Die Alster liegt noch still, als um kurz vor 6 Uhr morgens vermummte Polizisten über den Zaun der Blauen Moschee in Hamburg klettern. Im Schein des Blaulichts rücken weitere Hundertschaften an. Später betreten auch Kriminaltechniker das Grundstück der Gebetsstätte. Zeitgleich durchsuchen mehr als 800 Beamte mehr als 50 weitere Objekte. Die Maßnahmen erstrecken sich auf sieben Bundesländer.
Der Generalbundesanwalt geht zeitgleich gegen mutmaßliche Unterstützer der in Deutschland verbotenen libanesischen Terrororganisation „Hizb Allah“ vor. Für die bundesdeutschen Sicherheitsbehörden ist es wieder mal ein Großkampftag.
Der Einsatz ist außergewöhnlich. Denn bei Schlägen gegen die Islamisten-Szene geht es üblicherweise um die Vereitelung von Terroranschlägen, um Salafisten und um dschihadistische Gruppierungen wie Al Kaida oder den „Islamischen Staat“. Diesmal ist es anders. Weniger brisant ist der Einsatz aber nicht.
Denn die Beamten sind an diesem Donnerstagmorgen auf Veranlassung des Bundesinnenministeriums ausgerückt – und sie haben einen klaren Auftrag: Sie sollen Beweise sichern, die dazu dienen könnten, den Trägerverein der Blauen Moschee, das Islamische Zentrum Hamburg (IZH), zu verbieten. Der Aufwand ist beträchtlich – und das hat seinen Grund: Denn das IZH gilt als Außenposten des Iran, als eine Art Tarnorganisation, mit der das totalitäre Mullah-Regime seine islamistische und verfassungsfeindliche Propaganda auch in Europa verbreiten will.
Angesichts der Unterstützung des Iran für die Terrorgruppe Hamas und vor dem Hintergrund des Hamas-Überfalls auf Israel erscheint ein Verbot des Iran-Außenpostens IZH dringlicher denn je.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser meldet sich denn auch schon eineinhalb Stunden nach Beginn der Razzia mit einer Pressemitteilung zu Wort. Man habe die islamistische Szene „im Visier“, sagt die SPD-Politikerin. „Gerade jetzt, in einer Zeit, in der sich viele Jüdinnen und Juden besonders bedroht fühlen, gilt: Wir dulden generell keine islamistische Propaganda und keine antisemitische und israelfeindliche Hetze. Gerade jetzt kommt es auf hohe Wachsamkeit und ein hartes Vorgehen an. Deswegen gehen wir jedem begründeten Verdacht entschieden nach.“
Die Verdachtsmomente gegen das IZH wögen schwer, sagt Faeser. Sie verweist auf die langjährige Beobachtung des IZH durch den Verfassungsschutz. Zur Begründung der Durchsuchung sagt Faeser, dass „weitere rechtsstaatliche Maßnahmen“ gut vorbereitet sein müssten.
Faesers Presseteam führt dies näher aus: Die Aktivitäten des IZH seien „darauf ausgerichtet, das Revolutionskonzept der Obersten (iranischen) Führer zu verbreiten“. Dieses Konzept stehe im Verdacht, „gegen die verfassungsmäßige Ordnung in Deutschland und den Gedanken der Völkerverständigung zu verstoßen“. Die Sicherheitsbehörden gingen zudem dem Verdacht nach, dass das IZH die in Deutschland verbotenen Aktivitäten der libanesischen Terrororganisation „Hizb Allah“ (alternative Schreibweise: Hisbollah) unterstütze.
Die Blaue Moschee in Hamburg – offiziell firmiert sie als Iman-Ali-Moschee – und das IZH stehen im Zentrum der morgendlichen Durchsuchungen. Die Beamten durchsuchen aber auch Objekte in Berlin, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Bayern.
In Berlin beziehen sie Stellung vor einem Haus im Bezirk Neukölln. Die Verbindungen zwischen dem IZH und der IGS sind eng: IGS-Chef Seyed Mohammad Ale Hosseini leitete früher die Dialogabteilung des IZH und war für die Pressearbeit verantwortlich. Das Bundesamt für Verfassungsschutz bezeichnete die IGS als „wichtiges Element für die Steuerung der Interessen des IZH“.
Bei der morgendlichen Durchsuchung haben die Beamten zunächst Probleme, in das Haus zu kommen. Ein Rollgitter versperrt den Weg. Schließlich verschaffen sich die Beamten mit einer Ramme über eine Seitentür Zugang. Direkt gegenüber dem Komplex liegt eine Grundschule. Eltern bleiben stehen, die vermummten Beamten werden zum Fotoobjekt. Als eine Lehrerin von den Durchsuchungen erfährt, sagt sie: „Das haben wir schon lange geahnt.“
In Hamburg zucken derweil nicht nur vor der Blauen Moschee Polizeilichter durch die Dunkelheit – sondern auch im Stadtteil Alsterdorf. Hier residiert die Islamische Akademie Deutschland. Laut ihrer Webseite ist sie eine Ausbildungsstätte für islamische Gelehrte und Theologen und kooperiert mit der Al-Mustafa Universität der iranischen Stadt Ghom.
Doch auch die Akademie unterhält offenbar enge Verbindungen zum Blaue-Moschee-Trägerverein IZH. Das Bundesinnenministerium sprach 2018 in einer Antwort auf eine parlamentarische FDP-Anfrage von einer „IZH-Nebenorganisation“. Auf ihrer Webseite gibt die Akademie als eine ihrer Adressen auch die Blaue Moschee an. Der Hamburger Verfassungsschutz bezeichnete die Akademie in seinem Jahresbericht 2017 als „IZH-Nebenorganisation“.
Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) bezeichnet die Razzien gegen das IZH und die mit dem Zentrum verbundenen Organisationen wenige Stunden nach Beginn dem Einsatz als „harten Schlag“. Die Zeit des IZH sei „erkennbar abgelaufen“. „Je schneller das IZH nun als Ganzes aus Hamburg verschwindet, umso besser“, sagt Grote. Die Durchsuchungen machten deutlich, dass das Verbotsverfahren weit vorangeschritten sei. Der Hamburger Verfassungsschutz habe stets auf die extremistische Ausrichtung des IZH hingewiesen.
Tatsächlich steht das IZH schon seit Jahrzehnten im Visier des Verfassungsschutzes. Nach einer abgewiesenen Klage des IZH gegen die Beobachtung darf der Verein seit diesem Sommer auch gerichtsfest als „extremistisch“ bezeichnet werden.
Ausgerechnet Mohammad Hadi Mofatteh selbst, seit 2018 Leiter der Moschee, soll den Verfassungsschützern weitere Indizien für die Steuerung durch Teheran geliefert haben. Bei einer Rückreise aus dem Iran durchsuchten Zollbeamte sein Gepäck und fanden Briefe, die dann beim Verfassungsschutz landeten und dort übersetzt wurden. Sie waren an Mofatteh persönlich gerichtet. In einem der Briefe wird er als „Vertreter des Obersten Führers“ (Religionsführer Ayatollah Ali Khamenei) angesprochen.
Die Liste der Auffälligkeiten anderer Funktionäre des IZH und dessen Umfeld ist lang: Jahrelang reisten Vertreter zum israelfeindlichen Al-Quds-Tag nach Berlin, in den Räumen der Moschee fand auch eine Trauerfeier für den iranischen General und Terrorsponsor Qassem Soleimani statt. Immer wieder berichtete der Dienst über Verbindungen zur radikalislamischen Hisbollah.
Im vergangenen November war der stellvertretende Leiter des Zentrums, Seyed Soliman Mousavifar, auf Druck der Hamburger Innenbehörde ausgereist. Da der Betroffene „belegbar militante schiitisch-extremistische und terroristische Organisationen unterstützt“, so die Innenbehörde, war er ausgewiesen worden. Dem Landesamt für Verfassungsschutz lägen entsprechende Erkenntnisse vor, die belegten, dass der Betroffene Verbindungen zu „zwei für die ,Hizb Allah‘ (andere Schreibweise für die Terrororganisation Hisbollah) tätigen Spendensammelvereinen“ unterhalten hat, die mittlerweile wegen Terrorfinanzierung durch das BMI verboten wurden. Für ihn gilt ein Wiedereinreiseverbot nach Deutschland.
Trotz der langjährigen Erkenntnisse war das IZH als Mitglied des Islamverbands Schura zehn Jahre lang Teil eines Staatsvertrages, den die Stadt Hamburg mit den islamischen Gemeinden vereinbart hatte. Es stellte sogar einen der drei Vorsitzenden, durfte Integrationsaufgaben wahrnehmen und den Religionsunterricht mitgestalten. Erst unter dem Eindruck der Proteste im Iran musste sich das Hamburger IZH im vergangenen Jahr aus dem Verbund zurückziehen. Der Dachverband sprach aber davon, dem Zentrum „geschwisterlich“ verbunden zu bleiben.
Das IZH ist am Donnerstag nicht für eine Stellungnahme zu den Durchsuchungen erreichbar. Nach dem Angriff der Hamas auf Israel hatte der Verein versichert, „jegliche Form von Gewalt und Extremismus“ abzulehnen.
Die Razzia und das sichergestellte Beweismaterial dürften das angestrebte Verbotsverfahren nun beschleunigen und vereinfachen. Laut Innenministerium stellen die Beamten größere Bargeldmengen, Mobiltelefone und weitere elektronische Geräte, sowie diverse Schriftstücke und Flugblätter sicher. Das Material werde durch die Sicherheitsbehörden des Bundes ausgewertet. Die Durchsuchungen seien „ohne Zwischenfälle“ verlaufen. Die angetroffenen Personen hätten sich „kooperativ“ verhalten.
Ob es der Maßnahme überhaupt bedurft hätte, ist umstritten. In Sicherheitskreisen heißt es, dass womöglich schon die bereits bekannten Äußerungen und Verbindungen des IZH zum Iran für ein Verbot ausgereicht hätten.
Der Generalbundesanwalt lässt am Donnerstag – zeitgleich zu den vom Innenministerium veranlassten Durchsuchungen zur Prüfung eines Vereinsverbots – 20 Objekte in und um Hannover durchsuchen. Die Beschuldigten sollen in zwei Vereinen für die in Deutschland verbotene Terrorgruppe „Hizb Allah“ aktiv gewesen sein.