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Kunst und Architektur Andreas Mühe

Wie der Merkel-Fotograf Berlin reinlegte

Stv. Chefredakteur
Er gilt als Lieblingsfotograf von Angela Merkel. Für seine neue Serie „A.M.“ durfte Andreas Mühe sogar mit der Bundeskanzlerin im Audi auf die Zugspitze fahren. Zumindest glaubten das viele.

Die Geschichte von Andreas Mühes Karriere als Fotograf der Kanzlerin begann damit, dass er angebrüllt wurde. Es war 2006, im weißen Großraumbüro der deutschen „Vanity Fair“ in Berlin-Mitte, wo eine verzweifelt-verwegene Schar von Reportern, zu denen auch ich gehörte, ein gutes Jahr lang versuchte, deutsche Geschichten so glamourös zu erzählen wie amerikanische Geschichten. Weit kamen wir damit nicht, obwohl wir wirklich alles versucht haben. Einer dieser Versuche war Andreas Mühe.

„Ey, Mühe, du machst jetzt mal was mit Politik“, rief Chefredakteur Ulf Poschardt einer Eingebung folgend dem damals 27-Jährigen zu, der vorher Supermärkte, palästinensische Studenten und vor allem immer wieder Menschen fotografiert hatte, die auf den Bildern besonders gut aussehen.

Wenn einer – so der Plan – deutsche Politik doch noch so zeigen könnte, dass man sie gerne sieht, dann er. Doch deutsche Politiker wollen das gar nicht – als Mühe und ich für ein Porträt den damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler bis nach Sarajewo und Rumänien begleiteten, mied der Mann uns geradezu. Am Ende hatte Mühe nur ein Foto im Kasten – auf dem Köhler aussah wie Dracula – und mein Notizblock war auch leer.

Auf dem Rückflug schlug dann auch noch ein Blitz in Köhlers Maschine ein, weil ein Präsident sich auch von einem Gewitter nicht aufhalten lassen darf. Kurz dachte ich in diesem Moment, Mühe hätte jetzt genug von der Politik.

Bei ihm sah Merkel aus wie die deutsche Queen

Hatte er aber nicht. Er zielte nur höher. Er wollte die Kanzlerin fotografieren. Angela Merkel, ausgerechnet, die Politikerin, die sich lange für Kameras nicht einmal schminken wollte und auch heute noch ihre Nichtinszenierung inszeniert. Die Pressefotografen lachten Mühe aus, als er der Kanzlerin bis nach New York folgte und im UN-Gebäude für sie Ringblitz installierte. Doch Merkel sah auf den Fotos gut aus – und ungewöhnlich. Das hat „Vanity Fair“ nicht gerettet, aber Mühe blieb dran.

Für den „Stern“ fotografiert er Merkel unter einem Baum von der Kamera und dem Betrachter abgewandt. Die preisgekrönte Reportage „Die deutsche Queen“ von Alexander Osang bebilderte er dann kongenial: Merkel war gar nicht mehr zu sehen, nur noch ausgeleuchtete leere Orte, an denen sie gerade gewesen war.

Das Gerücht, Merkel habe Vertrauen zu Mühe, weil sie dessen Vater, den Schauspieler Ulrich Mühe, schon in der DDR kannte, stimmt nicht. Seine Arbeiten müssen sie beeindruckt haben. Oder jemanden, der Merkel wirklich nahesteht: Eva Christiansen, ihre Vertraute und Medienberaterin, rief Mühe vor vier Jahren an, ob er nicht ein Porträt machen wolle. Mühe wählte einen tiefschwarzen Hintergrund.

Es war gerade Wahlkampf, und die Werbeagentur der CDU warnte, so viel Düsternis verstoße gegen alle Regeln. Doch Merkel vertraute ihrem Fotografen: Sein Porträt wurde in ganz Deutschland in den letzten Tagen vor der Wahl als Großplakat gezeigt. Merkel wurde wiedergewählt, und als sie vor zwei Jahren in Washington von Obama einen hohen Orden bekam, flog Mühe nicht mehr im Pressetross, sondern in ihrer Delegation mit.

Das Bundespresseamt dementierte

Spätestens jetzt schrieben die Medien von „Andreas Mühe, Kanzlerinnenfotograf“. Das ist ein eingeführter Begriff, der sonst für Konrad R. Müller gebraucht wird, der Willy Brandt und Helmut Kohl zeigte, oder bei Merkel für die Berliner Französin Laurence Chaperon. Auf Zugang zu Merkel, echter oder vermeintlicher Vertrautheit, bauen in Berlin ganze Karrieren. Doch Mühe interessiert sich für Macht – und nicht für die Nähe zu ihr. Er wollte nicht Kanzlerinnenfotograf sein. Doch den Titel loszuwerden, erwies sich als noch schwieriger, als ihn zu bekommen.

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Egal, ob Mühe urinierende Skinheads, die Band Rammstein oder Hitlers Obersalzberg zeigte – immer schrieben die Medien auch von Merkel. Irgendwann im Sommer entschloss sich Mühe dann, dem Affen Zucker zu geben – und wie.

Vierzehn Bilder hat er in der ehemaligen Jüdischen Mädchenschule in Berlin aufgehängt. Die Kunstzeitschrift „Monopol“ hat vier unterschiedliche Cover damit gestaltet und zeigt die Strecke im Heft komplett. Die „Bild“-Zeitung präsentierte eines auf ihrer ersten Seite. Vierzehn klassisch deutsche Motive: der Kreidefelsen vor Rügen, die Loreley, die Alpen, die Essener Villa Hügel und den wuchtigen Karl-Marx-Kopf aus Chemnitz, Mühes Heimatstadt, die er immer noch Karl-Marx-Stadt nennt. All das sieht man vom Innenraum einer Limousine aus: Durch das Fenster fotografiert, davor die Frisur, die Jacken, den Schmuck, den die deutschen von tausend Bildern kennen. „A.M.“ heißt die Serie, obwohl man nie Angela Merkels Gesicht sieht.

Inspiriert von Lee Friedländer

Als die Bilder hingen, ließ sich Mühe, der als Vater dreier kleiner Töchter mit dem Rauchen eigentlich aufgehört hat, vom Reporter eine Zigarette geben. Erst am Dienstagabend wurde die Ausstellung eröffnet, das halbe politische Berlin hatte sich angemeldet, am Mittag gab es eine Vorab-Pressekonferenz. Der Kulturkorrespondent einer wichtigen Zeitung hatte den Kanzlerfotografen schon am Vorabend exklusiv treffen wollen, ein große Nachrichtenseite führte schon vor der PK ein Interview mit dem „Monopol“-Chefredakteur Holger Liebs, um 14 Uhr hatte sich ein Kamerateam der Deutschen Welle angesagt, die Redaktion der „Tagesthemen“ diskutierte noch.

Um kurz vor 12 wurde es dem Bundespresseamt, das schon den ganzen Tag mit Anfragen bombardiert worden war, zu bunt: Per Eil-Meldung wies man darauf hin, „dass Bundeskanzlerin Angela Merkel an dem Projekt des Fotokünstlers Andreas Mühe ‚A.M. Eine Deutschlandreise‘ in keiner Weise mitgewirkt hat“.

Es war alles nur ein Spaß. Was wie Merkel aussah, war ein Model. „A.M. Eine Deutschlandreise“ zeigt nicht, wie A.M., Angela Merkel, das Land sieht, sondern wie A.M., Andreas Mühe, es sieht.

Inspiriert hat ihn Lee Friedländer, der große US-Fotograf, der den amerikanischen Kontinent aus einem Auto fotografiert hat. Mühe hat jetzt Deutschland aus dieser Perspektive gesehen, die zur Konzentration zwingt, „weil sie nur zehn Prozent zulässt“. Dass die Medien es für interessanter gehalten hätten, wenn es wirklich Merkels Perspektive gewesen wäre? Geschenkt. Man hätte schon beim Betrachten der „Bild“-Zeitung darauf kommen könne, indem der Blick aus dem Dienstwagen über die Gipfel der Alpen schweift.

Dafür hat Mühe die Autotür ausgebaut und den Berg hochgeschleppt. Aber es scheint, die Journalisten halten es für schwerer, dieser Kanzlerin nahezukommen, als mit einem Audi A8 auf die Zugspitze zu fahren.

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