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  4. Deutscher Filmpreis: : So könnte das hiesige Kino eine große Zukunft haben

Meinung Filmpreis-Gala in Berlin

So kann der deutsche Film endlich wieder Weltrang erreichen

Chefkorrespondent Feuilleton
Überraschung des Abends: Ayşe Polat Überraschung des Abends: Ayşe Polat
Überraschung des Abends: Ayşe Polat
Quelle: dpa
Politisch korrekte Zugeständnisse an den Zeitgeist oder verdiente Entscheidungen für Horizonte jenseits des Tellerrands? Der Deutsche Filmpreis kriegt die Kurve und lässt das Unmögliche möglich erscheinen: eine große Zukunft des hiesigen Kinos.

Im Vorfeld hatten die Unken gerufen: Der Filmpreis sei öde, biete nur lasche Konkurrenz und sei überhaupt so ein Gemauschel, bei dem die drei Millionen Preisgelder, die Claudia Roth dafür lockermacht, von der einen Tasche in die andere wanderten: Filmakademie-Mitglieder stimmten darüber ab, welche anderen Filmakademie-Mitglieder obsiegten.

Dann war aber am Freitagabend das Wetter am Berliner Potsdamer Platz, wo die Gala im Berlinale-Palast über die Bühne ging, so sonnig und warm, dass niemand mehr ein Frosch sein wollte. 1600 Smokings und Abendkleider defilierten über den roten Teppich und drängelten sich zwischen veganen Tapas und süßen Weinmixgetränken, in denen Rosmarin schwamm.

Ein leicht aufgescheucht wirkendes Moderatoren-Septett führte durch den Abend, darunter die Schauspieler Jürgen Vogel, Jasna Fritzi Bauer, Gizem Emre und einige mehr – der Eindruck drängte sich auf: Hauptsache Migrationshintergrund. Als dann noch dauernd der naturgemäß diverse „Milli Vanilli“-Film „Girl You Know It’s True“ gewann, gegen so bieder-biodeutsche Konkurrenz wie „Stella“ mit Paula Beer oder die Robert-Seethaler-Verfilmung „Ein ganzes Leben“, dachte man: Aha, hier soll womöglich ein Zeichen gesetzt werden.

Lars Eidinger schaltet sich ein
Lars Eidinger schaltet sich ein
Quelle: dpa

Schon ganz am Anfang war quasi anti-klimaktisch der Preis für die beste männliche Hauptrolle vergeben worden und Lars Eidinger leer ausgegangen. In Matthias Glasners „Sterben“, dem haushohen Favorit des Abends, achtfach nominiert, spielt Eidinger einen liebesunfähigen Dirigenten. Die Lola ging stattdessen an Simon Morzé in „Der Fuchs“, einem auf einer wahren Geschichte basierenden Weltkriegsdrama.

Der Überraschungskurs setzte sich fort. Vor allem zwei Filme marschierten, die man nicht unbedingt auf dem Zettel gehabt hatte: Timm Krögers „Die Theorie von allem“, ein stilsicherer Genremix aus Expressionismus-Noir und Alpen-Science-Fiction, sowie Ayşe Polats „Im toten Winkel“, ein in der Türkei spielender Politthriller mit übersinnlichen Einsprengseln. „Theorie“ gewann für die beste Kamera, beste Musik, bestes Szenenbild und beste visuelle Effekte. „Im Toten Winkel“ nahm die bedeutenden Lolas für bestes Drehbuch und beste Regie mit und bekam schließlich den Lola-Trostpreis in Bronze im Rennen um den besten Film.

Auch ein anderer großer Gewinner des Abends widmet sich Ungerechtigkeiten jenseits des deutschen Tellerrands: Steffi Niederzolls „Sieben Winter in Teheran“ erzählt vom Schicksal Reyhaneh Jabbaris, einer 19-jährigen Iranerin, die in Notwehr ihren Vergewaltiger erstach und dafür zum Tode verurteilt wurde. Dafür gab es die Lolas für den besten Schnitt und den besten Dokumentarfilm. „Wahnsinn, gegen Wim Wenders!“, rief die Produzentin Melanie Andernach perplex und meinte den Film „Anselm“ über den Maler, der auch im Rennen gewesen war, neben einer Doku über die Aktivisten im Hambacher Forst, deren junger Regisseur bei den Dreharbeiten tödlich abgestürzt war. Dass die Moderation in der Vorstellung der Kandidaten keine drei Sätze für Wenders’ Film übrig hatte, verstärkte den Eindruck einer Schlagseite Richtung politische Korrektheit und gegen vermeintliche alte weiße Männer.

Brillant: Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer (l.) und Ehrenpreisträgerin Hanna Schygulla
Brillant: Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer (l.) und Ehrenpreisträgerin Hanna Schygulla
Quelle: dpa

Aber wir leben nun mal in politischen und alarmierten Zeiten, was an den beiden Höhepunkten des Abends die Ikonen Margot Friedländer und Hanna Schygulla ins Zentrum ihrer Reden stellten. Die 102-jährige Holocaust-Überlebende Friedländer sagte mit einer Stimme, deren leichtes Zittern den Eindruck der Entschlossenheit nur verstärkte, als sie vor 14 Jahren zurück nach Deutschland gekommen sei, hätte sie es sich „nicht träumen lassen, was jetzt in der Öffentlichkeit los ist: So hat es damals auch angefangen.“ Und fügte hinzu: „In diesem Raum sitzen ganz viele Geschichtenerzähler. Ihr habt die Verantwortung, die Kraft des Films zu nutzen, damit so etwas nie wieder passiert.“

Die 80-jährige Schygulla, der größte lebende Star des deutschen Kinos, zuletzt brillant in Yorgos Lanthimos’ „Poor Things“, berichtete in einer von einem flatternden Zettelkonvolut unterstützten und immer wieder extrem lustigen Stegreifrede („Alexander Kluge, wo steckt der eigentlich? Das war doch so ein ganz Toller!“) von ihrem Einsatz für afghanische Flüchtlinge und sagte: „Ich habe im Radio gehört, dass von den jungen Leuten viele AfD wählen. Da bin ich tief erschüttert.“ Warum das so so, wisse sie nicht, man dürfe aber nicht aufhören, diese Frage zu stellen.

In den eingeblendeten Splitscreens mit den gespannten Nominierten wirkte Matthias Glasner immer versteinerter, als „Im toten Winkel“ den Drehbuch- und Regiepreis bekam und seine starbesetzte existenzialistisch zerquälte Tragikomödie „Sterben“ leer ausging. Ayşe Polat im strahlend roten Kleid erwies sich ein ums andere Mal, das sie auf die Bühne trat, als eine so klare, würdige und sympathische Preisträgerin, die überdies einen fantastischen Film gedreht hat, den im Kino viel zu wenige Leute gesehen haben, dass die Entscheidungen schon in Ordnung gingen.

„Liebe ist möglich!“

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Und „Sterben“ wurde im Verlauf mit Auszeichnungen für die beste männliche Nebenrolle (Hans-Uwe Bauer), die beste Filmmusik (Lorenz Dangel) sowie die beste weibliche Hauptrolle (Corinna Harfouch) bedacht sowie schließlich mit dem großen Hauptpreis der goldenen Lola, sodass auch Glasner versöhnt wirkte. „Ich muss zugeben, es war ein echt aufregender Abend“, sagte er. Und betonte einmal mehr, wie nahe ihm dieser Film sei, der starke autobiografische Züge trägt. Lange habe er selbst keine Liebe geben oder empfangen können. Erst seit wenigen Jahren habe ihm seine Familie gezeigt: „Liebe ist möglich!“

Ein Satz, mit dem die ganze Veranstaltung treffend überschrieben ist. Sandra Hüller laudatierte drei großen Kolleginnen intelligent und herzerwärmend. Und auch İlker Çatak, Regisseur des oscarnominierten „Lehrerzimmers“, traf in seiner Hommage an die Kollegen Polat, Glasner und Kröger mit jedem Wort den richtigen Ton. Von einem schwachen Jahrgang kann keine Rede sein, auch wenn die Petzolds, Akins, Ades, Tykwers, Grafs und Schraders diesmal keinen Film im Rennen hatten. Ganz im Gegenteil: Die abgebildete Diversität ist verdient ausgezeichnet worden, weil sie schlicht ausgezeichnet ist. Was einmal Lippenbekenntnis gewesen sein mag, hat sich eingelöst. Wenn jetzt noch Claudia Roths dringend benötigte Reform der Filmförderung durchgeht, hat der deutsche Film das Zeug, endlich wieder Weltrang zu erreichen.

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