In den frühen Morgenstunden des 28. Januar 1938 fand auf der heutigen Autobahn A5 zwischen Frankfurt/Main und Darmstadt ein denkwürdiger Showdown statt: Rudolf Caracciola auf Mercedes-Benz und Bernd Rosemeyer auf Auto Union, die Rivalen aus zahlreichen vorangegangenen Rennschlachten, trafen dort zum finalen Duell aufeinander.
Ziel des erbitterten Kampfes gegen die Stoppuhr war das Aufstellen eines neuen Weltrekords auf einer öffentlichen Straße. Als passende Kulisse dazu kam der NS-Propaganda ihr nationales Vorzeigeprojekt gerade recht: die neu gebaute Reichsautobahn.
Rudolf Caracciola galt in den 20er- und 30er-Jahren als begnadeter Rennfahrer mit einem nahezu übersinnlichen Instinkt für den Grenzbereich der Fahrphysik, vor allem auf nasser Fahrbahn. Etliche Rennsiege bei strömendem Regen bescherten ihm den Beinamen „Regenmeister“ ein.
In den frühen Morgenstunden des 28. Januar 1938 kletterte Caracciola in das offene Cockpit des Mercedes-Benz W125. Die Leichtmetallkarosserie des 6,25 Meter langen, aber nur 1,15 Meter hohen stromlinienförmigen Rekordwagens war im Windkanal entwickelt worden. Das Ergebnis war ein sensationell niedriger cw-Wert von 0,157.
Angetrieben wurde er von einem längs eingebauten V12-Triebwerk mit zwei Kompressoren, das aus 5 577 cm3 Hubraum 736 PS bei 5800/min holte. Seine gewaltige Kraft wurde über ein manuelles Vierganggetriebe auf die Hinterräder des 1185 Kilogramm schweren Boliden übertragen. Für die Verzögerung sorgten vorn und hinten überdimensionale Trommelbremsen, mit 40 Zentimetern Durchmesser so groß wie eine Familienpizza.
Auf der abgesperrten Messstrecke, einem kerzengeraden Abschnitt der neuen Reichsautobahn, erreichte Caracciola als Durchschnittsgeschwindigkeit zweier aufeinanderfolgender Messungen mit Richtungswechsel 432,7 km/h über den fliegenden Kilometer – neuer Weltrekord auf öffentlichen Straßen.
Rosemeyer hatte 1937 die 400-km/h-Marke durchbrochen
Nur wenige Stunden später kletterte Bernd Rosemeyer in das offene Cockpit seines Auto Union Typ R. Dessen V16-Triebwerk holte aus 6,5 Litern Hubraum zwar nur 545 PS und war damit dem Mercedes-Benz-Triebwerk scheinbar unterlegen.
Allerdings hatte Rosemeyer auf demselben Autobahnabschnitt schon im Herbst 1937 als erster Mensch auf einer öffentlichen Straße die 400-km/h-Marke durchbrochen und über den fliegenden Kilometer 406,3 km/h erreicht. Für den neuen Rekordversuch hatten die Konstrukteure seinen Wagen mit diversen aerodynamischen Maßnahmen optimiert.
Offenbar mit Erfolg, denn bei einer Zwischenmessung bei Kilometer 7,6 der Messstrecke saß Rosemeyer mit 429,9 km/h seinem Dauerrivalen Caracciola bereits im Nacken.
Kurz darauf schlug dann das Schicksal erbarmungslos zu. Bei Kilometer 8,6 passierte das Fahrzeug eine Schneise am rechten Waldrand und geriet plötzlich mit den linken Rädern auf den mittleren Grünstreifen. Der Wagen stellte sich bei Kilometer 9,2 quer, überschlug sich mehrfach seitlich, Rosemeyer wurde aus dem offenen Cockpit geschleudert und war sofort tot.
Ein Gedenkstein an einem Rastplatz der A5, nahe der Ausfahrt Langen, erinnert noch heute an das tragische Ende dieses Duells. Über die Ursache des tödlichen Unfalls, bei dem sich die Karosserie vom Chassis gelöst hatte, sind sich Fachleute noch immer nicht einig.
Als wahrscheinlichster Grund gilt eine heftige Windböe, die aus der Waldschneise heraus das Fahrzeug nach links driften ließ. Caracciola hatte seinen Konkurrenten vor dessen Start noch ausdrücklich davor gewarnt.
Jubel über Weltrekord, Trauer über Todesnachricht
Aber auch aerodynamische Effekte, die ein plötzliches Abreißen des sogenannten Ground Effect bewirkt haben könnten, sind nicht auszuschließen. Ohnehin ist es mit der Straßenhaftung bei mehr als 400 km/h nicht mehr weit her, da die Reifen wegen der tempobedingten Vergrößerung ihres Abrollumfangs nur noch die Hälfte ihres ursprünglichen Grips aufbauen konnten.
Als in den Morgenstunden des 28. Januar 1938 aus den Rundfunk-Volksempfängern erst der Jubel über Caracciolas Weltrekord drang und wenig später die traurige Nachricht von Rosemeyers Tod, konnte niemand ahnen, dass an diesem Tag ein Weltrekord fast für die Ewigkeit zementiert worden war.
Er fiel erst knapp 80 Jahre später, am 4. November 2017: Auf einem abgesperrten Highway in Nevada erreichte Niklas Lilja, Werksfahrer bei der schwedischen Sportwagenmanufaktur Koenigsegg, 447,23 km/h als Mittel zweier Fahrten über den fliegenden Kilometer.
Angetrieben wurde sein Koenigsegg Agera RS von einem mit Ethanol-Benzin-Gemisch gefütterten Fünfliter-V8-Biturbo-Mittelmotor. Mit 1360 PS bei 7500/min war er nahezu doppelt so stark wie damals das Triebwerk des W125. Eher unwahrscheinlich, dass der aktuelle Weltrekord weitere acht Jahrzehnte überdauern wird.