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Literatur Intellektuelle in Deutschland

Wie der Adorno-Sound gesellschaftsfähig wurde

Freier Mitarbeiter im Feuilleton
Theodor Adorno / Foto um 1960 Adorno, Theodor, frueher Wiesengrund A.; Philosoph und Soziologe, Musiktheoretiker und Komponist; Frankfurt a.M. 11.9. 1903 - Visp (Kt.Wallis) 6.8.1969. Foto, um 1960. ACHTUNG: gesperrt für Kalender Cover bis 31.12.2023 Theodor Adorno / Foto um 1960 Adorno, Theodor, frueher Wiesengrund A.; Philosoph und Soziologe, Musiktheoretiker und Komponist; Frankfurt a.M. 11.9. 1903 - Visp (Kt.Wallis) 6.8.1969. Foto, um 1960. ACHTUNG: gesperrt für Kalender Cover bis 31.12.2023
Theodor W. Adorno, um 1960
Quelle: picture-alliance / akg-images
Die Professur, die der Philosoph Adorno im Nachkriegsdeutschland bekam, zählte zur „Wiedergutmachung“. Später musste er sich gegen die dogmatische Linke behaupten. Warum man die intellektuelle Geschichte der Bonner Republik kennen sollte.
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Man kann „Adornos Erben“ ein neues Standardwerk nennen, nur das greift eigentlich zu niedrig. Was der Historiker Jörg Später hier mit dem bescheidenen Untertitel „Eine Geschichte aus der Bundesrepublik“ vorlegt, ist die bahnbrechende Ideengeschichte der „Frankfurter Schule“, also jenes Denkstils, der die Bonner Republik von den 1950er bis in die 1980er Jahre maßgeblich prägte. Später schreibt so gut – und tatsächlich: spannend –, dass man das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen möchte.

Gibt es überhaupt die „Frankfurter Schule“? Haben sich Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und die anderen Gründerväter nicht stets gegen eine Schulbildung gewehrt? Und berühmte Schüler wie Jürgen Habermas solche Etiketten beharrlich zurückgewiesen? Später zeigt überzeugend, und das ist seine große These, dass man mit vollem Recht von einer Frankfurter Schule sprechen kann, ganz ohne Anführungszeichen. Und zwar sowohl personeller als auch in intellektueller Hinsicht.

Die Vor- und Frühgeschichte des 1923 gegründeten und 1924 eröffneten Instituts für Sozialforschung, die Christian Voller kürzlich in seiner Studie „In der Dämmerung“ ergiebig untersucht hat, lässt Später beiseite. Das amerikanische Exil wird in aller Kürze abgehandelt. Interessant wird es für ihn mit der Rückkehr von Adorno und Horkheimer nach Frankfurt, in die Stadt, die nach 1945 „amerikanisch, kapitalistisch, demokratisch, wieder ein bisschen jüdisch und immer noch antisemitisch“ war, wie Später schreibt.

„Wiedergutmachungsprofessuren“

1951 wird das Institut für Sozialforschung wiedereröffnet. Die von den Nazis vertriebenen Juden Adorno und Horkheimer bekommen Lehrstühle, die man „Wiedergutmachungsprofessuren“ nennt. Nun scharen sie die ersten Schüler um sich, Hermann Schweppenhäuser gehört dazu, auch Karl Heinz Haag, Helge Pross und Ludwig von Friedeburg. Es werden schnell mehr: Jürgen Habermas, Rolf Tiedemann, Elisabeth Lenk, Alfred Schmidt, Alexander Kluge, Oskar Negt und weitere folgen.

Später verfolgt die Spuren der größer werdenden Frankfurter Schülerschaft, von denen sich manche in der „vaterlosen Gesellschaft“ der Nachkriegszeit gar als geistige Söhne und Töchter der Frankfurter fühlen. Die radikale Absage an die instrumentelle Vernunft, die Kritik der wiederaufgebauten Kultur, die Skepsis gegenüber der Verdrängung sozialer Konflikte durch kulturindustrielle Bewusstseinsformen, das alles fällt bei den „Ruinenkindern“ auf fruchtbaren Boden. Die „Minima Moralia“, im Jahr der Wiedereröffnung des Instituts erschienen, bringt den Adorno-Sound unter die Jugend.

Während die 1950er Jahre noch völlig den Mühen der Ebene galten, ist die Frankfurter Schule ab den 1960ern mittendrin in den politischen Konflikten der jungen Bundesrepublik. Die Studentenbewegung beruft sich wie selbstverständlich auf die Frankfurter, doch der Versuch, die Theorie aus dem Seminarraum unmittelbar auf die Straße zu bringen, führt zu wechselseitiger Verstimmung. „Pseudoaktivität“ attestiert Adorno trotz aller Sympathie einer Politik, die mit dem Kopf durch die Hörsaalwand will.

Atemlos folgt man Später in die Universitäten der Bildungsexpansion, einen intellektuellen und politischen Streitraum, in dem die Frankfurter Schule zwischen alle Fronten gerät. Dogmatische Studenten stören Seminare, während Politik und Medien eine geistige Mittäterschaft zur RAF konstruieren und der Staat mit Repressalien wie Berufsverboten droht. Und nachdem Adorno 1969, von den Kämpfen erschöpft, stirbt, setzen nicht zu unterschätzenden Erbschaftsstreitigkeiten unter den Frankfurtern ein.

Dann wurde es dogmatisch

Bei den dogmatischen Marxisten der 1970er galten die „alten“ Frankfurter als „bürgerlich“, in den 1980ern – nach dem Scheitern der K-Gruppen und dem bewaffneten Kampf – begegnete die von neuen sozialen Bewegungen geprägte akademische Linke Adorno & Co. wieder wohlgesonnener. Eines der großen Verdienste von Späters Buch ist es, die faszinierende Vielstimmigkeit der neumarxistischen, feministischen und philosophischen Diskurse zu zeigen, die von der Frankfurter Schule inspiriert wurden.

Später schildert den Aufstieg von Habermas bis zur „H.-und-H.-Dynastie“ – mit Axel Honneth –, aber auch die scharfe Kritik an der kommunikationstheoretischen Wende, die vor allem aus Lüneburg kommt, wo Schweppenhäuser ebenso eine Zweigstelle der Frankfurter Schule errichtet hat wie Negt in Hannover. Andere, wie Haag, ziehen sich in die Metaphysik oder, wie der unermüdliche von den Kämpfen um die Walter-Benjamin-Herausgabe frustrierte Tiedemann, in die Philologie zurück. Leute wie Lenk bringen die französische Theorie – Surrealismus, Situationismus und mehr – über den Rhein.

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Erst ab den 1980ern, mit Detlev Claussen, Dan Diner, Eike Geisel und Wolfgang Pohrt, wird die jüdische Erfahrung der Frankfurter Schule geborgen und Auschwitz als negativer Bezugspunkt des entfalteten Existenzialurteils über die falsche Gesellschaft wiederentdeckt, was eine Kritik am linken Antizionismus hervorbringt. Was Philipp Felsch mit „Der lange Sommer der Theorie“ im Kleinen entworfen hat, gelingt Später nach seiner grandiosen Kracauer-Biografie nun mit „Adornos Erben“ im Großen: Eine intellektuelle Geschichte der Bundesrepublik, die sich wie ein Roman liest. Umwerfend.

Jörg Später: Adornos Erben: Eine Geschichte aus der Bundesrepublik. Suhrkamp, 760 Seiten, 40 Euro

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