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  4. Türkei: Erdogan ist die AKP, ohne ihn ist die Partei nichts

Ausland Absturz der AKP

Auslaufmodell Erdogan

Korrespondentin für Türkei, Griechenland, Balkan
Quelle: The Image Bank Unreleased/Getty Images; Montage: Infografik WELT
Die türkischen Kommunalwahlen haben die politische Landkarte dramatisch verändert und die Schwächen von Präsident Erdogan aufgezeigt. Welche Folgen der AKP-Crash hat – und wer die Türkei von morgen prägen wird.
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Die Partei des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan kennt nur das Siegen. Seit ihrer Gründung in den frühen 2000er-Jahren war die AKP unangefochten stärkste politische Kraft in der Türkei. Bis jetzt. Bei den Kommunalwahlen am vergangenen Sonntag wurde sie von der Opposition überholt.

Zwar stand der Präsident selbst nicht auf dem Stimmzettel. Doch Erdogan ist die AKP, ohne ihn ist die Partei nichts. Und somit ist dieses Wahlergebnis ein Einschnitt – mit dem Potenzial, die türkische Innen- wie Außenpolitik zu beeinflussen. Erdogan will nun Fehler „korrigieren“, kündigte er an.

Was bedeutet das?

Krankende Wirtschaft

Erdogan stand einmal für den wirtschaftlichen Aufschwung, unter ihm entstand eine Mittelschicht. Der Wohlstand, zuvor den großen Städten im Westen vorbehalten, kam nach Anatolien. Brücken, Straßen, Flughäfen und Gleise wurden gebaut, eine allgemeine Krankenversicherung eingeführt. Dass Erdogans Politikstil über die Jahre immer autoritärer wurde – für seine Unterstützer zweitrangig.

Quelle: Infografik WELT

Seit 2018 aber geht es wirtschaftlich bergab. Die Inflation treibt die Kosten des täglichen Lebens in die Höhe. Die ältere Generation leidet besonders unter der Teuerung. Die Mindestrente in der Türkei beträgt umgerechnet knapp 290 Euro und liegt unter dem Mindestlohn. Viele pensionierte Wähler blieben aus Enttäuschung der Kommunalwahl fern und trugen so zum schwachen Ergebnis der AKP bei.

Quelle: Infografik WELT

Experten machen für die hohe Inflation auch die jahrelange lockere Geldpolitik verantwortlich. 2023 war damit Schluss. Der Finanzminister führte strenge Sparmaßnahmen ein. Auch die Niedrigzinspolitik fand ein Ende, heute liegt der Leitzins bei 50 Prozent. Ausländische Investoren lobten den neuen Kurs.

Für die Bevölkerung aber ist er hart. Kredite sind teuer geworden. Die Mehrwertsteuer wurde erhöht. Und noch immer steigen die Preise. Erdogan weiß, dass die Wähler ihm mit der Kommunalwahl eine Botschaft gesendet haben: die Wirtschaft in Ordnung zu bringen. Vier Jahre hat er Zeit.

Spätestens dann stehen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen an. Ihm bleibt nun wohl nichts anderes übrig, als zu warten, bis die bitteren Maßnahmen wirken – auch wenn die verlorene Wahl eine Diskussion über den Sparkurs angefacht hat. Denn mit einer Abkehr würde Erdogan die langfristige finanzielle Stabilität der Türkei aufs Spiel setzen.

Polarisierung

Die wirtschaftliche Lage ist zentral, aber sie ist nicht das einzig bestimmende Thema. Erdogan versteht sich auch auf Identitätspolitik. Bevor er an die Macht kam, dominierte eine urbane Elite westlichen Lebensstils. Die konservative Bevölkerung anatolischer Herkunft war politisch unterrepräsentiert. Erdogan gab ihnen eine Stimme, und sie dankten ihm dafür. Das zeigte sich im vergangenen Jahr, als er erneut zum Präsidenten gewählt wurde.

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Die Kommunalwahl allerdings macht deutlich, dass das rechte Lager zersplittert. Mit gut sechs Prozent der Stimmen wurde die Neue Wohlfahrtspartei (YRP) drittstärkste Kraft, eine islamistische Vereinigung, deren Vorsitzender zum Boykott Israels aufruft. Für die nächsten Wahlen sieht der Politikwissenschaftler Berk Esen wenig Spielraum für Erdogan, Stimmen zurückzugewinnen.

Eine mögliche Strategie allerdings betrachtet er mit Sorge: die Konsolidierung des rechten Blocks. „Wenn man die Stimmanteile der rechten Parteien zusammennimmt, könnte Erdogan es auf knapp 47 Prozent schaffen“, sagt Esen. Zwar würden nicht alle Wähler des rechten Lagers die AKP befürworten. „Erdogan könnte aber versuchen, sie mit einer Strategie der Polarisierung zu mobilisieren.“ Etwa mit einer kompromisslosen Haltung in der Kurdenfrage und hartem Vorgehen gegen die größte Oppositionspartei CHP.

Einen potenziellen Vorgeschmack darauf gab es diese Woche in der zweitgrößten kurdischen Stadt Van, wo der Kandidat der prokurdischen DEM die Wahl zum Oberbürgermeister gewann. Abdullah Zeydan wurde allerdings das Recht entzogen, gewählt zu werden – stattdessen sollte der zweitplatzierte AKP-Kandidat ernannt werden.

Nach massiven Protesten entschied der höchste Wahlrat, dass Zeydan sein Amt doch antreten darf. Der öffentliche Druck dürfte eine Rolle gespielt haben. Berkay Mandiraci von der International Crisis Group sagt, er halte es für „unwahrscheinlich, dass die türkische Wirtschaft größeren sozialen Unruhen standhalten kann“.

Offensive nach außen

Die Türkei steht als Nato-Land formell im westlichen Lager. Gleichzeitig arbeitet Ankara eng mit Moskau zusammen. Das wirkt widersprüchlich, und die Türkei gilt in Washington, Brüssel wie Berlin als schwieriger Partner. Ankara indes spricht von strategischer Autonomie. Man will sich als unabhängige Regionalmacht etablieren. Die geopolitische Bedeutung macht es möglich. Auch dafür schätzen Erdogans Wähler ihn.

Grundsätzlich wird sich daran nichts ändern – die Ausprägung ist allerdings durchaus flexibel. Türkei-Experte Mandiraci erwartet, dass Ankara einen konstruktiven Umgang mit der EU und den USA anstrebt, „denn das bedeutet auch, das Vertrauen potenzieller Investoren aus dem Ausland zu gewinnen“.

Besonders wichtig seien Aspekte, die Einfluss auf die türkische Wirtschaft haben. Etwa die Modernisierung der Zollunion zwischen der EU und der Türkei. Dienstleistungen sowie einige landwirtschaftliche Produkte nämlich sind davon bislang ausgenommen. Drittländer, die Handelsabkommen mit der EU abschließen, bekommen zudem Zugang zum türkischen Markt – aber nicht andersherum.

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Die Modernisierung der Zollunion hatten die EU-Staats- und Regierungschefs zuletzt an die Lage im östlichen Mittelmeer geknüpft. Dort gerieten die Türkei und Griechenland in den vergangenen Jahren mehrmals aneinander. Seit rund einem Jahr allerdings herrscht auffällige Harmonie. Auch Washington und Ankara pflegten zuletzt einen freundlichen Ton.

Der nächste Erdogan

Erdogan will die politischen Geschicke der Türkei nur noch bis zum Ende seiner aktuellen Amtszeit lenken. Mehrfach hat er gesagt, dass er 2028 nicht mehr antreten wolle – womit sich die Frage nach seinem Nachfolger stellt. Innerhalb der AKP sind bislang kaum Kandidaten aufgefallen, die die Massen begeistern können. Die verlorenen Kommunalwahlen sind ein weiteres Indiz dafür.

Die siegreiche Oppositionspartei CHP hingegen brachte in den vergangenen Jahren gleich zwei Hoffnungsträger hervor. Zum einen Ekrem Imamoglu, der charismatische Oberbürgermeister von Istanbul. Er gilt als Pragmatiker, der sowohl liberale, konservative als auch kurdische Wähler ansprechen kann. Am Sonntag wurde er wiedergewählt. „Wer Istanbul gewinnt, gewinnt die Türkei“, hat Erdogan einmal gesagt.

Zum anderen Mansur Yavas, Oberbürgermeister der Hauptstadt Ankara. Auch er ist beim Volk beliebt und wurde mit einem beachtlichen Abstand von rund 29 Prozentpunkten zu seinem AKP-Herausforderer im Amt bestätigt.

Aufseiten des Erdogan-Lagers fällt immer wieder der Name von Erdogans Schwiegersohn Selcuk Bayraktar. Er ist Vorsitzender und Technologiechef des türkischen Waffenherstellers Baykar und hat die Drohne Bayraktar TB2 entwickelt, wofür er in der Türkei große Anerkennung genießt. Politisch hat er sich bislang kaum hervorgetan.

Erdogan hat das Land geprägt wie kein anderer seit Staatsgründer Atatürk. Das System, das er schuf, konzentriert die Macht auf die Person an der Spitze. Sollten ihm Zweifel kommen, dass ein potenzieller Nachfolger das Zeug zum Wahlgewinner hat, könnte er mit einer weiteren Amtszeit liebäugeln.

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