Akribisch bereitet sich der Rennfahrer vor. Schlängelt sich in das enge Cockpit, lässt sich mit den Gurten helfen, zieht sie dann selbst noch fester, putzt die Brille ein letztes Mal und streift die Handschuhe über. Chris MacAllister ist bereit.
Er ist 62 Jahre alt, und er sitzt in einem der teuersten Rennwagen überhaupt. Ach, was heißt teuer? Ein Porsche 917 K ist praktisch unbezahlbar, und wenn doch mal einer versteigert wird wie zuletzt 2017, dann bringt er einen zweistelligen Millionenbetrag. Besser, man denkt nicht dran, so kurz vor dem Rennen.
Willkommen bei dem, was Amerikaner lieben: deutsche Autos, deutsche Wörter und natürlich Motorsport. Die Porsche Rennsport Reunion, gerade zum sechsten Mal abgehalten, ist ein Fest für Rennfahrer und ein Vergnügen für die 70.000 Zuschauer, die vier Tage lang eine einzige Automarke zelebrieren. Sie tun das an einer der besten Rennstrecken der Welt – Laguna Seca, zwei Autostunden südlich von San Francisco.
Wer schon von Laguna Seca gehört hat, der kennt ein weiteres Schlagwort: Corkscrew Corner, die Korkenzieher-Kurve. Nach einer längeren Bergaufpassage geht es erst leicht nach rechts, dann sind die Piloten für den Bruchteil einer Sekunde ohne Sicht auf den Streckenverlauf, müssen gleichzeitig scharf nach links steuern, um sich dann in einer extrem steilen Rechtskurve ins Tal zu stürzen.
Es ist eine der aufregendsten Kurvenkombinationen der Welt, und Chris MacAllister nimmt sie mit der Startnummer 21 eher gelassen. Doch da fährt noch ein zweiter 917 in der Werks-Trophy genannten Rennklasse. Und der pflügt so aggressiv durchs Feld, als gäbe es an jeder Ecke Ersatzteile für einen Porsche 917. Na ja, am Steuer sitzt Bruce Canepa, der eine Firma zur Restaurierung von alten Renn-Porsche hat, der 917 ist sein jüngstes Projekt.
Rennklassen mit deutschen Namen
Außerdem ist ja Amerika ein freies Land, und da kann jeder mit seinem Rennwagen umgehen, wie er möchte. Die sieben Klassen sind nur grob eingeteilt, längst nicht alle Autos sind gleich stark, und so gibt es immer Fahrer, die schon zurückzucken, bevor der Streckenposten die blaue Flagge schwenkt, die anzeigt, dass ein wesentlich schnelleres Auto vorbeigelassen werden muss.
Und es gibt Teilnehmer wie den Österreicher Thomas Gruber, der auf die Frage, ob er unterwegs an den Wert des Rennwagens denke, nur lacht. „Das ist dann vergessen“, sagt er, und genau so fährt er auch: Mit seinem Porsche 914-6 lässt Gruber in der Eifel-Trophy alle Konkurrenten stehen.
Werks-Trophy, Eifel-Trophy – natürlich tragen die Klassen deutsche Namen, vorwiegend Ortsnamen: Stuttgart, Weissach (Porsche-Entwicklungszentrum), Flacht (Motorsportzentrum), Gmund (eigentlich Gmünd, aber die Amerikaner und Umlaute – in Gmünd liefen die ersten Porsche vom Band). Außerdem führen die Fans T-Shirts spazieren, auf denen das Wort „luftgekühlt“ steht, auch „Der Faszination“ ist zu sehen (vielleicht doch ein Fehler?), und mit dem Wort „Werk“ wird in mehreren Varianten gern gearbeitet.
Porsche selbst lässt sein jüngstes Le-Mans-Siegerauto 919 Hybrid hier noch allerletzte Ehrenrunden drehen, bevor es endgültig ins Museum kommt, und für alle wohlhabenden Fans, von denen es in Laguna Seca einige gibt, hat man auch noch ein Zuckerl dabei: die Neuauflage des Rennwagens 935/78, basierend auf dem aktuellen 911 GT2 RS.
Limitiert auf 77 Stück, 701.948 Euro teuer, und schon Minuten nach der Enthüllung habe sein Handy mehrfach geklingelt, sagt Vertriebsvorstand Detlev von Platen: die ersten Bestellungen. Nun beginnt für ihn die schwierige Arbeit, die Kunden auszusuchen, die einen 935 verdienen – ihn also nicht sofort weiterverkaufen.
Die Renngemeinde ist süchtig nach guten Geschichten
Es ist, man kann es nicht anders sagen, eine Veranstaltung am Rande des Existenzmaximums, doch mit Erfolg und Reichtum haben die Amerikaner ja keine Schwierigkeiten – zumal die Reichen in Laguna Seca sich auch sehr zugänglich geben.
Alle Zuschauer haben Zutritt zum Fahrerlager, fast alle Fahrer sind ansprechbar, und sofern sie Mitglieder des amerikanischen Porsche-Clubs sind, haben sie sogar Plakate anfertigen lassen, mit kurzen Infos über sich und ihre Autos. John Allen aus Colorado etwa verweist auf eine kurze, aber steile Rennkarriere: Beim 24-Stunden-Rennen von Dubai Anfang 2018 erreichte er Platz 5 in der GT4-Klasse. „Ich bin jetzt 61 und habe erst mit 55 Jahren angefangen, Rennen zu fahren“, sagt er und lacht in seinen üppigen Bart hinein.
Andere Porsche-Eigner dokumentieren wiederum in akribisch zusammengestellten Collagen wort- und bildreich den Werdegang ihrer Autos. Und wenn man in sehr länglicher Form lesen kann, wie anno dazumal irgendjemand drei Porsche 911 nach Peru geschafft hat, um sie dann wieder nach Stuttgart zu bringen zwecks Renn-Umbauten, dann lernt man, wie süchtig die Gemeinde auch danach ist, dass zu jedem Auto eine Geschichte erzählt werde, und sei sie noch so unbedeutend.
Rennhistorie allerdings, da sind sich alle einig, ist bedeutend, und wertsteigernd ist sie allemal, vor allem, wenn das Auto erfolgreich war. Als Porsche 1969 den 917 brachte, fuhr er bald alles in Grund und Boden, und ein 917 K (Kurzheck) holte auch den ersten von 18 Porsche-Siegen in Le Mans.
Genau dieses Auto besitzt die Firma selbst, doch da der 917 insgesamt nur 32 Mal gebaut wurde, sind alle überlebenden Modelle extrem wertvoll. Chris MacAllister hat sein Exemplar seit 1997, er fühlt sich wohl damit und darin, obwohl er es lieber fährt auf weiträumigeren Strecken, Laguna Seca ist ihm ein bisschen eng.
Das ist Dietrich Hatlapa mit seinem 58 Jahre alten RS60 ganz egal. Für den deutschen Oldtimerexperten und Gründer der Bewertungsfirma HAGI stand die Teilnahme an der Rennsport Reunion einfach auf der Liste der Dinge, die man mal getan haben muss. Platz 26 von 42 Teilnehmern hat Hatlapa erreicht, aber das Ergebnis war ihm egal. „Das Auto ist noch ganz, das zählt.“
Die Reise zur Rennsport Reunion wurde unterstützt von Porsche. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter www.axelspringer.de/unabhaengigkeit.