Alexander Schallenberg, 51, empfängt an seinem Dienstsitz am Minoritenplatz im Herzen Wiens. Die österreichische Hauptstadt wurde in dieser Woche von einem Terroranschlag erschüttert. Für den Außenminister sind dies angespannte Zeiten, es gibt viel zu besprechen: die fürchterlichen Ereignisse in Wien, aber auch die Wahlen in den USA und die Politik gegenüber der Türkei.
WELT: Herr Minister, sind Sie auch irritiert von der langsamen Stimmenauszählung in Amerika?
Alexander Schallenberg: Es ist keine Überraschung, dass es sehr spannend geworden ist, und auch nicht, dass wir uns in Geduld üben müssen. Dass die Wahlbehörden so gründlich und genau arbeiten, zeigt, dass sie ihrer verantwortungsvollen Aufgabe mit der nötigen Ernsthaftigkeit nachkommen. Manchmal benötigt Demokratie eben ihre Zeit. Es ist im Interesse aller, dass das Ergebnis allen Anfechtungen standhält.
WELT: Was muss sich aus europäischer Sicht ändern nach der Präsidentschaft von Trump?
Schallenberg: Wir als Europa können keine nach innen gewandten Vereinigten Staaten wollen, keine USA der Nabelschau. Wir brauchen sie als starken Partner, der nach außen wirkt und sich international engagiert. Was wir jetzt schon wissen, unabhängig davon, wer letztendlich in das Weiße Haus einzieht – Europa sollte auf die USA zugehen. Unser Ziel sollte es sein, den Nordatlantik wieder ein Stück kleiner zu machen.
WELT: In Wien hat es diese Woche einen islamistischen Terroranschlag mit fünf Toten und zahlreichen Verletzten gegeben. Was erwarten Sie von den europäischen Partnern im Kampf gegen den politischen Islam?
Schallenberg: Wir müssen gemeinsam mit den europäischen Partnern eine ganz klare Botschaft senden: Der politische Islam hat in Europa keinen Platz. Die feige und verabscheuungswürdige Tat in Wien zeigt schmerzlich, dass kein Land vor solchen Angriffen gefeit ist.
WELT: Über die Türkei und Libyen könnten zahlreiche Dschihadisten, getarnt als Migranten, nach Europa kommen. Es droht weiterer Terror. Was tun?
Schallenberg: Wir müssen den Austausch mit den europäischen und internationalen Partnern intensivieren, auch was die Identifikation und Überwachung potenzieller Gefährder betrifft. Terroristen sind extrem gut vernetzt, wir müssen noch besser vernetzt sein. Gleichzeitig müssen wir – wie auch Bundeskanzler Kurz gesagt hat – klarmachen, dass es sich hier nicht um einen Konflikt zwischen Menschen verschiedener Religionen oder unterschiedlicher Herkunft handelt. Es ist ein Kampf zwischen Menschen, die an Frieden, Demokratie und die Rechte und Würde eines jeden Menschen glauben, und jenen wenigen, die dies nicht tun. Wir werden dem Terror nicht nachgeben. Gegenüber Terrorismus gibt es keine Neutralität.
WELT: Die EU liegt seit Langem mit der Türkei im Clinch. Erst kürzlich haben die Europäer das Land wegen der „einseitigen Aktionen im östlichen Mittelmeer“ bei der Suche nach Erdgasvorkommen erneut scharf verurteilt. Tanzt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan Europa nicht mittlerweile auf der Nase herum?
Schallenberg: Es muss allen Seiten klar sein, dass Ansprüche auf Gasvorkommen und Seegrenzen nur am Verhandlungstisch oder vor dem Internationalen Gerichtshof geklärt werden können und nicht mit militärischen Mitteln.
WELT: Aber Ankara hat seine Schiffe, darunter auch ein Militärschiff, vor Zypern zunächst zurückgezogen, um sie wenige Tage später wieder zur Erkundung von Gasvorräten zurückzuschicken.
Schallenberg: Wir dürfen keine Naivität an den Tag legen und uns von den Winkelzügen des Präsidenten Erdogan täuschen lassen. Wir stehen ganz klar auf der Seite von Zypern und Griechenland. Daran darf es keinen Zweifel geben. Es kann nicht sein, dass die Türkei mit Militärpräsenz in der Region versucht, Fakten zu schaffen. Andererseits sollten wir alles tun, damit es zu Verhandlungen zwischen beiden Seiten kommt.
WELT: Die Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer sind nicht die einzige Baustelle im Verhältnis zur Türkei. Ankara schmuggelt bis heute schwere Waffen nach Libyen. Zudem hat Erdogan wegen der Kritik aus Paris am politischen Islam zum Boykott französischer Produkte aufgerufen, den französischen Präsidenten als geistesgestört bezeichnet und darüber hinaus versucht, eine weltweite islamische Empörungswelle gegen Frankreich loszutreten. Wie lange kann sich Europa das noch bieten lassen?
Schallenberg: Wir haben bereits in einem ersten Schritt Sanktionen gegen türkische Unternehmen und Staatsbürger verhängt, die im östlichen Mittelmeer an den illegalen Erdgasexplorationen beteiligt waren.
WELT: Reicht das? Athen forderte zuletzt ein Waffenembargo gegen die Türkei. Der Fraktionschef der europäischen Konservativen (EVP) im EU-Parlament, Manfred Weber, hat außerdem eine Aussetzung der Zollunion mit der Türkei vorgeschlagen.
Schallenberg: Ich bin froh, dass in der EU immer mehr das Bewusstsein wächst, dass wir an einem Wendepunkt in den Beziehungen mit der Türkei angekommen sind. Ankara ist sehr geschickt darin, je nach Stimmung innerhalb der EU oder vor wichtigen Entscheidungen der Mitgliedstaaten entweder zu eskalieren oder zu deeskalieren. Dieser Jo-Jo-Politik der Türkei muss die EU nicht nur mit klaren Worten, sondern auch konkreten Taten begegnen. Es gibt wohl kaum einen anderen EU-Mitgliedstaat, dessen Linie hier so klar ist wie jene Österreichs. Wir sind daher auch bereit, über alle Vorschläge zu sprechen, die es uns als EU erlauben, der Türkei ganz klar die roten Linien aufzuzeigen.
WELT: Die Türkei ist seit Jahren EU-Beitrittskandidat. Wird das Land in 30 Jahren Mitglied der Union sein?
Schallenberg: Nein, das sehe ich nicht. Österreich vertritt schon länger die Meinung, dass die bereits eingefrorenen Beitrittsgespräche auch formal komplett eingestellt werden müssen. Beide Seiten, die EU und die Türkei, wissen doch, dass die Beitrittsverhandlungen in Wahrheit zu nichts mehr führen werden. Die Türkei wendet sich immer mehr von Europa ab, das bestätigt auch der jüngste Fortschrittsbericht der EU-Kommission zur Erweiterung. Die Regierung in Ankara tritt die sogenannten Kopenhagener Kriterien wie Rechtsstaatlichkeit und Respekt vor Menschenrechten, deren Einhaltung für einen Beitritt unbedingt notwendig wäre, seit Jahren mit Füßen. Nein, wir sollten jetzt anfangen, an einer maßgeschneiderten partnerschaftlichen Kooperation zu arbeiten, die den Interessen beider Seiten gerecht wird.
Welt: Neben Erdogan ist auch der weißrussische Machthaber Lukaschenko eine Herausforderung für die Europäer. Er hat die Wahlen verloren, bleibt aber im Amt und knüppelt die Oppositionsbewegung seit Wochen nieder. Wie sollte Brüssel reagieren?
Schallenberg: Die Europäer sollten mithelfen, freie und faire Wahlen in Weißrussland zu ermöglichen und den Prozess dorthin auch begleiten. Wir dürfen nicht den Fehler machen und sagen: Wir wissen, wer Weißrussland zu führen hat.
WELT: Aber wie soll das gehen, wenn der Machtapparat in Minsk weiterhin so brutal agiert?
Schallenberg: Es muss einen nationalen inklusiven Dialog geben. Die Lösung liegt in Minsk, sie darf nicht aus Brüssel oder Moskau kommen. Wichtig ist, dass die Oppositionspolitiker wieder zurückkehren können nach Weißrussland, ohne Gewalt fürchten zu müssen. Die Gewalt auf der Straße muss endlich beendet werden. Die Lösung liegt einzig am Verhandlungstisch. Aber das muss ein echter und aufrichtiger Dialog sein, kein Scheindialog. Dem Machthaber in Minsk muss klar sein: Diese Krise lässt sich nicht aussitzen. Eine Rückkehr zum Status quo ist ausgeschlossen. Der Geist der Veränderung ist aus der Flasche entwichen und lässt sich nicht mehr zurückzwingen.
WELT: Es gibt aber weiterhin Massenverhaftungen und Folter von friedlichen Demonstranten. Die Sanktionen aus Brüssel gegen Lukaschenkos Anhänger scheinen den Machthaber nicht zu beeindrucken.
Schallenberg: Die bisherigen Sanktionen gegen Weißrussland sind ein Warnschuss. Aber sie hatten von vornherein das Potenzial, die Temperatur zu erhöhen. Die EU-Außenminister haben klar gesagt, dass graduelle Sanktionen möglich sind.
„Der Kampf gegen den islamistischen Terror ist unser gemeinsamer Kampf“
Österreichs Hauptstadt steht unter Schock. Nach dem Terror-Anschlag in Wien am Montagabend haben sich nun Frankreichs Präsident und Bundeskanzlerin Merkel geäußert. Macron betonte: „Wir werden nicht nachgeben."
Quelle: WELT/ Christoph Hipp
WELT: Was kann außer Sanktionen noch helfen?
Schallenberg: Wir haben uns auf eine Rekalibrierung von EU-Mitteln in Höhe von rund 53 Millionen Euro geeinigt, um der Zivilgesellschaft den Rücken zu stärken. Das Geld soll Nichtregierungsorganisationen, der Jugend und unabhängigen Medien zugutekommen. Es muss vor allem darum gehen, der Zivilgesellschaft die Hand zu reichen. Wir müssen verhindern, dass sich ein neuer Eiserner Vorhang rund um Weißrussland legt.
WELT: Hinter Lukaschenko steht Putin. Braucht die EU eine neue Russlandpolitik?
Schallenberg: Es gilt weiterhin, was der frühere deutsche Außenminister Steinmeier gesagt hat: Es wird keine nachhaltige Sicherheit und Stabilität gegen Russland geben, sondern nur mit Russland. Wir müssen im Dialog bleiben, aber gleichzeitig – möglicherweise noch deutlicher als bisher – unsere roten Linien klar aufzeigen. Russland wird immer unser Nachbar bleiben. Aber wir stehen eindeutig nicht mehr auf derselben Seite des Flusses, was unser Lebensmodell, unsere Werte und unseren Politikansatz angeht.
WELT: Wird Europa durch Russland und China künftig noch stärker unter Druck geraten?
Schallenberg: Man muss wissen, dass unser wertebasiertes Lebensmodell nur noch von einem Viertel der Mitglieder der Vereinten Nationen (UN) vertreten wird. Die Freiheit ist in Gefahr auf unserem Planeten. Europa wird sicherlich unter Druck geraten. Wir müssen wissen, wo wir stehen. Wenn wir wollen, dass unsere Kinder und Enkel in einer freien und demokratischen Welt aufwachsen, dann sollten wir gewisse rote Linien in unserer Zusammenarbeit mit Russland und China nicht überschreiten.
WELT: Was könnten die Europäer als Druckmittel einsetzen?
Schallenberg: Die EU ist der zweitgrößte Handelsblock und der größte Geldgeber weltweit. Wir können selbstbewusst auftreten.