Judit Varga kennt Brüssel und die Macht-Arithmetik der EU von innen: Sie hat neun Jahre lang für verschiedene Fidesz-Europaabgeordnete gearbeitet, bis sie im Juni 2008 zur Staatssekretärin für EU-Beziehungen berufen wurde. Seit Juli ist die Juristin ungarische Justizministerin, ihr Haus verantwortet seither auch die EU-Politik ihres Landes.
WELT: Wo erwarten Sie Meinungsverschiedenheiten mit der neuen EU-Kommission?
Varga: Ich bin nicht naiv, und die Debatte gehört zum Wesen europäischer Demokratie. Aber immerhin haben wir einen besseren Ausgangspunkt, wo Europa nicht eingeteilt wird in gute und böse Staaten. Unter Jean-Claude Juncker wurde viel Vertrauen zerstört. Jetzt geht es um den Wiederaufbau von Vertrauen auf der Grundlage von Respekt. Dafür steht Ursula von der Leyen.
WELT: Zu einem vertrauensvollen Umgang gehört auch, dass die EU-Mitglieder solidarisch miteinander sind. Übernimmt Ungarn in Europa genügend Verantwortung, etwa in der Migrationskrise?
Varga: Migration ist eine Herausforderung, die uns viele Jahrzehnte beschäftigen wird. Es ist nicht gut, wenn in Brüssel von oben herab kurzfristige Lösungen diktiert werden – etwa eine Quotenregelung für die Aufnahme von Flüchtlingen. Quoten sind eine Einladung an Menschenhändler.