Nicht schon wieder ein Finne! Doch! Gerade reißt sich der Klassikbetrieb um den 28-jährigen Klaus Mäkelä. Der sammelt als überfliegender Dirigent Eliteorchester-Chefposten von Norwegen über Frankreich, Holland und Amerika ein wie Altersgenossen soziologische Hauptseminararbeiten. Und nun steht bereits das nächste juvenile Gewächs aus der Dirigentenschmiede des legendären Jorma Panula bereit und bringt sich in die Pole Position. Tarmo Peltokoski heißt er. Ein schmaler Mann mit brauner Brille, gerade mal 24 Jahre jung.
Gibt es da Konkurrenz? „Natürlich kenne ich Klaus“, gibt Peltokoski langsam und überlegt zu Protokoll. „Er ist vier Jahre älter, so begann ich erst mit dem Dirigierstudium bei Jorma Panula, als Klaus aufhörte. Aber ich war in seinem ersten großen Konzert, als er 18 Jahre alt war. Und natürlich wäre es mir lieber, wenn wir nun nicht dauernd verglichen würden …“
Muss man auch gar nicht, denn beide sind sehr verschieden. Tarmo Peltokoski hat eine philippinische Mutter, isst gern, was sie kocht, war aber kaum mehr als viermal in ihrer Heimat: „Zuletzt 2019, das war mein erstes Konzert im Ausland, in Manila, mit 19 Jahren.“ Er selbst empfindet sich hundert Prozent als finnisch. Zumal er aus dem sehr provinziellen Österbotten stammt. Wie auch der Dirigentenschmied Jorma Panula, der im August 94 Jahre alt wird.
„Wir sprechen denselben Dialekt“, erzählt Peltokoski. „Das hat uns irgendwie verbunden. Ich könnte mir vorstellen, er hat sich dabei ein wenig wie zu Hause gefühlt. Er war 83, als ich ihn zum ersten Mal traf, und er war so warmherzig zu mir, wie er eben sein kann. Und er hat mich immer zu seinen nächsten Meisterklassen eingeladen, hat sich wirklich um mich gekümmert.“
Zuerst hat Tamo Peltokoski Klavier gespielt. „Als ich elf war, interessierte mich dann die Orchestermusik und was ein Dirigent so macht. Vor allem die Musik von Richard Wagner. Mit 14 durfte ich das dann ausprobieren und kam schnell mit Jorma in Kontakt. Es ist natürlich toll, dass er so jungen Talenten die Gelegenheit gibt, das ist außerhalb Finnlands eben nicht der Fall.“
Inzwischen hat er nicht nur seinen ersten, fast kompletten „Ring“ hinter sich, er legt jetzt auch sein Deutsche-Grammophon-Debüt vor. Mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, als deren Erster Gastdirigent er fungiert, hat er zwar ein superklassisches Programm gewählt – drei Mozart-Sinfonien –, die aber gehören in ihrer scheinbaren Leichtigkeit mit zum Schwersten überhaupt. So beginnt Tarmo Peltokoski mit einem Erdbeben, um sich dann kontinuierlich zu steigern.
So jedenfalls kommt einem hier die Urgewalt des paukenverwirbelten D-Dur-Anfangs der Haffner-Sinfonie mit seinem fanfarenartigen Thema und den großen Intervallsprüngen vor. Das freilich wird gleich von Zartheit und Pianokultur im Streicher-Unisono abgelöst. Wild, aber harmonisch geht es für die in solchen Temperamentsentäußerungen bewährte Kammerphilharmonie weiter.
„Die Deutsche Kammerphilharmonie hat mich in gewisser Weise entdeckt“, sagt Peltokoski. „Das war Liebe auf den ersten Blick. Mozart fühlt sich so natürlich mit ihnen an. Es sind sowohl liebenswerte wie exzentrische Musiker, wir mögen uns einfach sehr. Da konnten wir auch Mozart wagen.“
Er improvisiert auch über Mozart
Wo reifere Dirigenten vor Haydn und Mozart als dem für Orchester klangkulturerzieherisch Schwersten flüchten, stellt sich dieser Jüngling gleich drei der bekanntesten Mozart-Sinfonien: neben der Nr. 35 auch der „Linzer“ (Nummer 36) und der großen g-moll-Sinfonie (Nummer 40). Deren berühmten ersten Satz nimmt Peltokoski behände, trennt Melodie und Begleitfigur kaum, erzeugt so eine faszinierend schwebende Energie.
Nicht genug damit, dass er hier klug und fein ausgehört drei Mozart-Hits mit frischem Schwung neu interpretiert, der versierte Pianist und Komponist Tarmo Peltokoski steuert – in der digitalen Version dieses Albums – drei Improvisationen über die jeweiligen Sinfonien bei, teilweise sogar mit präpariertem, sich jazzig vertapsendem Piano. Das ist so mutig wie überraschend. „Ich improvisiere gerne auf dem Klavier“, sagt er. „Schon als kleines Kind. Und so kam mir die Idee, auf die Sinfonien improvisierend Bezug zu nehmen, als kleine, kontrastive Appetithappen.“
Komponieren war für ihn immer nur Mittel zum Zweck: „Es war schnell klar, das wird nicht mein Hauptberuf. Klavier habe ich schon sehr seriös studiert, ich bin auch heute noch mit meinen Lehrern in Kontakt. Die fanden auch meine Dirigierklassen zunächst sehr gut, um einen anderen Zugang zur Musik zu finden. Aber als es immer mehr wurde, waren sie etwas beunruhigt. Dann ging es leichter, weil ich an der Sibelius-Akademie meinen beiden Interessen folgen konnte.“
Doch irgendwann, das geschah ganz organisch, sagt er, „wurde eben dann doch das Dirigieren wichtiger. Auch wenn ich natürlich anfangs gar keine Dirigierauftritte hatte. Ich spiele immer noch gern Kammermusik mit Orchestermusikern. Und ich habe natürlich immer Opernpartituren am Klavier durchgespielt.“
Die Opern von Wagner, Mozart und Puccini haben ihn von Anfang an fasziniert. Er möchte sie in Zukunft öfter spielen. In seinem Terminplan stehen nun erstmals „Götterdämmerung“, ein zweiter „Tristan“-Akt in Riga und „Der fliegende Holländer“ konzertant in Luxemburg und Brüssel. „Danach werde ich auch in Opernhäusern arbeiten.“
Immer wieder Zeitgenössisches
Peltokoski ist trotz seiner Jugend schon Orchesterchef, der Betrieb giert danach. Seit Sommer 2022 steht er dem Lettischen Nationalen Sinfonieorchester in Riga vor, ab Herbst auch dem Orchestre National du Capitole de Toulouse: „Die beiden schienen mir eine gute Wahl. Das war stets ein Bauchgefühl. Beide sind wunderbare Klangkörper, aber doch so unterschiedlich, dass ich mich auf beide jeweils einstellen muss.“
Das Musiikkitalo, das Musikhaus in Helsinki, ist nach wie vor so etwas wie Tarmo Peltokosis Wohnzimmer: „Wenn ich zu Hause bin, halte ich mich dort die meiste Zeit auf, denn alle meine Freunde studieren ja noch immer. Das Publikum ist sehr aufgeschlossen gegenüber zeitgenössischer Musik, weil sie in fast jedem Konzert gespielt wird. Trotzdem ist der Saal immer voll. Ich fand das ganz selbstverständlich. Ich musste erst lernen, dass das anderswo nicht immer der Fall ist, dass oft konservativer programmiert wird.
Trotzdem, sagt er, versucht er, in seinen Konzerten immer wieder neue Musik einzubringen: „Warum müssen wir immer fragen, ob sich das verkaufen lässt? Ich freue mich sehr, dass die Deutsche Grammophon mich jetzt Musik von Ralph Vaughan Williams aufnehmen lässt. Der ist kein Verkaufshit, mir sehr nahe, ich bewundere ihn sehr, er ist überall so unterrepräsentiert.“
Halten wir uns mit Lobeshymnen zurück, denn Prügel folgen heute auf den Fuß, zumal man Peltokoski nachsagt, in Sachen Kommunikation mit den Musikern noch einiges lernen zu müssen. Wie auch nicht? Trotzdem darf man sicher sein: Nicht nur nach diesem hinreißenden Debüt bei der Deutschen Grammophon wird auch dieser junge Finne seinen Podiumsweg machen.