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Medien Israel-Dokumentation

Todes-Pragmatiker im Namen der Sicherheit

Der Nahost-Konflikt aus dem Blickwinkel der Krieger der Realpolitik: Die differenzierte TV-Dokumentation „Töte zuerst“ lässt ehemalige Chefs des israelischen Inlandsgeheimdienstes zu Wort kommen.

Wer auch immer in den Redaktionsstuben des NDR für den deutschen Titel dieses Films verantwortlich ist, hat den Streifen entweder nicht gesehen oder nicht verstanden. „The Gatekeepers“ hat der Regisseur Dror Moreh seine erhellenden und aufwühlenden Gespräche mit den sechs noch lebenden ehemaligen Chefs des israelischen Inlandsgeheimdienstes Schin Bet genannt. Das mag gut genug für eine Oscar-Nominierung gewesen sein, in Deutschland reicht es offensichtlich nicht.

Bei uns läuft der Film nun als „,Töte zuerst!‘ – Der israelische Geheimdienst Schin Bet“. Das ist viel sexier, hat so etwas nahöstlich-martialisches und wird deshalb genau jenem simplen Schwarz-Weiß-Bild des Nahostkonflikts gerecht, mit dem Morehs Werk so gar nichts zu tun hat. Denn „Töte zuerst“ ist ein sehr grauer Film. Gleich zu Anfang moniert Juval Diskin, der von 2005 bis 2011 Chef des Inlandsgeheimdienstes war, die Politiker verlangten immer nach einfachen, klaren Lösungen. Man solle ihnen sagen, was zu tun sei. „Ich treffe auf Grauzonen“, beschreibt er das ewige Dilemma seines Berufs.

Es ist leicht und gehört heute fast zum guten Ton, eine vorgefasste Meinung zum Nahost-Konflikt zu haben. Je nach politischer Gesinnung sind entweder Palästinenser oder Israelis die Bösen. In jedem Fall bleiben Opfer- und Täterrolle streng getrennt.

Nur die Symptome eines Konflikts bekämpft

Es ist die große Überraschung dieser Dokumentation, dass ausgerechnet die sechs von Moreh porträtierten Männer das sehr viel differenzierter sehen. Sie sind israelische Patrioten, sie haben ihr Leben der Sicherheit ihres Landes gewidmet und dabei oft zu zweifelhaften Methoden gegriffen. Doch sie alle erkennen an, dass es in diesem Konflikt noch einen anderen Blickwinkel gibt: den der Palästinenser.

Und sie haben begriffen, dass sie als Geheimdienstler nur die Symptome eines Konflikts bekämpft haben, dessen Lösung eine politische Aufgabe wäre. Bis auf den 1996 ermordeten Jizchak Rabin aber hätten alle israelischen Regierungschefs bei dieser Aufgabe versagt oder gar keinen echten Ehrgeiz gezeigt – so das übereinstimmende Fazit dieser sonst sehr unterschiedlichen Männer, die von 1980 bis 2011 fast ununterbrochen für die innere Sicherheit ihres Landes verantwortlich waren.

Mehr oder weniger chronologisch lässt Moreh die Jahre Revue passieren: Die Rückschau beginnt mit dem israelischen Sieg im Sechs-Tage-Krieg 1967. Das Aufkommen des Terrorismus, die ersten Selbstmordattentäter, der Libanonkrieg von 1982 und die Intifada von 1988 werden thematisiert. Die Geheimdienstler erinnern sich an die mit den Olsoer Verträgen verbundenen Hoffnungen und Sorgen, entrüsten sich über das Aufkommen gewaltbereiter jüdischer Zellen und sehen in dem Mord eines jüdischen Extremisten am damaligen Regierungschef Jizchak Rabin das größte Versagen ihrer Organisation.

Sie nehmen kein Blatt vor den Mund: Man hätte aus dem Westjordanland abziehen müssen, bevor die Palästinenser sie rauswerfen wollten, sagt Jaakov Peri, der den Dienst während der ersten Intifada leitete. Er kommt zu dem Schluss: Nach dem Ausscheiden aus dem Job werde man eben „ein bisschen ein Linker“.

„Bereit, den Mord an Jesus Christus zu gestehen“

Diskin zitiert auf sich selbst gemünzt ungeniert den Spruch vom Terroristen, in dem andere den Freiheitskämpfer sehen. Sein Kollege Carmi Gilon beschreibt das Schin-Bet-Gefängnis in Jerusalem als einen „schrecklichen Ort“: „Wenn ein normaler Mensch da reinkommt, ist er sofort bereit, den Mord an Jesus Christus zu gestehen.“ Später gibt Carmi zu, als Reaktion auf immer mehr Terroranschläge „mehr körperliche Gewalt“ bei den Verhören angewendet zu haben.

Doch da sind auch andere Szenen: Wenn man einen Mordanschlag auf einen berüchtigten Hamas-Terroristen acht Monate lang geplant habe und das mit Sprengstoff versehene Mobiltelefon dann im richtigen Augenblick einfach nicht explodiere, sei das wie ein Kaffeeautomat, in den man Geld geworfen habe und der dann keinen Kaffee ausspucke, sagt Avi Dichter. Er saß bis vor Kurzem für die Kadima-Partei in der Knesset.

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Für Dichter ist das kein seltsamer Vergleich – so funktioniert der Job eben. Carmi Gilon erinnert sich an einen „schönen Einsatz, sehr sauber, elegant. Ich mag solche Einsätze, die schön und sauber sind.“ Er spricht von einem Mordanschlag. Am deutlichsten aber wird der greise Avraham Schalom, der seinen großväterlich-teddybärigen Charme erst verliert, als er erklärt, warum er 1984 den Befehl gab, die zwei Entführer eines israelischen Busses kurzerhand töten zu lassen.

Er habe eben keine lebenden Terroristen mehr vor Gericht sehen wollen, gibt er zu. Ob die Ermordung der Terroristen richtig war? „Wenn man das Resultat sieht, nein“, sagt Schalom und versteht überhaupt nicht, dass es dem Interviewer um eine moralische Dimension geht, nicht um die pragmatische Frage nach dem direkten Nutzen.

Den Terror in den Griff gekriegt

Es ist wenig Reue in diesem Film, zum Beichtvater wird der Filmemacher nie. Der nachdenkliche Juval Diskin ahnt, dass es „nicht normal“ sei, in einem Augenblick das Leben von Menschen auslöschen zu können – auch wenn es das Leben eines Terroristen sei. Und doch war Diskin einer der entschiedensten Verfechter für die außergerichtliche Tötung von Terroristen.

137 Minuten lang hat der Zuschauer bei „Töte zuerst“ die Gelegenheit, den Nahostkonflikt aus dem Blickwinkel jener Krieger der Realpolitik zu sehen, die Kosten und Nutzen bei ihren täglichen Entscheidungen in Menschenleben abwiegen mussten.

Ihr Fazit ist düster: „Wir haben den Terror in den Griff gekriegt, aber wir haben das Problem der Besatzung nicht gelöst“, sagt der 1928 in Wien geborene Avraham Schalom. Israel verfüge eben über keine Strategie, sondern taktiere nur geschickt. Kein Wunder also, dass Israel zwar jede Schlacht gewinne, aber den Krieg verliere, wie sein Nachfolger Ami Ajalon feststellt. Es sind die letzten Worte dieses Films.

„,Töte zuerst!‘ – Der israelische Geheimdienst Schin Bet“, Dienstag, 5. März, 20.15 Uhr, Arte. Und Mittwoch, 7. März, 22.45 Uhr, ARD.

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