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  4. Einigung im Streit über Rechtsstaat: Brüssel lässt Corona-Milliarden fließen

Ausland EU-Gipfel

Für Merkel geht es mit diesem Kompromiss auch um ihr europäisches Vermächtnis

Angela Merkel zeigt sich zuversichtlich bei Corona-Hilfen

Nach heftigem Streit mit Ungarn und Polen soll der EU-Gipfel dem europäischen Haushaltspaket und den Corona-Hilfen endgültig den Weg ebnen. Sehen Sie hier dazu ein Statement von Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Quelle: WELT

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Vor dem Treffen in Brüssel hat Angela Merkel offenbar einen Kompromiss mit Polen und Ungarn erreicht. Doch der sorgt bereits für wütende Kritik. Und ist nicht das einzige Streitthema, das droht.

Erleichterung vor dem EU-Gipfel am heutigen Donnerstag: In enger Abstimmung mit der EU-Kommission hat es die Bundesregierung – sie führt bis Ende Dezember den Vorsitz über die 27 europäischen Mitgliedstaaten – offenbar geschafft, Polen und Ungarn beim Haushaltsstreit zum Einlenken zu bewegen.

Damit hat Kanzlerin Angela Merkel einen ersten Teilerfolg erzielt, bevor das Spitzentreffen überhaupt begonnen hat. Sollten alle Staats- und Regierungschefs dem ausgehandelten Kompromiss am Donnerstag zustimmen, wäre der Weg frei für den EU-Langfristhaushalt für die kommenden sieben Jahre und den 750 Milliarden Euro schweren Corona-Wiederaufbaufonds.

Polen und Ungarn hatten das insgesamt rund 1800 Milliarden Euro schwere Paket blockiert, weil die Auszahlung der Haushaltsgelder erstmals daran geknüpft werden soll, dass die Empfängerländer rechtsstaatliche Prinzipien wahren. Der Grund: Budapest und Warschau müssten fürchten, dass dieser Rechtsstaatsmechanismus sofort nach Inkrafttreten gegen sie eingesetzt wird. Gegen beide Länder laufen bereits ähnliche Verfahren wegen der Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien.

Auf einem Treffen in Warschau am Dienstagabend haben sich Ungarns Premierminister Viktor Orbán und Mateusz Morawiecki aber offenbar darauf geeinigt, den von Deutschland ausgearbeiteten Kompromissvorschlag zu akzeptieren. Er sieht nach WELT-Informationen vor, dass die Staats- und Regierungschefs am Donnerstag eine Zusatzerklärung verabschieden.

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Darin soll offenbar zugesichert werden, dass der Rechtsstaatsmechanismus nur auf das EU-Budget angewandt werden kann, die Souveränität der Staaten aber nicht antastet. Er soll zudem erst für künftige EU-Haushalte gelten und nicht für die Milliarden, die Polen und Ungarn aus dem laufenden Haushalt noch zustehen.

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In einer Zusatzerklärung sollte zunächst noch stehen, dass die EU-Kommission Ungarn nicht zwingen wird, Migranten aufzunehmen und Polen nicht vorschreiben wird, das konservative Familienbild aus der Verfassung zu streichen. Dieser Wortlaut fand sich aber in einer neuen Fassung der Erklärung nicht mehr. Beide Themen haben ohnehin mit dem Rechtsstaatsmechanismus auf den ersten Blick nichts zu tun.

Orbán hatte aber zu Hause immer wieder behauptet, der Mechanismus könne eingesetzt werden, um Ungarn zur Aufnahme von Migranten zu zwingen. Morawiecki wiederum hatte behauptet, der EU ginge es darum, das konservative Familienbild als Leitidee der Verfassung auszuradieren. Beide können den Kompromiss deshalb zu Hause als Sieg für sich reklamieren.

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Außerdem soll der betroffene Staat den Europäischen Gerichtshof (EuGH) anrufen können, um den Rechtsstaatsmechanismus zu prüfen. Bis dahin soll er nicht greifen. Warschau und Budapest vertreten den Standpunkt, dass die Rechtsstaatssanktionen gegen EU-Recht verstoßen. In Brüssel stößt dieser Punkt auf Kritik, etwa im Europäischen Parlament: „Der Deal mit Polen und Ungarn darf jetzt nicht dazu führen, dass der Mechanismus verzögert wird oder gar nicht eingesetzt wird“, warnt der grüne Europaabgeordnete Daniel Freund.

Merkels heikle Aufgabe: Polen und Ungarn haben nachgegeben, jetzt müssen auch noch die 24 übrigen EU-Regierungschefs zustimmen, insbesondere der niederländische Premier Mark Rutte, Österreichs Kanzler Sebastian Kurz und Dänemarks Regierungschefin Mette Frederiksen – sie fordern klare Kante gegenüber Warschau und Budapest. Vor allem die Absegnung durch den EuGH könnte bei weiteren Abgeordneten im EU-Parlament auf heftigen Widerstand treffen.

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Neben dem Streit über den Rechtsstaatsmechanismus liegen weitere Brocken auf dem Tisch. Der Brexit gehört nicht dazu, er ist bei diesem Gipfel kein Thema. Dennoch steht Merkel unter einem ungeheuren Druck. Sie scheidet in neun Monaten aus dem Amt, es geht bei diesem Gipfel unter deutschem Vorsitz auch um ihr europäisches Vermächtnis. Diese Streitthemen liegen auf dem Tisch:

Klima

Auf dem Treffen sollen sich die Staats- und Regierungschefs auch auf ein neues Klimaziel für 2030 festlegen. Bisher hat sich die EU verpflichtet, ihren Ausstoß von Klimagasen bis 2030 um 40 Prozent gegenüber den Emissionen von 1990 zu senken. Jetzt soll sich Europa schneller in Richtung Klimaneutralität bewegt. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen plädiert deshalb für eine Reduktion der Emissionen von mindestens 55 Prozent bis 2030. Die allgemeine Zustimmung zum 55-Prozent-Ziel ist groß. Wie dieses Ziel erreicht werden soll, ist aber umstritten. Elf EU-Länder haben sich öffentlich hinter eine Verringerung um mindestens 55 Prozent gestellt, darunter Frankreich und Spanien. Deutschland unterstützt das Ziel ebenfalls. Polen, Ungarn und Tschechien wollen günstige Sonderkonditionen beim Emissionshandel und bei der Lastenverteilung.

Merkels Aufgabe: Gelingt eine halbwegs harmonische Einigung beim Rechtsstaat, dürfte sich der Klimastreit nach traditioneller EU-Methode lösen lassen: Mit zusätzlichem Geld aus Brüssel für Polen, Tschechien und andere Staaten, die Widerstand gegen das 55-Prozent-Ziel leisten.

Sanktionen gegen die Türkei

Die Beziehungen zwischen Brüssel und Ankara haben mittlerweile einen neuen Tiefpunkt erreicht. Auf das Dialogangebot der Europäer vom Oktober hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan reagiert mit der erneuten Entsendung eines Schiffes zur Erdgassuche im Mittelmeer, Boykottaufrufen gegen französische Waren, der Diffamierung des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron als „geisteskrank“ und einer aggressiven Politik im Konflikt um die Region Bergkarabach im Südkaukasus. Es sind lauter Schritte, die den Interessen der EU entgegenlaufen.

Beim Treffen der EU-Außenminister am Montag zeichnete sich erstmals eine breite Front zur Ausweitung von Sanktionen ab. Neben Zypern und Griechenland drängt vor allem Frankreich auf Strafmaßnahmen und will beim Gipfel konkrete Vorschläge präsentieren. Sicher ist, dass weitere Personen und Unternehmen, die in Zusammenhang mit der Erdgassuche vor Zypern stehen, mit Einreiseverboten und Kontosperrungen belegt werden.

Wahrscheinlich ist auch, dass die EU künftig mit einer weiteren Sanktionsstufe drohen wird, falls Erdogan seine Politik fortsetzt. Dann könnten beispielsweise auch türkische Beamte und Politiker, die für die Außenpolitik ihres Landes verantwortlich sind, bestraft werden. Wirtschaftssanktionen und ein Waffenembargo sind dagegen ausgeschlossen.

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Merkels Aufgabe: Sie muss in der Sanktionsfrage endlich Farbe bekennen. Gleichzeitig sollte Merkel versuchen, insbesondere Macron zu beruhigen. Am Ende muss die Kanzlerin dann ein Sanktionspaket schnüren, mit dem die Erdogan-Kritiker wie Macron genauso gut leben können wie diejenigen Staaten wie Italien und Spanien, die immer wieder den Dialog mit Ankara suchen.

Covid-19

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Im Mittelpunkt steht hier die Frage, wie die EU-Länder es hinbekommen, die Corona-Impfungen in enger Abstimmung durchzuführen. Spanien hat vorgeschlagen, dass alle EU-Länder an einem bestimmten Stichtag mit den Impfungen beginnen sollen.

Merkels Aufgabe: Sie wird den Vorschlag aus Madrid zur Debatte stellen.

Das sind die Konfliktthemen im Brexit-Streit

Trotz eines mehrstündigen Gesprächs zwischen Boris Johnson und Ursula von der Leyen konnte im Brexit-Streit bislang kein Kompromiss erzielt werden. Angela Merkel hatte sich bereits im Vorfeld des EU-Gipfels klar zum Konflikt positioniert.

Quelle: WELT/Perdita Heise

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