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Kultur Françoise Hardy †

Trauer, Tragik, Transzendenz

Redakteur Feuilleton
Mit 18 tauchte sie zufällig im französischen Fernsehen auf und wurde zum Weltstar der Nation. Mit 80 ist Françoise Hardy nun in Paris gestorben. Ein Nachruf auf die Stimme der Erinnerungen – und auf eine Sängerin, die schon berühmt war, bevor sie bekannt wurde.
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Der vielleicht schönste ihrer vielen Abgesänge war nur eine Zeile lang: „Souviens toi, ce jour là, toi et moi.“ Erinnere dich jenes Tages, du und ich. Françoise Hardy war von zwei Debütanten aus Versailles gebeten worden, die acht Worte für sie aufzunehmen. Als das 20. Jahrhundert ausklang, machten Air, so nannten sie sich, elektronische Musik auf alten, analogen Soundmodulen in der Tradition der Spätromantiker. „Remember“ hieß das Stück. Es muss Françoise Hardy gefallen haben, dass die beiden Schwärmer ihre Stimme technisch so verfremdet hatten, dass sie niemand mehr erkennen konnte. Damals war sie 54 Jahre alt.

Bereits mit 18 schrieb und sang sie Lieder über das Erinnern. Die Gitarre hatten ihre Eltern ihr zum Abitur geschenkt. Während des Studiums in Paris an der Sorbonne entstand „Le temps de l’amour“, das in die Zeile mündete: „On s’en souvient.“ Liebe hat ihre Zeit, was bleibt, ist die Erinnerung daran. Dass die Welt ihre frühe Reife überhaupt zur Kenntnis nehmen konnte, lag daran, dass Charles de Gaulles, ihr Präsident, am 18. November 1962 die Nation am Fernseher mit seiner Ansprache zur Unabhängigkeit Algeriens auf sich warten ließ. Der Sender spielte ein, wie Françoise Hardy „Tous les garcons et les filles“ hauchte. Eine fragile Frau mit traurigen Augen. „Tous les garcons et les filles“ wurde zum Klassiker, nicht nur in Frankreich. Über den Moment, in dem Hardy und ihr Chanson, der Welt erschienen waren, stand später in „Paris Match“: „Sie war berühmt, bevor sie bekannt wurde.“

Auf ihrem ersten Album, „Françoise Hardy“ bei Vogue, schaute sie unter ihrem Regenschirm im Wind hervor, als gäbe es nichts mehr, was sie nicht schon gesehen und erlebt hätte. Sie wusste allerdings auch immer, was sie sang, weil sie es selbst geschrieben hatte. In den frühen Sechzigern war eine Singer/Songwriterin eine Seltenheit. Auch Hardy hatte ihre Songlektoren, Komponisten, Produzenten, aber ihre eigenen Ideen: „Ich bin keine Musikerin, ich bin Musikautorin, ich mache Melodien. Eigentlich braucht eine Melodie nicht einmal Worte.“ Es waren die Melodien ihrer Lieder und der Klang der Worte, die ihr Land und ihre Sprache in den Pop der Sixties integrierte, in das weltumspannende YeahYeahYeah aus Beat und Folk, französisch: YéYéYé.

Es gibt Geschichten aus der Zeit, aus diesen sagenhaften Sechzigern, als David Bowie sie zur schönsten Frau der Welt erklärte, als Mick Jagger ihr vergeblich nachstellte und als Bob Dylan sie mit Liebesbriefen bombardierte und versuchte, sie mit Songs, die er ihr überlassen wollte, zu verführen. Von ihr selbst gibt es keine Geschichten zu solchen Geschichten, bis auf ein paar Sätze über lächerliche, geltungssüchtige Männer, die glauben, als Kinder in den Kessel mit dem Zaubertrank der Popkultur gefallen zu sein. Ex war die Zeit, in der sie auch in Filmen auftrat, bei Jean-Luc Godard in „Masculin – Feminin oder: Die Kinder von Marx und Coca-Cola“, und auf den Pariser Laufstegen, für Paco Rabanne in einem Minikleid aus viereckigen Goldschuppen. Natürlich sang sie auch für Serge Gainsbourg, wer tat das damals nicht, nach „Anamour“ erklärte sie: „Ich trete nie mehr auf.“ Da war sie 24.

Françoise Hardy bei einem ihrer seltenen und letzten Auftritte im Fernsehen, 1988
Françoise Hardy bei einem ihrer seltenen und letzten Auftritte im Fernsehen, 1988
Quelle: AFP/GEORGES BENDRIHEM

Es kam einiges zusammen bei Françoise Hardy um 1968. Auch wenn sie es nie verstanden hat, dass sie als Intellektuelle galt und als Ikone im studentischen Milieu („Mir fehlt es an jeglichem Abstraktionsvermögen“), hatte sie eine gesunde Abneigung gegen kulturindustrielle Zumutungen. Sie schämte sich dafür, auf Englisch und sogar auf Deutsch zu singen („Ich habe den Missbrauch zugelassen“). Sie ekelte sich davor, überhöht zu werden und vergöttert („Ich möchte nicht mehr als meine Melodien sein“) und vor der Öffentlichkeit überhaupt („Es ist vulgär“). Die Öffentlichkeit hielt sie daraufhin für arrogant, sie selbst hielt sich für schüchtern. Aber sie blieb konsequent: keine Konzerte und vor allem keine Fernsehauftritte in komischen Kulissen mehr, mit bunten Luftballons und kostümierten Tänzern.

Platten nahm sie weiter auf. Sie schrieb und sang ihre Chansons und Songs in ihren eigenen Eremitage im 16. Arrondissement und irgendwelchen Studios in Paris, und nebenbei wurde Françoise Hardy zur Astrologin der Nation, die Bücher über das geheime Wissen der Gestirne schrieb und darüber im Radio sprach. Politisch äußerte sie sich, wenn auch etwas erratisch, auch. Mal warnte sie vor Jean-Marie Le Pen, mal vor den Sozialisten, als François Hollande an die Regierung kam, versprach sie, auszuwandern. In den Achtzigern hob sie der French Pop wieder auf den Thron, Etienne Daho feierte sie in einem Buch: „Françoise Hardy, Superstar & Ermite“. Nach ihrem Album „Décalages“, 1988, ließ sie wieder einmal ausrichten: „Ich höre auf.“

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Wie jede Diva, die sie dann doch war, bei aller Scheu, kehrte sie immer wieder. In den Neunzigern mit einer Hymne für die Aidshilfe, „Si ça fait mal“, und ihrer Zeile „Souviens toi, ce jour là, toi et moi“ für Air, das Duo aus Versailles. In den Nullerjahren nahm sie Songs mit Iggy Pop und Damon Albarn auf und in den Zehnerjahren fast schon klassische Chanson-Alben wie „L’amour fou“, schrieb Bücher über sich wie „Avis non autorisés“ und Lieder wie „Rendez-vous dans une autre vie“ über ein Rendezvous in einer anderen Welt, da war sie 70.

Krank war sie schon länger. „Tant de belles choses“ hieß 2005 eines der schönsten Alben von Françoise Hardy mit einem Titellied, in dem sie eine lebensmüde junge Frau versucht, zum Leben zu ermuntern. Ihre Stimme sagt das Gegenteil: Es lohnt sich nicht, ein Leben, das man nicht mehr will. Das Lied ging bereits weit über die Hardysche Melancholie und ihren vielzitierten Dreisatz „Trauer, Tragik, Transzendenz“ hinaus. „Jemanden, der unheilbar krank ist, unerträglich leiden zu lassen, bis er stirbt, ist unmenschlich“, erklärte sie in einem ihrer letzten Interviews. Am Dienstagabend postete Thomas Dutronc, ihr Sohn mit Jacques Dutronc, dem Sänger des Chansons „Et moi, et moi, et moi“, ein Kinderbild mit seiner jungen Mutter und schrieb: „Mama ist gegangen“. Françoise Hardy, die Stimme der Erinnerungen, wurde 80 Jahre alt.

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