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Deutschland Drogenprozess in Hamburg

„Deutschland wird von Kokain überschwemmt“, sagt der Richter

Politischer Korrespondent
Volles Haus im Hamburger Landgericht: Angeklagte und ihre Verteidiger im Gerichtssaal Volles Haus im Hamburger Landgericht: Angeklagte und ihre Verteidiger im Gerichtssaal
Volles Haus im Hamburger Landgericht: Angeklagte und ihre Verteidiger im Gerichtssaal
Quelle: picture alliance/dpa/dpa-Pool
In einem Mammut-Verfahren erhält eine kriminelle Bande lange Haftstrafen. Die Täter schmuggelten mindestens acht Tonnen Kokain – und kooperierten dabei mit Komplizen, die im Hamburger Hafen arbeiteten. Die Branche hat ein Problem mit solchen „Innentätern“, die sich vom Drogengeld locken lassen.
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Der Angeklagte ist zur Urteilsverkündung im hellblauen Hemd und weißer Hose erschienen, weiß wie die Unschuld. Er winkt ins Publikum hinter dem Sicherheitsglas, dann nestelt er an seiner Gebetskette, lässt die Perlen durch die tätowierten Hände gleiten.

Als der Richter zum Urteil ansetzt, strafft sich sein Rücken, die Perlen laufen jetzt schneller durch seine Finger. Dann atmet er hörbar erleichtert aus: Sechs Jahre und drei Monate. Eine lange Zeit. Aber es hätte noch viel schlimmer kommen können, in diesem Verfahren der Superlative.

Seit Oktober 2021 verhandelte das Hamburger Landgericht gegen die Kokainbande: 113 Verhandlungstage und 27 Verteidiger. 10.000 Blatt Akten, Terabytes an Daten – und elf Angeklagte. Sie sollen die gigantische Menge von acht Tonnen Kokain über den Hafen der Stadt ins Land geschmuggelt haben, mindestens. Ganz genau wissen es die Ermittler nicht, sie konnten nur einen Zeitraum von neun Monaten zur Anklage bringen. Große Teile des Kokains wanderten weiter in die Niederlande, einzelne Lieferungen verkauften die Männer auf eigene Rechnung.

Das Gericht verurteilte die elf Männer am Ende dieses kräftezehrenden Prozesses zu langen Haftstrafen. Hinten im vollen Zuschauerraum hört man lautes Schluchzen, als die einzelnen Strafen verkündet werden. Dort sitzen vor allem Verwandte und Freunde, es sind viele Frauen mit geröteten Augen. Der Kopf der Bande muss 15 Jahre ins Gefängnis, ein Strafmaß vergleichbar mit einem Urteilsspruch für ein tödliches Gewaltverbrechen. Um den eher unscheinbaren Mann mit blauer Weste, der alle Fäden in der Hand hielt, wird es später noch gehen.

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Bei ihren Taten hatte die Bande korrupte Helfer im Inneren des Hafens, die in den Containerterminals und bei den Logistikunternehmen zur rechten Zeit wegschauten oder Türen öffneten. Das Verfahren legt auch offen, wie wenig die großen Hafen- und Handelsunternehmen dem hemmungslosen Kokainhandel innerhalb ihrer Strukturen offenbar entgegenzusetzen haben.

Der Vorsitzende Richter nahm sich für sein Urteil mehrere Stunden lang Zeit und skizzierte auch die verheerenden gesellschaftlichen Auswirkungen des Rauschgift-Booms – ein Punkt, der in den großen Drogen-Verfahren oft unter den Tisch fällt.

„Deutschland wird von Kokain überschwemmt“, sagte der Richter. „Die Schuld, die die Angeklagten auf sich geladen haben, wiegt schwer.“ Er beschrieb eine zunehmende Verelendung in vielen Großstädten: „Crack hat für alle sichtbar von den Straßen Besitz genommen.“

„Die Erlöse aus Drogengeschäften korrumpieren die Gesellschaft“, sagte der Richter. Sie würden die Motivation verderben, sich in einem normalen bürgerlichen Beruf zu verdingen. Für die korrupten Helfer im Hafen mag diese Einschätzung sicher zutreffen.

Und gleichzeitig zeige das Verfahren, so der Vorsitzende Richter: „Der Kampf gegen den Drogenhandel ist weder sinnlos noch verloren.“

Sehr große Menge gelangt unentdeckt nach Deutschland

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Doch er ist auch schwer zu gewinnen. In den Seehäfen der EU kommen nach Angaben von Europol jährlich mehr als 90 Millionen Container an. Nur ein kleiner Teil kann auf illegale Waren kontrolliert werden. Neben dem niederländischen Hafen Rotterdam, dem größten Europas, und dem Hafen Antwerpen in Belgien, gehört der Hamburger Hafen zu den drei großen Einfallstoren für Kokainlieferungen aus Südamerika.

Seit einiger Zeit allerdings steuern etwa die Niederlande massiv gegen, investieren hohe Millionenbeträge in Drohnen und Kameraüberwachung, stellen mehr Polizisten und Zöllner ein. Das wirke sich auf den Kokainschmuggel aus, registriert die deutsche Zollgewerkschaft. Hamburg und Bremerhaven geraten stärker in den Fokus der Drogenbanden.

Beinahe im Wochentakt machten Zoll und Polizei in den vergangenen Jahren große Funde. Im zurückliegenden Jahr wurden laut Bundeskriminalamt bundesweit mehr als 30 Tonnen Kokain sichergestellt. Auf das Kokain-Angebot in den Clubs, Bars und auf den Straßen hatte das aber keine spürbaren Auswirkungen – was zeigt, welche Masse an Rauschgift unentdeckt nach Deutschland gelangt.

Mit den riesigen Margen, die im Kokainhandel zu verdienen sind, wachsen die Begehrlichkeiten – und die Gefahren. Sicherheitsbehörden und die Hafenwirtschaft wollen den Kampf gegen die organisierte Drogenkriminalität mittlerweile über eine neue „Allianz Sicherer Hafen Hamburg“ stärken.

Denn die Einfallstore für die organisierte Kriminalität scheinen lange weit offen gewesen zu sein. Die Branche hat ein großes Problem mit sogenannten Innentätern. Mitarbeiter, die Container auschecken und diese nach dem Entladen wieder ohne Drogenfracht ins System zurückbuchen; Logistiker, die sensible Pläne und Abläufe kennen; Lkw-Fahrer, die die Ware in entlegene Industriegebiete bringen. Manche kriminellen Gruppen bieten viel Geld, um Hafenmitarbeiter auf ihre Seite zu ziehen.

In diesem Verfahren sollen drei der Angeklagten ihre beruflichen Positionen in Hafenlogistik-Betrieben dafür genutzt haben, die in Hamburg ankommenden Container mitsamt ihrer Ladung aus dem Hafen zu bringen. Sie erhielten Freiheitsstrafen in Höhe von zehn Jahren und sechs Monaten bis zu zwölf Jahren. Zwei weitere Angeklagte, die als selbstständige Fuhrunternehmer im Hafen arbeiteten, sollen den Transport der Container organisiert haben. Sie erhielten mit sechs Jahren und drei Monaten die niedrigste Haftstrafe.

Die Banden arbeiteten mit unterschiedlichen Methoden, eine davon: Ein Mitarbeiter beim Terminal-Betreiber Eurogate etwa checkte einen Container aus, ein Lkw-Fahrer und Komplize lud ihn auf und brachte diesen zu einer Lagerhalle. Dort holten andere Bandenmitglieder das Kokain aus dem Container, das oft unter Bananen, manchmal auch Holzkohle oder Reifenteilen versteckt ist. Manche Container wurden danach mit gefälschten Siegelplomben verschlossen und zurück in den Hafen transportiert, scheinbar ungeöffnet. Auch die Tourenpläne manipulierten die Komplizen im Inneren.

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Die Schlüsselstellung hatte der Mann mit der blauen Weste inne, der nun 15 Jahre ins Gefängnis soll. „Er hatte Kontakt zu allen“, so beschrieb es der Richter. Den Lieferanten aus Brasilien und Kolumbien. Den Abnehmern in den Niederlanden. Und den Helfern im Hafen, mit denen er sich immer wieder abstimmte und traf.

Er plante und organisierte die Lieferungen, kassierte mindestens 15 Prozent des Kokains als Entlohnung und muss märchenhaft verdient haben. Im Prozess ging es um neun Lieferungen im Jahr 2020, nach Angaben der Polizei Hamburg hatte das Kokain einen geschätzten Wert von 280 Millionen Euro.

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mit dpa

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