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Kultur MeToo in der Klassik

So geht es weiter im Fall François Xavier Roth

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Vor den Trümmern seiner Karriere: François-Xavier Roth Vor den Trümmern seiner Karriere: François-Xavier Roth
Vor den Trümmern seiner Karriere: François-Xavier Roth
Quelle: picture alliance/dpa/Archiv
Vor drei Wochen wurden in Frankreich gegen den Kölner Generalmusikdirektor François Xavier Roth Vorwürfe wegen sexuellen Übergriffs erhoben. Jetzt wird offensichtlich, welche Folgen das für den Dirigenten hat, der gerade dabei war international durchzustarten.
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„Ines“ – so heißt eine eben in Köln uraufgeführte Oper des tschechischen Komponisten Ondřej Adámek. „Ines“ das steht auch für „International Nuclear and Radiological Event Scale“. Das meint die Bewertungsskala der Internationalen Atomenergie-Organisation für Unfälle in Kernkraftwerken. Eigentlich hätte dieses letztlich ein wenig flache Musiktheater von Kölns Generalmusikdirektor François Xavier Roth dirigiert werden sollen – als Abschluss seiner vorletzten Saison.

Doch der 52-jährige Franzose hat gerade eben einen ziemlich schweren Reputationsstörfall auf der MeToo-Skala erlebt. Die französische Wochenzeitung „Le Canard enchaîné“ hatte ihn vor drei Wochen bezichtigt, seine musikalische Machtposition ausgenutzt, seine Untergebenen in schlüpfrige Handy-Dialoge verwickelt und ihnen „Dickpics“ gesendet zu haben. Er selbst hatte das gegenüber der Zeitung eingeräumt und sich entschuldigt, seither lässt er seine Ämter ruhen, um den Untersuchungen nicht im Wege zu stehen.

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Die Kölner GMD-Position schließt, weil das Gürzenich-Orchester auch die Oper bespielt, die Kölner Opern-Chefstelle mit ein. Und während noch offen ist, ob sich Roth möglicherweise auch in Köln etwas hat zuschulden kommen lassen und auch die Leitung des Südwestrundfunks schweigt, wo Roth im Herbst 2026 als Nachfolger des umstrittenen Teodor Currentzis die Chefposition des SWR Symphonieorchesters übernehmen soll, werden in Frankreich Tatsachen geschaffen.

Hier steht Roth seinem eigenen, freien Orchester Les Siècles vor. Das wurde bereits aus der Organisation unabhängiger Orchester geworfen, ein Japan-Gastspiel im Herbst vom Veranstalter abgesagt. Der Name Roths, immerhin Gründer und Chef des Ensembles, wurde von der Website getilgt.

Überall Kopfschütteln

Nicht nur in Frankreich, aber da ganz besonders, wäre Roth in den nächsten Spielzeiten grandios durchgestartet, kaum ein anderer Dirigent vereint auf solchem Niveau eine solche Varietät der Stile, ist offen für ungewöhnliche Projekte. So wird jetzt vom Festival in Aix-en-Provence bis zum Pariser Théâtre des Champs-Élysées hektisch umgeplant; allein 20 Abende hätte er in der Rue Montaigne dirigiert, unter anderem eine Koproduktion mit der Mailänder Scala von Massenets „Werther“ in der Regie von Christof Loy. Mit wem man spricht, überall schütteln die Beteiligten nur ungläubig die Köpfe.

Doch ausgerechnet in Köln, wo schon diverse Stadträte die sofortige Roth-Abberufung forderten („Er ist nicht mehr tragbar“, so die kulturpolitische SPD-Sprecherin) wurde kurz vor der Adámek-Uraufführung die Saison-Vorschau des Gürzenich-Orchesters für 2024/25 verschickt – in der Roth noch mit diversen Konzerten aufgeführt ist, etwa für einen Schönberg-Abend im September, ausgerechnet unter dem Thema „Verbotene Liebe“.

Das hat wohl rechtliche Gründe, weil noch kein Ersatz gefunden wurde. Dirigieren wird Roth aber aller Wahrscheinlichkeit nach nicht. Die Oper hat ihren GMD in ihrer dieser Tage erscheinenden Vorschau mit keinem Dirigat mehr angesetzt. Für die Premiere von Haydns „Schöpfung“ konnte Marc Minkowski als hochkarätiger Haydn-Ersatz gefunden werden, andere Positionen sind noch offen.

Eng wird es auch für die Kölner Ein-Mann-CD-Firma Myrios von Stephan Cahen, bei dem Roth-Aufnahmen etwa ein Drittel des Katalogs ausmachen, der aber bisher noch keinen Einbruch bei den Verkaufszahlen feststellen konnte. Cahen ist allerdings mitten in der Fabrikation eines sinfonischen Bruckner-Zyklus mit Roth und dem Gürzenich-Orchester. Viel gelobt für seinen frischen, cleanen, durchsichtigen Klangzugriff – typisch Roth eben – wurde eben das nicht mehr zu stoppende Doppelabum mit der 1. und 2. Sinfonie veröffentlicht.

Zu Bruckners 200. Geburtstag am 4. September 2024 sollte eigentlich die komplette Box inklusive der drei noch ausstehenden Sinfonien erscheinen. „Das wird aber nun definitiv später in diesem Jahr sein, weil ich gegenwärtig mit Roth keinen Kontakt habe und er die finalen Masterbänder noch abnehmen muss“, so Cahen, der auch nicht so recht weiß, wie er weiter verfahren soll.

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Er, bei dem für das anvisierte Ende der Kölner Roth-Ära im Sommer 2025 noch drei weitere Aufnahmen auf Vorrat liegen, hat alle seine Vertriebspartner über die Situation informiert. Bisher haben nur die Engländer die Vorbestellungen halbiert. Freilich kann man schnell nachordern, wenn nötig.

Bei „Ines“ im Kölner Staatenhaus (der Ausweichspielstätte der seit Jahren renovierten Oper), da ist Roth freilich kein Thema. Ondřej Adámek dirigiert seine polystilistische Partitur, die vom Jazz über Folklore bis zu allen möglichen zeitgenössischen Figuren wie Mustern reicht mit allergrößter Souveränität. Die Regisseurin Katharina Schmidt nutzt gekonnt die Breitwandbühne, die mit 2400 Säcken voll rosa strahlendem Atomabfall wie Naturkundemuseumsvitrinen voll ausgestopfter Tiere bestückt ist.

Kathrin Zukowski und der mal mit Bariton-, mal mit Countertenorstimme agierende Hagen Matzeit pendeln gekonnt zwischen versunkener Antike und verstrahlter Jetztzeit, geben der etwas zu allgemein gehaltenen Parabel individuelle Farben und Intensität. In Köln geht das Musikleben also weiter. Auch ohne François Xavier Roth.

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