Dschaber al-Bakr wurde als hochgefährlich eingestuft. Laut Verfassungsschutz hatte der als Flüchtling eingereiste Syrer einen Sprengstoffanschlag auf einen Berliner Flughafen geplant.
Doch einer der wichtigsten Gefangenen Deutschlands erhängte sich nur zwei Tage nach seiner Verhaftung am Mittwochabend in seiner Zelle in der Justizvollzugsanstalt Leipzig mit einem T-Shirt.
Die sächsische Justiz erklärte anschließend, bei der Überwachung sei alles nach Vorschrift gelaufen. Die Reaktionen darauf: Empörung, Kritik und Rücktrittsforderungen.
Gemkows zusammengekniffene Lippen
In einem Interview für das „heute journal“ stellte sich Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow am Donnerstagabend den Fragen von Marietta Slomka. Doch schon die Einstiegsfrage brachte den CDU-Politiker ins Wanken.
„Es wurden keine besonderen Sicherheitsmaßnahmen in der Justizanstalt getroffen“, fasste Slomka zusammen und hinterfragte kritisch: „Wie kommen Sie also darauf, dass alles getan wurde?“ Die Reaktion: Schweigen, gefolgt von zusammengekniffenen Lippen.
Zunächst betonte Gemkow, dass ein Arbeitsteam, bestehend aus einer Psychologin, einem Sozialarbeiter und einer Bediensteten, keine „akute Suizidgefahr beim Gefangenen“ erkennen konnte, und rechtfertigte so, dass der Abstand der Kontrollen von 15 Minuten auf 30 Minuten verlängert wurde. Als „besondere Sicherheitsvorkehrung“ zählte der Minister dann aber auf, dass immer zwei Bedienstete bei al-Bakr sein mussten, wenn er den Haftraum verließ.
Keine befriedigende Antwort.
Mitten im Satz und mit selbstbewusster Stimme unterbrach die Moderatorin ihren Interviewgast nach wenigen Sekunden Redezeit. „Aber sie waren ja nicht rund um die Uhr bei ihm“, gab Slomka zu bedenken und zählte weitere Missstände auf. „Es gab keinen besonderen Haftungsraum. Es gab keine Sitzwachen vor der Zelle. Der Mann wurde ja auch lang genug allein gelassen, um sich schließlich mit seinem eigenen T-Shirt zu erwürgen.“
Die Möglichkeit, darauf einzugehen, räumte die 47-Jährige Gemkow nicht ein. Stattdessen setzte sie die Liste der Fehleinschätzungen fort. „Die junge Psychologin war vollkommen unerfahren im Umgang mit islamistischen Terroristen. Wie kann es sein, dass … eine so unerfahrene Mitarbeiterin eine so schwerwiegende Entscheidung über einen so wichtigen und gefährlichen Häftling trifft?“
Marietta Slomkas Kopfschütteln
Gemkow versuchte, sich nicht in die Enge treiben zu lassen. Statt auf die Psychologin kam er zuerst wieder auf den Haftraum zu sprechen. Der Minister betonte das Zwischengitter, um Angestellte vor einer „Fremdgefährdung“ durch den „gefährlichen Straftäter“ zu schützen. Dann nahm er zu den Personalien Stellung und betonte, dass die Psychologin schon in „vielen Anstalten“ gearbeitet habe. Als problematisch beschrieb Gemkow hingegen den „neuen Tätertypus“. Man sei in Sachsen damit noch nicht konfrontiert gewesen.
Eine Ausrede?
Für Slomka zumindest eine unzureichende Reaktion auf den Vorfall. Kopfschüttelnd und forscher als zuvor argumentierte sie mit dem „gesunden Menschenverstand“. Statt Experten zu zitierten, versuchte sie bei Gemkow, mit „den Gedanken eines Laien“ den Druck zu erhöhen, und konterte mit der Aufzählung: „Ein potenzieller mutmaßlicher Selbstmordattentäter, ein Islamist, der davon träumt, als Märtyrer im Himmel zu landen, … der im Hungerstreik ist – hatten Sie den Eindruck, dass das wahrscheinlich eine stabile, gesunde Person ist?“
Das brachte den 38-jährigen Politiker ins Stocken. Ein tiefer Atemzug, dann erst die Antwort. Er gab eine „gewisse Gefährdung“ zu, betonte jedoch erneut, dass keine „akuten Anzeichen“ vorlagen. Im Gegenteil: Eine 24-Stunden-Überwachung mit Licht im Haftraum hätte zu einer Suizidgefahr werden können, rechtfertigte Gemkow den Umgang mit al-Bakr im Nachhinein.
Für die Journalistin war das keine schlüssige Antwort.
Sie unterbrach ihn erneut: „Es hätte ihn ja jemand beobachten und daran hindern können!“ Sie betonte die „Hinweise“. Al-Bakr habe die Lampe aus der Decke gerissen und an der Steckdose herumgefuchtelt, versuchte offenbar, an Stromkabel zu kommen. „Woran denkt man denn da sonst, außer dass da jemand eventuell versucht, sich umbringen?“
Deutlich knapper als zuvor kam die Antwort, dass die Angestellten es als „Vandalismus“ ausgelegt hätten.
Zum Ende des Interviews stellte die Moderatorin dann eine persönliche Frage an den Justizminister: „Warum treten Sie nicht zurück?“
Gemkow betonte seine Definition von „Verantwortung“ und warf selber Fragen, die es zu klären gilt, auf: „Was müssen wir ändern? … Was ist schiefgelaufen möglicherweise?“ Und so endete das Interview ohne klare Antwort.
Auf Slomkas kritische Nachfrage, ob Rücktritte nicht auch dafür da seien, um „politische Verantwortung“ als Minister zu übernehmen, gab Gemkow lediglich zu bedenken, dass ein Rücktritt für ihn eine Flucht sei.
Auf Twitter gab es viel Lob für die „harte, aber faire Marietta Slomka“.
Allerdings waren nicht alle mit der Art und Weise ihrer Interviewführung einverstanden.
Kritik an Sachsens Polizei und Justiz wächst
Es hätte nicht passieren dürfen - und doch will Sachsens Justiz alles richtig gemacht haben. Nach dem Selbstmord von al-Bakr in der JVA Leipzig fordern die Grünen jetzt einen Untersuchungsausschuss.
Quelle: Die Welt