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Deutschland Sonntagsfahrverbot

„Biker werden unter Generalverdacht gestellt“

Biker demonstrieren gegen Kutten-Verbot

Die Vereinsabzeichen der Motorradklubs wie Hells Angels dürfen nicht mehr öffentlich gezeigt werden. Das Verbot trieb am Sonntag Hunderte Fahrer auf die Straßen von Berlin.

Quelle: Reuters

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Der Bundesrat fordert Fahrverbote für Motorradfahrer an Sonn- und Feiertagen in bestimmten Fällen. Während die Befürworter von „ungeheuer aggressivem“ Lärm sprechen, ist die Biker-Community in Aufruhr. Ein Pfarrer sieht gar die Religionsfreiheit in Gefahr.

Wenn der evangelische Pfarrer Wolfgang Oertel aus dem oberfränkischen Untersteinach vom Motorradfahren erzählt, gerät er schnell ins Schwärmen. „Das ist ein Gefühl von Freiheit, ich fühle mich Gott und der Natur in diesen Momenten näher“, sagt er. „In den Ausfahrten kann ich nachdenken, beten und die Landschaft genießen.“ Umso schockierter war Oertel, als er von einer Entschließung des Bundesrats zur Minderung von Motorradlärm hörte, die bereits Mitte Mai beschlossen wurde.

Pfarrer Wolfgang Oertel mit Motorrad
Pfarrer Wolfgang Oertel mit Motorrad
Quelle: Geli Tangermann

Es ist nur ein einziger Satz dieses Beschlusses, der Oertel fassungslos macht. Der Bundesrat sehe dringenden Handlungsbedarf, „für besondere Konfliktfälle Geschwindigkeitsbeschränkungen und zeitlich beschränkte Verkehrsverbote an Sonn- und Feiertagen aus Gründen des Lärmschutzes zu ermöglichen“.

Sonntagsfahrverbote für Motorradfahrer? Pfarrer Oertel veranstaltet mehrmals im Jahr sogenannte Biker-Gottesdienste, an denen auch Menschen anderer und ohne Konfession teilnehmen. „Da kann man in der Predigt auch mal knackig vom Leder ziehen. Wir singen dann auch umgedichtete Lieder oder sprechen den Biker-Psalm“, sagt Oertel. Er sieht seine Grundrechte eingeschränkt, sollten tatsächlich Fahrverbote an Sonntagen kommen: „Es tangiert die Religionsfreiheit, wenn diese Gottesdienste nicht mehr stattfinden können.“

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Auch Holger Siegel ist Motorradfahrer – und Vorsitzender der Vereinigten Arbeitskreise gegen Motorradlärm. „Jetzt wird die Grundrechte-Karte gezogen. Das halte ich für völlig überzogen“, sagt er. Es sei richtig, für bestimmte Strecken Motorradfahrverbote auszusprechen. Dort, wo die Polizei schon seit vielen Jahren versuche, Raser und Lärm in den Griff zu bekommen, gebe es keine andere Lösung mehr. Befürchtungen, dass daraus ein grundsätzliches Sonntagsfahrverbot werden könnte, kann er nicht nachvollziehen. Gegen „sozialverträgliches Motorradfahren“ habe niemand etwas, sagt Siegel. Beim Lärm gehe es jedoch nicht um wenige schwarze Schafe, sondern um die Mehrheit der Motorradfahrer.

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Dass nicht nur illegale, sondern auch viele neu zugelassene Motorräder laut sind, weiß auch der Vorsitzende des Bundesverbands der Motorradfahrer, Michael Lenzen. Über die Entschließung des Bundesrats ist er dennoch wütend. „Streckensperrungen lösen das Problem nicht, sondern verlagern es auf die nächste Strecke. Zu Ende gedacht bedeuten sie, dass Motorradfahrer gar nicht mehr fahren dürfen.“ Wenn man mit seinem legal erworbenen Motorrad nicht mehr fahren dürfe, während gleichzeitig laute Autos oder Quads fahren können, sei das eine „einseitige Benachteiligung und Diskriminierung von Motorradfahrern“.

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Bekannt ist, dass lang anhaltende Lärmbelästigungen gesundheitsschädigend wirken können. Das Robert-Koch-Institut warnt etwa vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die durch chronischen Lärm verursacht werden können. „Motorradlärm ist ungeheuer aggressiv und entsetzlich störend“, meint Brigitte Schulte-Fortkamp, Professorin für Psychoakustik und Lärmwirkung an der Technischen Universität Berlin. „Wenn ein lautes Motorrad durch eine Straße ‚ballert‘, kann man sich nicht dagegen wehren und wird in den Schall reingezogen.“ Besonders in sensiblen Umgebungen mit Kliniken, Altenheimen, Schulen und Kindergärten oder in Gebieten, in denen viele Menschen wohnen, sei es sinnvoll, bestimmte Bereiche für Motorräder zu sperren.

Fragt man Lenzen vom Motorradfahrerverband nach Alternativen zu Fahrverboten, verweist er etwa auf bereits bestehende rechtliche Mittel wie die Fahrzeugstilllegung für illegal umgebaute Motorräder oder den neuen Bußgeldkatalog. Zudem fordert er in einem offenen Brief die Motorradindustrie auf, „freiwillig Motorräder zu produzieren, die im realen Fahrbetrieb sozialverträglich leise sind“. Zudem müssten Motorradfahrer sensibilisiert werden, „dass sie es selbst in der Hand haben, wie laut sie sind“, sagt Lenzen.

Die Entschließung der Länderkammer liegt nun bei der Bundesregierung. Im Bundestag wird bereits diskutiert. Oliver Luksic, verkehrspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, meint, dass die breite Masse der Motorradfahrer an Lärmbelästigung nicht interessiert sei. „Anstatt die wenigen schwarzen Schafe unter den Motorradfahrern durch dichtere Kontrollen und härtere Strafen zur Vernunft zu bringen, werden nun alle Biker unter Generalverdacht gestellt“, sagt er WELT. „Wann, wenn nicht an den freien Tagen, sollen sie ihr Hobby ausüben? Mit streckenweise pauschalen Fahrverboten verlagert man die Konflikte nur, anstatt sie zu lösen.“

In der Grünen-Bundestagsfraktion ist Daniela Wagner für Verkehrssicherheit zuständig. Solange die Industrie in der Produktion von lärmintensiven Motorrädern ein wichtiges Verkaufsargument sehe, werde sich am Lärm nicht viel ändern, sagt sie. Leider brauche es offenbar einzelne drastische Maßnahmen, um ein Umdenken der sehr lauten Minderheit und der Industrie herbeizuführen. „Zeitlich begrenzte Fahrverbote an Sonn- und Feiertagen für einzelne Streckenabschnitte sind das letzte Mittel, wenn das Lärmproblem vor Ort überhandnimmt und andere Maßnahmen kurzfristig keine Erleichterung bringen.“

Die Biker Union auf dem Pariser Platz in Berlin
Die Biker Union auf dem Pariser Platz in Berlin
Quelle: picture alliance / Paul Zinken/d
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Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) lehnt die Pläne ab. „Ich will keine weiteren Verbote und Verschärfungen für Motorradfahrer“, sagte er der „Passauer Neuen Presse“. Bereits jetzt können die Straßenverkehrsbehörden der Bundesländer laut Straßenverkehrsordnung die Benutzung bestimmter Strecken „zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen“ beschränken oder verbieten. „Eine Änderung der Rechtslage ist derzeit nicht angezeigt“, antwortete das Verkehrsministerium im Mai auf schriftliche Fragen von Linke- und FDP-Abgeordneten.

Beruhigen wird das die Biker-Community nicht. Für den 4. Juli wird in mindestens zehn Städten zu Demonstrationen und Sternfahrten gegen Motorradfahrverbote aufgerufen.

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