Frank Richter hat acht Jahre die sächsische Landeszentrale für politische Bildung geleitet. Seit Februar 2017 gehört der 57-Jährige der Geschäftsführung der Stiftung Frauenkirche Dresden an.
DIE WELT: Warum sind Sie eigentlich aus der CDU ausgetreten?
Frank Richter: Für den Austritt gab es drei Gründe: Ich konnte die deutschen Waffenlieferungen an Saudi-Arabien nicht länger mit meinen friedensethischen Positionen vereinbaren. Ich wollte nicht länger mit der sächsischen Schulpolitik identifiziert werden, die sich zunehmend vom humanistischen Bildungsideal verabschiedet hat. Und ich habe eine offene Streitkultur vermisst, die sich offen und unbefangen mit den gesellschaftlichen Problemen auseinandersetzt, auch in der Partei.
DIE WELT: Woran ist Regierungschef Stanislaw Tillich letztlich gescheitert?
Richter: Ich würde nicht vom Scheitern sprechen, bei aller Dramatik der Entwicklung. Auch hatten wir keine Landtagswahl, sondern eine Bundestagswahl. Ich habe den Rücktritt als persönliche Entscheidung wahrgenommen, die Respekt verdient.
DIE WELT: Welche Debatten hätte der Ministerpräsident anstoßen sollen?
Richter: Ich kann hier nur einige Dinge nennen, über die offener hätte diskutiert werden sollen: So notwendig der Elitentransfer von West nach Ost nach 1990 war, so problematisch ist seine Verstetigung. Über die wahrgenommene und gefühlte Dominanz muss im Sinne eines Sachverhalts gesprochen werden dürfen, ohne dass dies persönlich genommen oder moralisch verstanden wird. Auch die im Zuge des ökonomischen Umbaus Ost erfolgten Fehlentscheidungen, Kränkungen und Ungleichbehandlungen muss man – neben allen Erfolgen – benennen dürfen. Ich sehe da ein Defizit keineswegs nur in der einen oder anderen Partei.
DIE WELT: In Sachsen ist die Stimmungslage besonders schlecht?
Richter: Die tiefgreifenden Veränderungen nach 1990 haben in Sachsen deutliche Spuren hinterlassen. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung ist viel höher als anderswo, was auch daran liegt, dass viele junge, gut ausgebildete Fachkräfte in den Westen gezogen sind. Das drückt bis heute auf die Stimmungslage, vor allem im ländlichen Raum. Manche spitzen zu und sagen: Demografie schlägt Demokratie. Daneben hat der Aufbau der „Hardware“, also Straßen und Infrastruktur, hervorragend funktioniert. In der Politik waren Personen mit technischer und ökonomischer Intelligenz gefragt. Was vernachlässigt wurde, war die „Software“ der Gesellschaft. Dem zusammengebrochenen Marxismus als gedankliches Ordnungsgefüge folgte zunächst der Neoliberalismus. Den erneuten Enttäuschungen folgte der Nationalismus als Muster für Orientierung und Anerkennung.
DIE WELT: Was erwarten Sie vom künftigen Ministerpräsidenten?
Richter: Nicht nur die Regierung, auch die Opposition und auch die Gesellschaft sollten die Debatten zur Aufarbeitung der Nachwendezeit führen, damit Populisten nicht noch mehr Zulauf bekommen. Wir leben in der besten gesellschaftlichen und politischen Ordnung, die Deutschland je hatte. Die sollten wir verteidigen und leben. Das permanente und vordergründige Verweisen auf politische Entscheidungsträger ist wohlfeil und kontraproduktiv.
DIE WELT: Treten Sie wieder in die CDU ein?
Richter: Die Frage stellt sich so nicht. Ich bin ja nicht aus der CDU ausgetreten, weil ich mich an Stanislaw Tillich gestört hätte.