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Kunst und Architektur 100 Jahre Dada

Macht aus Unsinn bitte keinen Sinn!

Illustrierte Halbmonatsschrift von Wieland Herzfelde mit Fotomontagen von John Heartfield Illustrierte Halbmonatsschrift von Wieland Herzfelde mit Fotomontagen von John Heartfield
Illustrierte Halbmonatsschrift von Wieland Herzfelde mit Fotomontagen von John Heartfield
Quelle: Fotomontagen auf Umschlag von John Heartfield/The Israel Museum,Jerusalem/2015,ProLitteris,Zurich
Gegen den Wahnsinn des Ersten Weltkriegs: 1916 entstand die Kunstrichtung Dada. Radikal verspottete sie jede Form von Sinnstiftung. Heute droht Dada zum Mainstream des Dagegenseins zu werden.

Man gönnt den Nachbarn ihre Feste gern. Aber ein bisschen seltsam ist es schon, was die Schweizer mit einem Mal aus dem Dada-Häuschen bringt. Selbst an den besten TV-Sendeplätzen wird der Urlaut der Nonsenskunst wie eine Parole zur eidgenössischen Enthemmung gefeiert. Das gediegene Kunsthaus in Zürich veranstaltet einen Dada-Ball, und alle 500 Tickets sind verkauft.

Die Stadt, die allenfalls bei fremden Bräuchen wie dem „Knabenschießen“ ein wenig aus der Fassung gerät, scheint völlig dadaisiert. Und das nach 100 Jahren, in denen sich kein rechtschaffener Rolex-Träger auf der Bahnhofstrasse an die paar Emigranten erinnern konnte, die einmal im Zürcher „Club Voltaire“ ihre schrägen Dada-Soireen veranstaltet haben.

Wie gaga war Dada?

Der Fall ist wirklich interessant. Ein rundes Jahrhundert, bis aus Dada Comedy wurde. Was nur zeigt, dass nichts, gar nichts, keine noch so gellende Publikumsverarschung vor stehenden Ovationen gefeit ist. Irgendwann ist jede Attacke vergessen und alle Kampfrhetorik zum Partygespräch besänftigt. Dass es unschweizerische Umtriebe waren, bei denen im fernen Jahr 1916 Bilder und Texte verhackstückt wurden, was kümmert’s den spät geborenen Eidgenossen. Er hat sein Kostüm für den Dada-Ball.

Das Cabaret Voltaire in Zürich war die Keimzelle von Dada: Hugo Ball im „Kubistischen Kostüm“ im Juni 1916
Das Cabaret Voltaire in Zürich war die Keimzelle von Dada: Hugo Ball im „Kubistischen Kostüm“ im Juni 1916
Quelle: Cabaret Voltaire Zürich

Und Gaga ist ja wirklich nur ein paar Buchstaben weit von Dada entfernt. Und wenn heute noch einer Hugo Balls Manifest vom 14. Juli 1916 vortragen würde, es wäre was fürs Vorabendprogramm: „Wie erlangt man die ewige Seligkeit? Indem man Dada sagt. Wie wird man berühmt? Indem man Dada sagt. Mit edlem Gestus und mit feinem Anstand. Bis zum Irrsinn. Bis zur Bewusstlosigkeit. Wie kann man alles Journalige, Aalige, alles Nette und Adrette, Bornierte, Vermoralisierte, Europäisierte, Enervierte, abtun? Indem man Dada sagt. Dada ist die Weltseele, Dada ist der Clou. Dada ist die beste Lilienmilchseife der Welt.“ Vorhang. Beifall. Freibier im „Club Voltaire“, wo sich die üblichen Vernissagen-Zugvögel treffen, aber nix mehr verhackstückt wird.

Nun könnte man natürlich einwenden, dass sich nicht endlos verhackstücken lässt, was längst püriert ist. Und auf eine Art hat es auch etwas Tröstliches, wenn all den Liktoren, Jakobinern und Revolutionswächtern der Weltgeschichte irgendwann das Unterhaltungsschicksal droht. Aber man sollte ihn vielleicht doch noch einmal genauer unter dem Mikroskop betrachten, diesen Dada-Abschnitt auf dem kunstgeschichtlichen Erbstrang, der damals, im Kriegsjahr 1916 plötzlich Gen-expressiv wurde.

100 Jahre Dada – das Jubiläum gelingt nicht überall

Die großen Übersichtsausstellungen, die jetzt überall eröffnen, im Zürcher Landesmuseum, im nobel gewordenen „Club Voltaire“, demnächst im Arp Museum in Rolandseck, sind dazu kaum geeignet. Es sind aufgedunsene Dada-Memorials, die ältere und neuere Reliquien versammeln und dabei so tun, als sei die Krankheit noch immer nicht ausgeheilt und auch der bestgeschützte Kunstkörper nicht wirklich resistent gegen dadaistischen Virenbefall.

Es grenzt, um es mit Heidegger-Nachdruck zu sagen, an Dada-Vergessenheit, wenn man Spaßkünstler der jüngeren Geschichte – von Jean Tinguely bis zu Christian Jankowski – auf die Schultern der Zürcher Ahnen setzt. Denn Dada war nie eine Kunstbewegung, wie später der Surrealismus, die Abstraktion, Pop, Fluxus, Minimal Art. Dada hat Anhänger gehabt. In Dadas Namen sind die erstaunlichsten Kunstdinge geschehen. Aber Dada war kein Aufbruch der Kunst zu neuen Ufern.

Eher müsste man sagen: Dada war die Indienstnahme der Kunst für kunstfremde Zwecke. Ein ephemerer intellektueller Reflex, der in einer Zeit der nationalen Sinnüberproduktion, als so ziemlich alle Kulturtechniken dazu herhalten mussten, dem massenhaften Sterben an den Fronten eine sozialverträgliche Vernunft nachzureichen, mit dem schieren Unsinn opponierte.

Radikal an Dada war die Verweigerung, das Kunst-Ferne

Natürlich kann man aus allem ein Fest machen. Nur wird man dem Unsinn nicht gerecht, wenn man ihn zum Sinn umdeutet. Und wenn der Kalender nachweist, dass etwas auf den Tag genau vor 100 Jahren passiert ist, dann gibt es wohl einen Anlass, sich zu erinnern, und warum nicht, auch einen Grund zu feiern. Aber deswegen ist Dada noch lange nicht der „Urknall der Moderne“, wie auch schon zu lesen war. Das bizarre Menschenbild, das das Experiment der Brücke-Malerei ein Jahrzehnt zuvor geprägt hat, war für die Bildgeschichte des 20. Jahrhunderts nicht weniger urknallig. Und noch bevor sich die Dadaisten mit Schere und Klebstoff an der abgebildeten Welt zu schaffen machten, ist sie schon von den Kubisten in ihre handhabbare Teile zerlegt worden.

Ein Faustschlag gegen den guten Geschmack: „Marquis de Sade 1921“ nannte Erwin Blumenfeld seine Collage
Ein Faustschlag gegen den guten Geschmack: „Marquis de Sade 1921“ nannte Erwin Blumenfeld seine Collage
Quelle: The Israel Museum,Jerusalem/© 2016 Henry & Yorick Blumenfeld and Yvette Blumenfeld Georges Deeton
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Was radikal war an Dada, war eben nicht die Dada-Kunst, waren nicht die Dada-Accessoires, nicht die Pappanzüge, in denen Tristan Tzara, Hugo Ball, Emmy Hennings, Hans Arp, Richard Huelsenbeck und Marcel Janco auf der Züricher Kleinkunstbühne standen, nicht der kakofonische Vortrag ihrer Simultangedichte, nicht die einstudierten Nonsensnummern und auch nicht das kunstvolle Stammeln, in dem die Dada-Lyrik brillierte.

Radikal war das Gegenteil. Radikal war die Verweigerung der Form, dieser irritierende Umgang mit einer Ungegenständlichkeit, für die es anders als in der ungegenständlichen Kunst auch keine Bildzeichen geben dürfte. Radikal war, dass kein Ausdrucksmittel mehr gelten sollte außer dem bodenlosen Spott auf jegliche Sinnsymbolik. Sinn gibt es ja erst, wenn es Gestalt gibt. Sinn braucht die Form, die Formel, das Pathos, um seine Versprechen zu beglaubigen. Sinn wird allein daran erkannt, wie überzeugend er sich vermittelt. Wenn Dada keine Sinnofferten mehr zulassen wollte, dann durfte es über die Proklamation des lebensprinzipiellen Unsinns hinaus auch keine eigene Dada-Sprache geben.

Und es gibt sie auch nicht. Die verbliebenen Dada-Zeugnisse sind – Hand aufs Herz – von einer sinnlichen Ärmlichkeit und Erbärmlichkeit, dass man sich die aufrührerischen Gruppensitzungen im Encounter des „Club Voltaire“ nicht so recht vorstellen kann. Es ist archivalisches Material, mehr nicht. Das wird besonders deutlich in der einzigen wissenschaftlichen Ausstellung zum 100-Jahr-Jubiläum. Das Kunsthaus Zürich hat unter Aufbietung beträchtlicher Recherchemittel all jene Dokumente zusammen getragen, die von einem Buchprojekt geblieben sind, das seinerzeit den stolzen Titel „Dadaglobe“ trug.

Heute bleiben vielfach nur Archivalien

„Dadaglobe“ war ein Einfall von Tristan Tzara. Der wortgewaltige Pamphletist, der der Dada-Theorie die blutigsten Bilder gab – „Von Energie trunkene Gespenster bohren wir den Dreizack ins ahnungslose Fleisch“ – war nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, als die bühnenkünstlerisch randalierenden Emigranten in Zürich nicht mehr so gerne gesehen waren, nach Paris übergesiedelt. 1921 schickte er an 40 in alle Welt verstreute Gesinnungsfreunde Einladungen, sich mit Text- und Bildbeiträgen an einem Dada-Reader zu beteiligen. Die Rückläufe sind von eher sprödem Charme. Man verlässt die Ausstellung und weiß nun erst recht nicht, was man zum Dada-Ball anziehen soll.

Ein unbekannter Fotograf lichtete Tristan Tzara um 1920 so ab
Ein unbekannter Fotograf lichtete Tristan Tzara um 1920 so ab
Quelle: Collection Chancellerie des Universités de Paris,Bibliothèque littéraire Jacques Doucet,Paris

Tzara war der einzige Künstler, der eine Zeit lang noch an die Waffenwirksamkeit des Dreizacks im ahnungslosen Fleisch glauben wollte. Im Schulterschluss mit den Surrealisten versuchte er in Paris, Dada neu zu beleben. Aber die große Bewegung scheiterte – nicht zuletzt an den Machtansprüchen von André Breton, der mit den trunkenen Gespenstern nicht allzu viel anfangen konnte. Interessanter, dadatypischer, dass halt auch „Dadaglobe“ nie veröffentlicht wurde.

Die donquichoteske Seite der Welt

Man kann das jetzt nachholen. Man kann Tzara posthum das Buch schenken, das ihm nicht gelungen ist. Aber man verfehlt Dada, wenn man diese flüchtigen Apotheosen der Zerstörung auf die in Selbstzerstörung begriffene bürgerliche Welt in Kunstdauer überführt, wenn man aus Negation Stil macht. Was sollte man denn zur Dada-Kunst rechnen? Die Dada-Collage? Diese gutartige Kleinbildform, die sich selten wirklich böse gibt und Blatt für Blatt doch meist der Unsinnsbehauptung widerspricht? Wenn aus Dada Kunst wurde, dann nur in erkennbarem Abstand zu Dada. Francis Picabia, Marcel Duchamp, Hans Arp, Kurt Schwitters, Max Ernst, sie alle sind dadasozialisiert, aber groß und unverwechselbar sind ihre Werke geworden, indem sie sie handschriftlich geformt haben und dabei, um es mit Gottfried Benn zu sagen, durch so viele Formen geschritten sind.

Das berühmte Cabaret Voltaire in Zürich gibt es noch immer
Das berühmte Cabaret Voltaire in Zürich gibt es noch immer
Quelle: Martin Stollenwerk/Cabaret Voltaire

„Ist Dadaismus wohl als Zeichen und Geste das Gegenteil zum Bolschewismus? Stellt er der Destruktion und vollendeten Berechnung die völlig donquichoteske, zweckwidrige und unfassbare Seite der Welt gegenüber?“ Das war Hugo Balls Definition. Und sie ist nicht umsonst Frage geblieben.

Als Antihaltung wirkt Dada bis heute nach

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Vielleicht ist es ja das, was an Dada bestürzt bis heute, wie abgründig, wie unüberwindbar die Distanz der Künstler oder Nichtkünstler zu allem war. Kurt Tucholsky hat unter dem Eindruck des bildnerischen Gebells von den Wänden der Internationalen Dada-Messe 1920 in Berlin geschrieben: „Wer so die Welt verneinen will, muss einmal sehr geliebt haben, muss einmal umarmt haben, was er nun verbrennt.“

Dada ist sicherlich auch dies: ein abgeschlossenes Kapitel in der Erzählung der Avantgarden. Aber als Antihaltung, als Befreiungsversuch des Geistes aus der Form ist Dada nie wirklich historisch geworden. In der donquichotesken, zweckwidrigen und unfassbaren Auflösung der Formen und Formeln lag von Beginn an eine kulturelle Sprengkraft, die nicht nur die Bilder zerstören wollte. Und wenn die schrillen Couplets und selbst gebastelten Maskeraden auch längst ein wenig kurios erscheinen, dann ist sie doch noch immer spürbar, diese dadaistische Faszination an den unaufhaltsamen Zerstörungstendenzen einer entfesselten Kultur. „Darin, dass diese Epoche destruktiv nach unten segelt“, hat George Grosz im Jahr 1917 geschrieben, „bin ich in der Anschauung unverrückbar.“

Dada ist Fallsuchtdiagnose. Und wenn der Dadaist scharf genug diagnostiziert hat, darf er auch zum Dada-Fest.

Dada-Jubiläum, Zürich

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