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Kultur Wiener Festwochen

Revolutionsfloskeln plus gehypte Kunst, warum es hier funktioniert

Freier Mitarbeiter im Feuilleton
Szene aus „Medeas Kinderen“ von Milo Rau Szene aus „Medeas Kinderen“ von Milo Rau
Szene aus „Medeas Kinderen“ von Milo Rau
Quelle: Michiel Devijver
Das Theater-Festival in Wien ist seit Wochen Stadtgespräch: Neben blutigem Stierkampf und tanzenden nackten Nonnen auf der Bühne wird auch die Bubble des linken Aktivismus angepikst. Es ist das Spannendste, was Theater gerade zu bieten hat.
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„Wir schulden der Welt eine Revolution“, steht auf dem Stoffbeutel von Milo Rau. Den neuen Leiter der Wiener Festwochen trifft man im alten Volkskundemuseum, das jetzt Haus der Republik heißt. Alles wirkt kreativ und improvisiert, auf einem der vielen Plakate wird die performative Zerstörung eines Verbrennermotors angekündigt. Rau ist auf dem Weg in den großen Saal zur Pressekonferenz. Es geht um den Prozess gegen die FPÖ, der am Wochenende der Europawahl stattfindet. Das ist, klar, alles nur Theater.

Rau begrüßt erst den Pressesprecher der FPÖ, dann Julian Hessenthaler, der mit dem Ibiza-Video die Koalition von FPÖ und ÖVP sprengte. Hessenthaler tritt als Kronzeuge der Anklage auf, die ein Parteiverbot fordert. Die Verteidigung? Ist die ehemalige AfD-Vorsitzende Frauke Petry. Insgesamt gibt es drei inszenierte Gerichtsverhandlungen mit echten Personen des öffentlichen Lebens, die „Wiener Prozesse“: gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung, die FPÖ und die „Heuchelei der Gutmeinenden“, darunter „Klimakleber“ und Palästina-Protestcamps. In der Antike, sagt Rau, sind Demokratie, Volksgericht und Theater zeitgleich entstanden.

Rau ist ein Medienprofi, der weiß, wie man Aufmerksamkeit erzeugt. In einem Glaskasten hängen Zeitungsartikel über die Festivaleröffnung. Mit seinen Mitstreitern hat Rau die „Freie Republik Wien“ ausgerufen – bekleidet mit Stricksturmmasken eines Wiener Luxuslabels. Widerspricht die Revolutionsrhetorik nicht der Realität eines staatlich subventionierten Festivals? Rau winkt ab, das weiß er natürlich. Er lässt sich im letzten Prozess sogar selbst anklagen, unter anderem wegen Fördermissbrauchs. Rau kritisiert die „Macht der Kuratorenklasse“, er will die Festwochen demokratisieren.

Wie frei ist die Kunst?

Die Wiener Festwochen sind Stadtgespräch wie nie zuvor. Bei der Pressekonferenz echauffieren sich Journalisten, dass beim ersten Prozess vermeintliche Corona-Leugner eine Bühne bekamen. Nun kommen die Rechten, später die Linken. Abends sitzt Rau wieder im großen Saal, dieses Mal im Publikum: Der Rat der Republik – ein Bürgergremium, das eine künftige „Verfassung“ für die Festwochen entwirft – diskutiert über Cancel Culture. Ein Konzert mit Teodor Currentzis wurde abgesagt, Omri Boehms „Rede an Europa“ vorab mit Antisemitismusvorwürfen bedacht. Wie frei ist die Kunst?

Selbst wenn der kokette Flirt mit dem Aktivismus befremdet, dem nötigt Raus Programm Respekt ab. Die Höhepunkte sind Theaterabende, die man so schnell nicht vergessen wird: Carolina Bianchi setzt sich mit K.-o.-Tropfen außer Gefecht, Angélica Liddell stürzt sich in einen blutigen Stierkampf, Florentina Holzinger lässt nackte Nonnen tanzen. Tim Etchells klamaukige Slapstick-Nummer tourt durch alle Wiener Bezirke. Die letzten Arbeiten von René Pollesch und Peter Brook sind schon jetzt Theatergeschichte. In „Medeas Kinderen“, Raus neuem Stück, verbinden Kinder die antike Geschichte mit einem brutalen belgischen Kriminalfall. Kunst, die nicht gewöhnlich oder gemütlich ist.

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Das Publikum feiert es. Noch nie, heißt es, waren die Festwochen so schnell ausverkauft. Zahlreiche Veranstaltungen locken zudem mit freiem Eintritt. Darunter, wieder im großen Saal im Haus der Republik, der Tanzworkshop Nhaka. Angekündigt ist eine „animistische, dekoloniale Praxis und Theorie“, die „das revolutionäre Potenzial von Kunst im Kampf gegen Rassismus, Imperialismus und Neokolonialismus“ erkundet. Während es draußen gewittert, stampfen wir in den Boden und küssen den Himmel.

Die Revolutionsvorbereitung – tanzen, klatschen, singen – ist anstrengend. „Don’t overthink“, sagt die Choreografin aus Simbabwe. „The body knows.“ Einer ihrer Tänzer betrachtet meinen Versuch, die Gliedmaßen mit dem Rhythmus zu versöhnen. Er sagt nur: „Breathe, brother!“ Nach zwei Stunden quittieren die ausgelaugten Teilnehmer – außer mir nur hellhäutige Frauen, jung bis alt, klassisches Biomarkt-Publikum – die erfolgreiche kulturelle Aneignung mit einem seligen Lächeln. Revolution? Eher nicht.

Bis in die Abendstunden herrscht Trubel im Haus der Republik, die „Solidarity Kitchen“ verteilt Essen, natürlich vegan. Das Festival feiert Halbzeit. Revolutionsfloskeln plus gehypte Kunst, es funktioniert, weil die Selbstbeobachtung der Gesellschaft mit den Mitteln des Theaters hier – anders als bei der Documenta – auch die Bubble des linken Aktivismus anpikst. Die Widersprüche landen auf der Bühne, mit ungewissem Ausgang. Das macht die Wiener Festwochen zum derzeit spannendsten Theaterfestival.

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