WELTGo!
Ihr KI-Assistent für alle Fragen
Ihr KI-Assistent für alle Fragen und Lebenslagen
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Kultur
  3. Pop
  4. Konzert in Köln: Warum wir so gerne Taylor Swift wären

Pop Konzert in Köln

Warum wir so gerne Taylor Swift wären

Managing Editor Feuilleton
Dompteuse und beste Freundin: Taylor Swift ist ein genialer Popstar, ein glückliches Kunstprodukt, eine selbstbewusste Fiktion Dompteuse und beste Freundin: Taylor Swift ist ein genialer Popstar, ein glückliches Kunstprodukt, eine selbstbewusste Fiktion
Dompteuse und beste Freundin: Taylor Swift ist ein genialer Popstar, ein glückliches Kunstprodukt, eine selbstbewusste Fiktion
Quelle: Getty Images
Taylor Swift ist der Star des Internetzeitalters, ein lebendes Bild. Sie ist Feministin, spielt die ältere Schwester. Sie ist alles auf einmal. Und sie gibt geniale Konzerte. Eine Erzählung aus Köln.

Man stelle sich vor, man wäre 13 Jahre alt. Man hätte Liebeskummer. Man hätte des Weiteren eine Mutter, die einem das Internet kuratiert, also Cupcakes-Rezepte und Katzenseiten sind okay, Pornografie und Antifa eher nicht.

Man ist in dem Alter, in dem man anfängt, Backnachmittage mit Freundinnen zu veranstalten, denkt aber auch schon über den Wodka Campari im Küchenschrank der Eltern nach und vielleicht über Onlinedating.

Dann kommt Taylor Swift. Taylor Swift ist leuchtend blond, sie hat schulterlange Haare, sie hat sieben Grammys gewonnen und besitzt zwei Katzen, die Meredith und Olivia heißen. Sie ist frech, selbstbewusst, ein bisschen verloren und sagt nur vernünftige Dinge. Sie hat über jeden ihrer Ex-Freunde ein Lied geschrieben. Sie lebt in New York. Sie sieht aus wie eine Dior-Werbung, leer, warm, sehr gegenwärtig.

Wäre man Taylor Swift, man wäre so glücklich

Ihre Musik klingt wie eine Synthese aus den Soundtracks sämtlicher amerikanischer Liebesfilme der vergangenen zwanzig Jahre. Sie schreibt ihre Musik selber. Sie isst etwas vor ihren Konzerten und hat trotzdem diesen schlanken, irgendwie sympathischen Körper, auf den man eigentlich neidisch sein müsste, aber stattdessen stellt man sich lieber vor, man würde sich mit ihr zusammen als Cheerleader verkleiden, Tanzschritte einüben und das Ganze auf Instagram stellen. Man wäre so glücklich.

Fünfzehntausend Menschen, vor allem Mädchen, sind nach Köln gekommen, um Taylor Swift live zu sehen. Vor der Lanxess-Arena ruft eine amerikanische Mutter aufgeregt ihre kleinen Töchter und deren Freundinnen zusammen.

Sie tragen weiße Sweatshirts mit rot abgesetzten Ärmeln, auf den Sweatshirts steht: „Haters are gonna break“. Das ist eine Zusammenziehung der Zeilen "Haters are gonna hate" und "heartbreakers are gonna break", und das ist Taylors Message: Liebe, Leichtigkeit, weitermachen. Auf die anderen pfeifen. Alle zusammen.

Das ist zwar kitschig, aber nicht das Schlimmste: Swift-Fans hatten auch aufblasbare Haie dabei und liebevoll zusammengebastelte Babykatzen-Schilder
Das ist zwar kitschig, aber nicht das Schlimmste: Swift-Fans hatten auch aufblasbare Haie dabei und liebevoll zusammengebastelte Babykatzen-Schilder
Quelle: dpa

Die Lanxess-Arena ist ein riesiges kreisförmiges Gebäude aus den Neunzigern, es ist die arenagewordene Entsprechung des Wortes „Multifunktionshalle“. Metallene Treppen führen wie abgebrochene Himmelsleitern hinauf auf die Korridore und in die Logen. Im feierlichen Halbdunkel des riesigen Raums leuchten die Fan-Artefakte, es ist eine Stimmung wie vor Weihnachten.

Die Kids haben aufblasbare Haie dabei, Tannenbäume, liebevoll zusammengebastelte Babykatzen-Schilder mit Lichterkettenumrahmung, ein Herz, die Zahlen 1, 9, 8 und 9 an Holzstielen wie überdimensionierte Wachskerzen auf einem Geburtstagskuchen: 1989, der Titel von Swifts letztem Album. Taylors Geburtsjahr.

Es hat etwas von einem Schrebergarten

Fünfzehntausend Plätze, alle belegt. Es ist das zweite Konzert in Köln und das zweite ihrer Europa-Tournee, danach geht es weiter nach Holland. Die Menschen da unten in der Halle sind in Vierecken organisiert, es hat etwas von einem Schrebergarten.

Anzeige

Jeder steht an seiner Stelle und hält sein Leuchtobjekt in die Höhe, da, wo er die Kamera vermutet. Auf Augenhöhe, sehr weit weg, die anderen Logen, wie dunkel glühende Wohnungen im Bühnenbild eines Theaterstücks.

Es ist, als ob das Internet in die Lanxess-Arena eingezogen wäre. Wer das Internet kennt, weiß, dass es darum geht, dass man die Sachen, die auf Fotos landen könnten, so positioniert, dass sie auf Instagram gut aussehen. Taylors Fans wissen das.

Wenn die Kamera sich in ihre Richtung bewegt, fangen sie an, zu hüpfen, als hätten sie mit Taylor geübt. Ein Catwalk zerschneidet den Raum, er hat etwas Phallisches. In einem Science-Fiction-Film befänden sich darauf die Kapseln, in denen die Retortenmenschen schlummern.

Während man auf Taylor Swift wartet, kommen einem viele Fragen. Wirklich wichtig sind sie nicht
Während man auf Taylor Swift wartet, kommen einem viele Fragen. Wirklich wichtig sind sie nicht
Quelle: Getty Images

Warten auf Taylor. Man stellt sich vor, dass sie sich selber schminkt, da hinten, irgendwo in den Katakomben der Arena. Warten. Die Plastiktannenbäume leuchten sanft, auf der Leinwand werden die Fans auf Taylor vorbereitet, Off-Material von ihren Videodrehs, Taylor, die auf einem Stuhl sitzt.

Fragen. Was wurde auf Taylors Familienfarm in Pennsylvania verkauft? Weihnachtsbäume? Kürbisse? Wassermelonen? Mohrrüben? Natürlich Weihnachtsbäume, deswegen auch die leuchtenden aus Plastik.

Taylor Swift ist das Mädchen vom Land, das ihre Eltern gezwungen hat, nach Nashville zu ziehen, weil da die Countrymusik zu Hause ist. So die Erzählung, und wenn die Erzählung gut ist bei einem Popstar, dann ist es egal, ob sie stimmt oder nicht. Taylor Swift ist ein genialer Popstar, ein glückliches Kunstprodukt, eine selbstbewusste Fiktion.

Taylor Swift ist ein Mädchen vom Land. Die Parkbank hat auf der Farm ihrer Eltern nie gestanden. Macht aber nichts. Sie hat Pfefferminzkaugummis dabei
Taylor Swift ist ein Mädchen vom Land. Die Parkbank hat auf der Farm ihrer Eltern nie gestanden. Macht aber nichts. Sie hat Pfefferminzkaugummis dabei
Quelle: Getty Images

Taylor, was hast du immer bei dir in deiner Handtasche? Taylor, gestreiftes T-Shirt, perfekte Bronzehaut, weit aufgerissene Augen, ein Gesicht, das immer ein bisschen aussieht, als müsste sie gleich niesen: „In meiner Handtasche habe ich immer Kaugummis oder irgendetwas mit Pfefferminzgeschmack.“ Es sei ihr Albtraum, diejenige mit schlechtem Mundgeruch zu sein.

Anzeige

Und dann hat sie noch eine Message für ihre Fans, der Grund dafür, dass sie immer Kaugummis bei sich trägt: „Just because social consciousness is real.“ Soziales Bewusstsein ist real, das klingt so großartig nach „The Circle“ von Dave Eggers, dem Buch, das zeigt, wie furchtbar es mit uns und dem Internet noch alles werden könnte, es klingt nach sanfter sozialer Kontrolle.

Und es klingt, als würde Taylor Swift einen Witz machen, einen sehr subtilen Witz. Mädchen, bitte passt auf euch auf, seid ethisch, habt immer einen Kaugummi im Mund. Nicht stinken, dann schafft ihr alles, auch wenn es manchmal schwer ist.

„Ich liebe Deutschland“, schreit Taylor Swift

Auf einmal ist sie selbst da, der Saal kreischt, die Mädchen, die bisher gesessen haben, stehen auf. „Ich liebe Deutschland!“, ruft sie und „I was born in 1989“. Der Saal rastet völlig aus.

„Welcome to New York“, der erste Song, Taylor, weiche Glieder, warmes Selbstbewusstsein, leuchtende Präsenz, von der Bühne über den Catwalk zum Publikum. Taylor Swift als Dompteuse, Taylor Swift im Strasskleid, Taylor Swift in bauchhohen, eng anliegenden Hotpants.

Ihr Gesicht aus der Leinwand ins Unendliche verfremdet, mal als kalte, fast übermenschliche Lara-Croft-artige Computerspielschraffur. Dann wieder: Ein knielanger schwingender Rock und ein bauchfreies Top über und über mit kleinen leuchtenden Glühbirnen besetzt, man sieht nur diese beiden Klamottenteile im Dunkeln, dazu leuchtende Regenschirme, es ist wunderschön.

Die Brooklyn Bridge, Schattenprojektionen ihrer Tänzer, langsam fallende Männer, wie aus „Mad Men“, eine New Yorker Straßenecke. Die Tänzer tragen Glitzerhauben und wirbeln Türen mit sich herum. Taylor Swift umgarnt und verstößt, aber nicht wie eine Domina, sondern unbeteiligt, heiter.

Zelebriert eine neue, ziemlich coole und ziemlich schwer zu fassende Form von Weiblichkeit: Taylor Swift
Zelebriert eine neue, ziemlich coole und ziemlich schwer zu fassende Form von Weiblichkeit: Taylor Swift
Quelle: Getty Images

Zwischen den Songs hält sie kleine Ansprachen an ihre Fans, wie wichtig es ist, auch schlechte Erfahrungen zu machen, sie würden einen nicht in einen beschädigten Menschen verwandeln, sondern adeln. Zwischendurch wird Taylors Crew hinzugeschaltet: das Model Cara Delevingne, die Sängerin Selena Gomez, die Musikerinnen von Haim, Lena Dunham, die Macherin der Serie „Girls“.

Sie erzählen, wie sehr Taylor Katzen liebt und dass man bei einer typischen Hang-out-Session mit ihr in ihrem New Yorker Apartment so viel essen würde, bis nichts mehr ginge. Wie wichtig Mädchenfreundschaften seien und dass es darum ginge, einander gegenseitig zu unterstützen. Das ist nur auf den ersten Blick banal. In Wahrheit ist Taylor Swift etwas in der Popgeschichte ziemlich Außergewöhnliches gelungen. Sie hat ein Netzwerk von Künstlerinnen um sich herum versammelt, das eine neue, ziemlich coole und ziemlich schwer zu fassende Form von Weiblichkeit zelebriert.

Vor dem Konzert hat Taylor Swift sich mit dem amerikanischen Celebrity-Magazin „OkMagazine“ angelegt, weil die eine Überschrift gemacht haben, die so klang, als sei Taylor Swift schwanger. Sie hatte daraufhin getwittert, solche Überschriften seien genau der Grund, warum man 2015 noch Feminismus brauche.

Taylor Swift macht eigentlich gar keine Musik für Dreizehnjährige. Taylor Swift macht Musik für Taylor Swift. Und für ihre Girls. Trotzdem, hätte man Taylor Swift mit dreizehn gekannt, man wäre wohl ein glücklicherer Mensch geworden. Und vielleicht, später, Feministin.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema