vielfältige Verwendungszwecke hätten.

Auch der Frankfurter Suchtforscher Heino Stöver plädiert nicht für ein umfassendes Verbot, wohl aber für eine altersbeschränkte Abgabe. Tatsächlich hat laut der jüngsten Frankfurter Drogentrendstudie jeder Sechste der 15- bis 18-Jährigen angegeben, schon einmal Lachgas probiert zu haben. Und da die Zahlen aus dem Jahr 2022 stammen, dürfte der Anteil mittlerweile sogar noch höher liegen.

Außerdem sollte Stöver zufolge darüber nachgedacht werden, den Verkauf an Kiosken zu untersagen. „Kioske sind gute Indikatoren für alles, was am Markt verlangt wird.“ Das hat der Sozialwissenschafts-Professor an der University of Applied Sciences schon vor 20 Jahren festgestellt, als er die erste Studie zur Droge Crack durchführte. „Als Crack nach Deutschland kam, waren die Kioske sofort am Start und haben in breiter Auswahl Pfeifen dafür angeboten.“

Neben den bedenklichen Gesundheitsrisiken insbesondere für Kinder sieht Stöver zudem ein weiteres, massives Problem: die massive Umweltbelastung. „Die leeren Kartuschen werden, genauso wie Einweg-E-Zigaretten, einfach ins Gebüsch oder den Straßengraben geworfen“, so Stöver. Einen Hinweis, was auf Deutschland zukommen könnte, liefern Zahlen aus dem Ausland: In Frankreich wurden allein im August 2022 rund 15 Tonnen an 0,58-Kilo-Einwegzylindern sichergestellt, beim britischen Notting Hill Carnival im vergangenen August sollen an nur zwei Tagen 13 Tonnen Kartuschen-Müll entstanden sein.

Lachgas-Kartuschen
Lachgas-Kartuschen
Quelle: Getty Images

Die Frankfurter Stadtreinigung bestätigt das Problem. Ständig muss das Reinigungspersonal in den Partyzonen Alt-Sachsenhausen, Bahnhofsviertel und Zeil Lachgas-Konsumenten hinterher räumen. Laut Sprecher Stefan Röttele ist es mühsam, die vielen Tausend auf den Boden geworfenen Kartuschen aufzusammeln und auszusortieren. Wegen Explosions- und Brandgefahr dürfen sie nicht im Restmüll entsorgt werden, sondern müssen in einer speziellen Anlage aufwendig zerlegt werden. Trotzdem beschränkt sich die grüne Gesundheitsdezernentin Elke Voitl auf einen Appell an die Kioske, auf den Verkauf zu verzichten. Ein Verbot bringe nichts, das zeige der Konsum von Cannabis, so Voitl. Außerdem suche sich die Partyszene dann eben andere Rauschmittel.

Das jüngste Trend-Genussmittel ist tatsächlich bereits aufgetaucht: Im Kommen sind laut Drogenbericht sogenannte „Chewing Bags“ und „Nikotin Pouches“ oder „Nicopods“ – kleine Beutel, die man ähnlich wie das schwedische Original „Snus“ unter die Oberlippe klemmt. In Deutschland spricht man auch von „Oraltabak“ – der übrigens, wenn tatsächlich Tabak drinsteckt, in Deutschland mittlerweile illegal ist. Beutelchen jedoch, die nur Nikotin enthalten, aber keinen Tabak, dürfen von jedem gekauft und genossen werden.

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