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  4. Deutsche Stahlbauten: Eine Hymne auf die Dresdner Luftschiffhalle

Kunst und Architektur Deutsche Stahlbauten

Von der Luftschiffhalle zu den Tropical Islands

Die erste aerodynamische Luftschiffhalle entstand nach Plänen des Architekten Ernst Meier Die erste aerodynamische Luftschiffhalle entstand nach Plänen des Architekten Ernst Meier
Die erste aerodynamische Luftschiffhalle entstand nach Plänen des Architekten Ernst Meier
Quelle: THELEM Universitätsverlag Dresden
In Dresden entstand 1913 eine Luftschiffhalle. Es war ein aerodynamischer Metallbau, in dem der Name „Lufthansa“ erfunden wurde. Nach dem Krieg musste sie auf Druck der Alliierten abgebaut werden.

Das Ingenieurbauwerk ist luftig, leicht, körperlos wie ein Vogelskelett, immer bereit zum Absprung, zum Fliegen. Und doch setzt es dem Element, dem es so eng verschwistert ist, Widerstand entgegen und muss vertäut und verankert werden wie ein Schiff. Seine Leichtigkeit ist Vorspiegelung, purer Schein. Sie kommt durch Zug- und Spannkräfte zustande, die über große Distanzen wirken können und am Bau selbst unsichtbar bleiben. Die Tektonik, also das massive, feste Aufstehen des Bauwerks auf dem Boden, wird weggezaubert und in Luftigkeit verwandelt, die den Hüllen, Tonnen, Brücken und Türmen der Ingenieurkunst einen ätherischen, unwirklichen Anschein gibt.

Es ist dieses Wegzaubern von Materialität und Massivität, das die Architekten und Ingenieure von jeher an der Glas-Eisen-Architektur fasziniert hat. Die riesigen Volumen, die sich damit einhausen lassen, haben den Bahnhofs- und Gewächshausbau inspiriert und ganz neue, vorher nicht realisierbare Gebäudetypen hervorgebracht. Einer davon, noch größer, noch spektakulärer, ist in Vergessenheit geraten: die Zeppelinhalle.

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Seit Luftschiffe nicht mehr gebaut werden, gilt dieser Hallentyp als überholt. Dass er Einfluss auf die Baugeschichte gehabt hat, ist eine neue Entdeckung. In einer an Umfang, an Reichhaltigkeit der Erkenntnisse und Querbezügen reichen, im Wortsinn imposanten Forschungsarbeit, die sich auf teilweise weit verstreute, lange verschüttete Quellen stützt, wird sie jetzt auf mehr als 500 Seiten vorgestellt.

Der Autor Roland Fuhrmann spricht von „Dresdens Tor zum Himmel“ (Thelem Universitätsverlag Dresden, 79,80 Euro). Und schon in der Einleitung schildert er die magische Wirkung des Baus, der, was niemand mehr wusste, Epoche gemacht hat. „Ein grauer Riesenleib auf den Elbwiesen der Vorstadt Kaditz dominiert für sieben Jahre die Westseite der Stadt Dresden. Die Luftschiffhalle mit dem kreisenden Lichtstrahl ihres Leuchtfeuers gibt dem nächtlichen Elbtal ein maritimes Gepräge und macht Dresden zur Hafenstadt am Luftmeer.“

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HANDOUT - 22.10.2018, ---: Undatiert: Sitzende mit Bühnenmaske von Oskar Schlemmer im Stahlrohrsessel von Marcel Breuer, um 1926. Eine Ausstellung vom 6. September 2019 bis zum 27. Januar 2020 in der Berlinischen Galerie zeigt im Jubiläumsjahr "100 Jahre Bauhaus" bekannte und vergessene Bauhaus-Originale und erzählt die Geschichte hinter den Objekten. (zu dpa-Jahreswechselpaket "Van Gogh, van Dyck und noch so einiges - Ausstellungshöhepunkte 2019" vom 30.11.2018) Foto: Bauhaus-Archiv Berlin - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit einer Berichterstattung über die Ausstellung und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits +++ dpa-Bildfunk +++ |
Sowjetisch unterwandert?

Ähnliche Empfindungen müssen schon die Zeitgenossen nach der Entstehung des Bauwerks von 1913 gehabt haben. Sie erfanden hier, am Flughafen Kaditz in Dresden, den Namen, den heute noch die Flotte der deutschen Passagierflugzeuge trägt: Lufthansa. Und sie fühlten sich als Zeugen großer Ereignisse. Die 20-jährige Luise Maas schreibt aus Dresden an ihren künftigen Ehemann, den Architekten Erich Mendelsohn: „Zeppelin fährt am sternklaren Himmel – unheimliches Dröhnen – und die ganze Größe unserer Zeit.“ Fuhrmann stellt das Zitat seinem Buch voran.

Spuren der Luftschiffhalle Dresden gibt es nur noch im Boden. Sie musste nach dem Versailler Vertrag demontiert werden, die Zeppeline verschwanden aus dem Bild der Elbestadt auf Nimmerwiedersehen. Am gegenüberliegenden Ufer, in Cotta, standen die Dresdner und heulten. Sie müssen empfunden haben, dass die „ganze Größe unserer Zeit“ vorbei war. Aber etwas davon lebt in dem Buch von Fuhrmann wieder auf: die Erinnerung an „die erste aerodynamisch günstig geformte Luftschiffhalle überhaupt und den Archetyp aller nachfolgend strömungsoptimierten Luftschiffhallen“. Sein Buch ist zugleich ein Denkmal für den Zivilingenieur und genialen Erfinder Georg Heinrich Ernst Meier aus Siegen (1868–1934), dessen Name und bis heute wirkender Einfluss auf den Hallen- und Hangarbau völlig vergessen war.

Roland Fuhrmann.Dresdens Tor zum Himmel Die erste aerodynamisch geformte Luftschiffhalle und ihr Einfluss auf die Baugeschichte.536 Seiten, 770 Abbildungen, 21 x 29,7 cm, THELEM Universitätsverlag Dresden 2019
Dresdens Tor zum Himmel aus der Luft
Quelle: THELEM Universitätsverlag Dresden

Um die Eigentümlichkeit des Dresdner Bauwerks zu verstehen, muss man tief in die Gesetze der Aerodynamik und des Hallenbaus eintauchen. Fuhrmann tut es, indem er einen Abriss der Luftschifffahrtsgeschichte seit Leonardo da Vincis Studien zur Luftfahrt voranstellt – bis hin zum „ersten Krieg der Maschinen“, dem Ersten Weltkrieg. Als damit die Zeppeline plötzlich zur Kriegswaffe wurden, die für die Bombardierung eingesetzt wurden, gelangten auch die gewaltigen Hallen, die in unterschiedlichster Technologie überall in Deutschland entstanden waren, über Nacht zu nie vorausgesehener Kriegsbedeutung. Sie wurden mit Tarnanstrichen versehen, um die darin geparkten Luftschiffe zu schützen.

Was aber war die Besonderheit der erst ein Jahr vor Kriegsausbruch fertiggestellten Dresdner Halle? Der 192 Meter lange, 56 Meter breite, 37 Meter hohe Bau mit einer Dachfläche von 20.300 Quadratmetern und einer 45 Tonnen schweren Dachhaut aus Ruberoid war stromlinienförmig gestaltet und mit noch nie verwendeten Kuppeldrehtoren ausgestattet, die „ein glattes Abstreichen der Luftströmung ohne große Verwirbelungen erlauben“. Kuppeldrehtore, die sich fächerartig zuschieben ließen – die technische Neuheit verdankte sich nicht etwa neuen physikalischen Erkenntnissen, sondern dem eher naiven genialischen Instinkt des Ingenieurs Meier; denn noch waren zu jener Zeit die aerodynamischen Gesetze zu wenig verstanden, um die Vorzugseigenschaften der singulären, von ihm erfundenen Luftschiffhalle unter all den „stereotyp scheunenartigen Bauformen mit senkrechten Widerstandsflächen und strömungsbehindernden Toren“ erkennen zu können, die bereits errichtet waren.

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Die technisch anspruchsvolle Lösung, die sich der Ingenieur unter dem Namen „Glück auf und ab“ 1910 hatte patentieren lassen, verlieh seiner tonnenartigen Halle gewölbte Abschlüsse an den Schmalseiten und war im Unterschied zu allen anderen Bautypen geeignet, die berüchtigten Luftturbulenzen zu minimieren, die Hallenmanöver der Luftschiffe gefährden und sogar verhindern können. Fuhrmann kommt zu dem Schluss: „Ernst Meier hat hier ein Optimum an konstruktivem Aufwand und funktionalem Erfordernis geschaffen. Das Raumvolumen seines Baukörpers folgt der Kontur der zu behausenden Luftschiffe.“ Seine Halle war groß genug, um zwei davon unterzubringen.

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Aufgegriffen wurde diese Konstruktionsidee erst in der Nachkriegszeit des Ersten Weltkriegs im Ausland. Fuhrmann kann nachweisen, dass dafür der Rückgriff auf Meiers Technologie evident ist, und zeichnet einen „Stammbaum“ der meierschen Halle mit Airdocks und Hangars selbst für die Nasa in Amerika, mit Tochter- und Enkelkonstruktionen in Spanien, Brasilien und in der Sowjetunion. Nach Deutschland, wo man beim neu entwickelten Luftschiffhallenbau seit den 1930er-Jahre bei einer Bauform mit senkrechten Wänden stehen geblieben war, kehrte Meyers Erfindung erst mit der Halle für den nie an den Start gegangenen Cargolifter im Spreewald 1998 zurück.

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Frankfurt am Main (Hessen), Altstadt, Haus zur Goldenen Waage, Ecke Höllgasse / Markt (erbaut 1618/19 für den Gewürzhändler Abraham van Hamel; 1944 bei Luftangriff zerstört). “Frankfurt a. M. Haus zur Waage”. Bildpostkarte (Farbdruck nach kolorierter Fotografie), Mannheim (Verlag von Emil Hartmann) o. J. (handschriftlich datiert 1943). Berlin, Sammlung Archiv für Kunst und Geschichte. |
Frankfurter Altstadt

Heute wird diese 360 Meter lange, 210 Meter breite und 107 Meter hohe „bisher größte Luftschiffhalle und weltgrößte freitragende Halle“ (Fuhrmann), die sich wie ein glitzernder Hügel aus der flachen Landschaft im Süden Berlins erhebt, vom Erlebnisbad „Tropical Islands“ genutzt. Unter echten Palmen rekeln sich Urlauber auf der Fläche von neun Fußballfeldern an Sandstränden und Lagunen. Dass der früheste Vordenker, Erfinder und Konstrukteur dieser gigantischen Gebäudehülle kein Amerikaner, sondern ein Ingenieur der Kaiserzeit mit buschigem Haar und Vollbart war, dessen Laufbahn unter Tage im Eisenerzbergwerk Siegen begonnen hatte und dessen lange vergessene Erfindung, die aerodynamisch geformte Luftschiffhalle, erst nach einem Siegeszug durch die Welt nach Deutschland zurückgekehrt ist, das weiß man erst jetzt.

Dieser Text ist aus der WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause.

Quelle: WELT AM SONNTAG

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