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Das ZDF im Visier der DDR-Staatssicherheit

Leitender Redakteur Geschichte
Mit der zweiteiligen Dokumentation "Die Feindzentrale" zeichnet das ZDF in eigener Sache nach, wie Ost-Berlin über Jahrzehnte versuchte, das Zweite zu "zersetzen", zu kontrollieren und zu beeinflussen. So war gegen Moderator Gerhard Löwenthal eine perfide Verleumdungsstrategie geplant – und manche Spitzel wehren sich bis heute gegen die Enttarnung.

Bei Goethe versteht die Stasi gar keinen Spaß. Was bilden sich die Fernsehleute aus dem Westen ein, ausgerechnet den Weimarer Klassiker für den Kampf gegen die Arbeiter- und Bauernmacht zu instrumentalisieren? Auf die Idee ist Werner Brüssau gekommen, akkreditierter Korrespondent des ZDF in Ost-Berlin. Anlässlich einer Livesendung der ZDF-„Tele-Illustrierte“ aus Weimar im Oktober 1987 hat der Journalist mit dem Schauspieler (und Nationalpreisträger der DDR) Martin Hellberg eine Art Interview geführt.

Hellberg, gekleidet wie einst der Dichter, antwortet mit geschickt ausgewählten Goethe-Zitaten auf Brüssaus Fragen, die man durchweg auf die aktuelle politische Lage im doppelten Deutschland beziehen kann. Und weil das „Interview“ genau durchgeplant ist, gibt es auch ein Drehbuch, das ein Spitzel an die Staatssicherheit weitergereicht hat. Daraufhin wird Hellberg unter Druck gesetzt, ein „Überwachungsvorgang Prominenz“ eingeleitet. Der Nationalpreisträger soll das vorab aufgezeichnete Gespräch zurückziehen und erklären, das ZDF habe ihn dazu „gezwungen“. Hellberg weigert sich, obwohl ihm klar ist, dass darunter seine Frau und seine beiden Töchter leiden würden. Tatsächlich verliert Frau Hellberg bald darauf ihren Lehrauftrag an der Musikhochschule in Weimar.

Stasi versucht Interview mit Goethe-Zitaten zu zensieren
Die SED versucht zeitgleich, das ZDF von der Ausstrahlung abzubringen. Das würde einer Schändung des nationalen kulturellen Erbes der DDR gleichkommen. Im Weimarer Hotel „Elephant“ kommt es zum stundenlangen nächtlichen Krisengespräch: Parteifunktionäre und ein Vertreter der Stiftung Weimarer Klassik drohen der ZDF-Delegation um Nachrichtenchef Peter Voß. „Der Film wird die DDR nicht verlassen“, stellt laut erhaltenem Stasi-Protokoll ein Kulturfunktionär kategorisch fest – zu diesem Zeitpunkt ist die sendefähige Aufzeichnung bereits, in der Handtasche einer Mitarbeiterin, im sicheren Westen angekommen.

Auch nach Ausstrahlung der Sendung geht der Kampf der SED gegen den Schauspieler weiter: „Auf Grund vorliegender Informationen besteht der Verdacht, dass die Familie Hellberg durch legale des Gegners als Stützpunkt aufgebaut werden soll“, heißt es in einem „Übersichtsbogen zur operativen Personenkontrolle“ der Stasi vom 15. Juli 1988. „Legale Basen des Gegners“ – gemeint sind damit das ZDF und sein Korrespondentenbüro in Ost-Berlin. Eine Anekdote aus dem verwickelten Kampf des DDR-Ministeriums für Staatssicher (MfS) gegen der Mainzer Sender, aber eine, die besonders tief blicken lässt.

Deckname “Vorgang Bagage“

Am späten Donnerstag- und Freitagabend strahlt das Zweite die beiden einstündigen Dokumentationen von Christhard Läpple über „Die Feindzentrale“ aus. Mehr als zweieinhalb Jahre hat der Vize-Chef der Kultursendung „Aspekte“ mit einem kleinen Team recherchieren können – ohne äußeren Zwang oder Vorgaben der Intendanz, aber mit der Zusage, das Ergebnis in jedem Fall auszustrahlen.

Das Ergebnis ist eine hochgradig preisverdächtige Analyse. Mehr als 334.000 Blatt Papier haben Läpple und seine Mitarbeiter durchsehen können; das war das Recherche-Ergebnis zu „Vorgang Bagage“, wie das ZDF bei der Stasi hieß – und mit Sicherheit sind das nicht alle Spitzelberichte, Informationen, Einschätzungen und „Maßnahmepläne“, die das MfS angelegt hat. Schonungslos gegenüber dem eigenen Sender und sogar gut bekannten Kollegen klärt Läpple ein knappes Dutzend ganz unterschiedlich gelagerter Fälle auf – es hätte wohl 20-mal so viele Beispiele gegeben.

Rechercheteam geht schonungslos mit ZDF-Kollegen um

Ausführlich geht die Dokumentation auf die Fälle der ZDF-Korrespondenten Dietmar Schumann und Michael Schmitz ein. Durch die Öffnung der „Rosenholz“-Dateien wurde bekannt, dass beide Journalisten bis zur Wende 1989 als Geheimquellen der DDR-Auslandsspionage geführt wurden.

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Auf Schumann weisen 80 Seiten hin, die ein IM „Basket“ verfasst hat. Der einstige Reporter des DDR-Fernsehens in Moskau und Budapest, der nach dem Mauerfall aus vielen Krisengebieten berichtete, bestreitet jede Beziehung zur Stasi. Er sei ohne sein Wissen abgeschöpft worden. Für die Stasiakten-Beauftragte Marianne Birthler sprechen die Akten eine andere Sprache. Sie sieht „eine willentliche und wissentliche Zusammenarbeit mit der Stasi“. Angesichts des „alleinigen Deutungsrechts“ sei er auf „verlorenem Posten“, sagt Schumann, der heute für das ZDF Dokumentationen dreht.

Schmitz, derzeit ZDF-Korrespondent in Wien, wird mit Berichten eines IM „Cousin“ in Zusammenhang gebracht. Doch auch der einstige Korrespondent in Ost-Berlin, bekannt für seine schonungslose Berichterstattung über die DDR-Repression, weist jede Beziehung zur Stasi zurück. Die Dokumentation überlässt dem Zuschauer ein Urteil. „Wir Journalisten sind keine Richter“, sagt ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender.

Bis zu 200 Inoffizielle Mitarbeiter im Einsatz

Bis zu 200 Inoffizielle Mitarbeiter (IM) waren gegen das ZDF im Einsatz. Zuweilen brutal war der Zugriff der DDR-Behörden auf das ZDF-Korrespondentenbüro in Ost-Berlin. Die Redaktion war verwanzt, der Eingang mit versteckten Kameras überwacht. Immer wieder brachen Stasi-Kommandos in der Nacht ein.

Gegen mehr als 670 DDR-Bürger, die mit der „Feindzentrale“ ZDF Kontakt aufgenommen hatten, wurde ermittelt. Zu ihnen gehört auch Wilma Reuß, die wegen „staatsfeindlicher Hetze“ zu sieben Jahre Haft verurteilt wurde. Sie hatte dem ZDF eigene Texte über den Alttag im „realen Sozialismus“ zugespielt.

Perfide Verleumdungspläne gegen Löwenthal

Einsam an der Spitze bei den Journalisten liegt jedoch Gerhard Löwenthal: Gegen den langjährigen Moderator des „ZDF-Magazins“ und unnachsichtiger Kommentator des SED-Unrechts fertigte die Stasi insgesamt wohl rund 30.000 Seiten Akten an. Darin sind perfide Pläne dokumentiert: So ließ MfS-Chef Erich Mielke prüfen, ob Löwenthal, der im Holocaust fast seine ganze Familie verlor und selbst nur knapp der Deportation entging, vielleicht als „Gestapo-Spitzel“ den Krieg überlebt hätte.

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Doch konnten die Diffamierungs-Experten der Abteilung IX/11 dem „Genossen Minister“ diesen unfrommen Wunsch nicht erfüllen: „Die wesentlichen Widersprüche und Verdachtsmoment zur Person und Rolle des L. während des Faschismus sind nicht belegbar“, heißt es im Abschlussbericht. Läpple hat es geschafft, gleich mehrere ehemalige IM oder Agenten vor die Kamera zu bekommen. Freimütig erzählen sie, meist ohne jedes Schuldbewusstsein, von ihrem Anteil am Kampf gegen Rechtsstaat und Demokratie. Wenn die derzeit heftig umstrittene Novelle des Stasi-Unterlagen-Gesetzes wie geplant verabschiedet worden wären, laut der ehemaligen MfS-Mitarbeitern ihre Tätigkeit „im Rechtsverkehr“ nicht mehr hätte vorgehalten werden dürfen, wäre wohl die gesamte Recherche unmöglich gewesen.

Wie dreist sich überführte Spitzel benehmen, zeigt der Fall eines ZDF-Kamera-Mann, der bereits seit 1962 für die Stasi das damals gerade gründete ZDF ausgespäht hat. Obwohl seien Akte alles enthält, was man zur Überführung eines Spitzels braucht, hat der im Film nur „Horst P.“ genannte IM „Goslar“ durchgesetzt, dass sein Name nicht genannt werden darf. „Goslars“ Anwalt ist, welch Zufall, Peter-Michael Diestel, letzter Innenminister der DDR, der das MfS in Interviews immer wieder mal für „juristisch rehabilitiert“ erklärt. Läpple durchleuchtet auch zwei prominente ZDF-Korrespondenten auf eventuelle Stasi-Mitarbeit, eine ehemalige Praktikantin in Guido Knopps Redaktion Zeitgeschichte und einen früheren Fernsehrat. All das gelingt ihm ohne jeden Schaum vor dem Mund, abgewogen, sachlich und über weite Strecken sogar fesselnd. Ein brillantes Stück Fernsehen, das alles verdient – nur nicht den Senderplatz gegen Mitternacht.

ZDF, Donnerstag 23.45 Uhr und Freitag, 00.10 Uhr

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