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Politik Blockflöten-Debatte

Wie die CDU ihre Ost-Vergangenheit vergessen will

Stv. Chefredakteur
Knapp zwanzig Jahre nach der Wende drängt die Debatte um die Vergangenheit der Ost-CDU beim Parteitag in Stuttgart nach vorn. Von einer echten Aufarbeitung kann aber nicht die Rede sein: Denn anstatt sich mit den Vorwürfen gegen die Partei auseinander zu setzen, wird lieber auf deren Kritiker geschimpft.

Fast wäre der Eindruck entstanden, die CDU wolle sich ernsthaft mit ihrer Vergangenheit in der DDR auseinandersetzten. Aber das ganze war nur ein Unfall. Eine Panne in der Parteitagsregie, die ja schon Monate vor dem 22. Parteitag der CDU Deutschlands begonnen hat. Hier sollten Angela Merkel und ihre Stellvertreter mit eindrucksvollen Ergebnissen in das Superwahljahr geschickt werden (hat geklappt) und der innerparteiliche Streit um Steuersenkungen unter der Decke gehalten werden (hat nicht so gut geklappt).

Und nebenbei wollte die Union auch noch auf das Problem der SPD hinweisen, die sich durch ihre Zusammenarbeit mit der SED-Nachfolgepartei „Die Linke“ unglaubwürdig macht. Dafür schrieb die Parteiführung einen Antrag unter dem Titel „Geteilt. Vereint. Gemeinsam. Perspektiven für den Osten Deutschlands“ – und da ist der Unfall passiert. Denn in den 1180 langen Zeilen stand viel Wahres und Richtiges über die Verbrechen der SED und das Versagen der westdeutschen SPD. Nur eines fehlte: Jedes Wort über die Ost-CDU. Aber die hat als eine von vier Blockparteien ebenfalls zur DDR gehört.

Das totale Verschweigen ging vielen zu weit: „Es kann doch nicht sein, dass die CDU die einzige Partei ist, die nicht weiß, dass es eine Ost-CDU gab“, sagte etwa Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer. Der CDU-Kreisverband Halle schrieb einen Änderungsantrag, der sich zur „schuldhaften Mitverantwortung der Führung der CDU“ bekannte. Die Parteiführung reagierte auf die anschwellende Debatte: In einem Änderungsantrag schreibt sie jetzt, die Ost-CDU sei „zwangsweise gleichgeschaltet“ worden, hätte „Ideen der christlichen Demokratie in Zeiten der Diktatur wach gehalten“ und „einen Beitrag zur friedlichen Revolution geleistet“, aber auch: „Gleichwohl hat die CDU in der DDR im totalitären System der SED-Diktatur mitgewirkt.“

Der Generalsekretär der CDU, Ronald Pofalla, hat die späte Änderung als Aufzählung einer Selbstverständlichkeit dargestellt, die nur vergessen wurde, weil sie sowieso jedem in der CDU bewusst sei. Auf dem Parteitag entsteht ein anderer Eindruck. In einem aufwendig produzierten Videofilm „60 Jahre soziale Marktwirtschaft, 20 Jahre friedliche Revolution“, der die Debatte einleitet, heißt es: „Angela Merkel engagierte sich im Wendeherbst beim Demokratischen Aufbruch, einer der Keimzellen der CDU-Ostdeutschland.“ Tatsächlich zählten die Oppositionellen vom Demokratischen Aufbau noch 3200 Mitglieder, als sie mit der Ost-CDU (13.000 Mitglieder) fusionierte.

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Danach wird die Tagungsleitung von Stanislaw Tillich übernommen. Das ist das nächste deutliche Signal, dass es hier nicht um eine kritische Debatte geht. Denn Tillich, der sächsische Ministerpräsident, steht selbst im Zentrum der Kritik: Er wurde im Mai 1989 zum Stellvertretenden Vorsitzenden des Rates des Kreistag von Kamenz bestimmt und hat diese Funktionärstätigkeit anschließend verschwiegen – etwa als er ein Jahr später in die erste frei gewählte Volkskammer gewählt wurde.

Aber für Tagungsleiter Tillich gibt es sowieso nicht viel zu leiten: Dagmar Schipanski, ehemalige Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten und heutige Landtagspräsidentin in Thüringen, führt in den Antrag ein und bescheidet Kritikern knapp, dass „man das Agieren von Parteien in der Diktatur nicht mit Demokratien vergleichen könne“. Danach kommt nur ein einziger Debattenbeitrag. Der Delegierte Fritz Niedergesäß wählt den deftigen Berliner Dialekt und auch Worte, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen: Die CDU werde sich „nicht beschmuddeln“ lassen.

Der Tillich-Kritiker Karl Nolle, ein Unternehmer und SPD-Abgeordneter, der nach der Wende nach Sachsen zog, sei „der übelste Schmierfink, der aus dem Westen zu uns rübergekommen ist“. Niedergesäß' betont volkstümlicher Vortrag findet seine Höhepunkte immer wieder in Kritikerbeschimpfung: „Von diesen Halunken wollen wir uns nicht vorführen lassen“. Die Kritiker sind Wessis, die Motive niederträchtig, über die DDR darf nur reden, wer darin gelebt hat – in diesem Moment klingt die große, stolze CDU in Stuttgart wie die kleine, uneinsichtige PDS nach der Wende.

Niedergesäß argumentiert, die CDU habe lediglich „Postminister“ gestellt und sei nie an die Schaltstellen der Macht vorgedrungen. Dann ruft er in den Saal: „Von der CDU hat nie jemand im Politbüro gesessen!“ Damit wird die Grenze zum Klamauk endgültig überschritten: Es war schließlich das Politbüro der SED.

Dabei ist die Geschichte der Ost-CDU ist nicht so ruhmlos, dass man sie auf diese Weise verteidigen muss: In der Nachkriegszeit hatte sie mit Jakob Kaiser und Andreas Hermes Vorsitzende, die von der SED nur durch Terror besiegt wurden. Später war ihre Führung korrumpiert, aber viele Mitglieder sahen sie als eine Möglichkeit, in der DDR Karriere zu machen, ohne in die SED eintreten zu müssen. Die CDU könnte sich darauf verständigen, dass jeder, der sich um ein Amt bewirbt, angibt, wann er in die Ost-CDU eingetreten ist und welche Ämter er in Partei und Staat innehatte. Das würde schon reichen. Aber so etwas ist hier kein Thema.

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Im Saal erntet Niedergesäß Beifall. Die Wessis klatschen, weil der Auftritt mit Berliner Schnauze die langweiligen Antragsberatungen so nett auflockert. Die Ossis, die hier klatschen, waren fast alle selbst schon in der Ost-CDU oder in der Bauern-Partei, der zweiten Blockpartei, welche die CDU nach der Wende übernahm. Damals waren die alten Führungen entmachtet und aus der Partei ausgeschlossen worden, Neumitglieder wie Angela Merkel, Rainer Eppelmann oder Günther Nooke, die aus der Bürgerbewegung kamen, prägten gemeinsam mit zugewanderten Westdeutschen wie Kurt Biedenkopf zumindest das öffentliche Auftreten der Union. Doch seit einigen Jahren eroberten die „Blockflöten“, wie die Funktionäre im Volksmund genannt wurden, langsam aber sicher immer mehr Positionen in der CDU zurück. Heute sind in Sachsen nicht nur Ministerpräsident Stanislaw Tillich, sondern auch sein Innenminister, die Sozialministerin, die Umweltministerin, der Fraktionsvorsitzende und der parlamentarische Geschäftsführer ehemalige „Blockflöten“.

Die Zeiten, in denen in der Partei andere das Sagen hatten, sind vorbei. Da ist etwa Arnold Vaatz, der 1982 eine NVA-Übung an der polnischen Grenze verweigerte, Zwangsarbeit leisten musste und 1989 Sprecher des Neuen Forums war. Der Sachse hat 1990 gemeinsam mit dem damaligen Generalsekretär Volker Rühe die Kandidatur des Ost-CDU-Bezirkschefs als sächsischer Ministerpräsident verhindert und so Kurt Biedenkopf erst möglich gemacht. In der Debatte gestern war für ihn klein Platz, deshalb hat er sich schon einen Tag vorher ans Mikrophon gestellt: Vaatz erklärt das Verhältnis von SED und CDU mit der Metapher eines „Banküberfalls“: Die SED hatte die Pistole in der Hand. Die CDU hatte sie Nacken.

Die aktuelle Debatte sei zudem nur eine Erfindung der SPD, die davon ablenken wolle, „dass sie in den 70ern ohne Not vor der SED auf dem Bauch gerutscht ist.“ Warum er so redet, kann man ihn nicht fragen: Am nächsten Tag, bei der eigentlichen Debatte, ist Vaatz nicht im Saal. Auch Vera Lengsfeld nicht, die Bürgerrechtlerin, die für die Berliner CDU für den Bundestag kandidiert. Günter Nooke ist gar nicht erst nach Stuttgart gereist. Wortmeldungen gibt es keine mehr. Tillich leitet zum nächsten Tagesordnungspunkt über.

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