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Kultur Mussorgsky-Oper

Hier wird Russlands Geschichte kühl seziert

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Unvollendete Russland-Chronik: „Chowanschtschina“ Unvollendete Russland-Chronik: „Chowanschtschina“
Unvollendete Russland-Chronik: „Chowanschtschina“
Quelle: Monika Rittershaus
Dieses Stück muss man wirklich machen wollen, wenn man es macht: Claus Guth wollte Mussorgskys chaotische, monumentale Russlandoper „Chowanschtschina“ an der Berliner Staatsoper unbedingt machen. Das muss man bewundern. Lieben kann man es nicht.
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Das offizielle Arbeitszimmer des russischen Präsidenten im Kreml, pistaziengrün, mit korinthischen Säulen. Letzte Tagesvorbereitungen. Ein Anzugträger desinfiziert die Telefonanlage, füllt den Hundenapf mit frischem Futter, schlägt eine Unterschriftenkladde auf.

Ein historisch gewandeter Soldat hält die Wacht am Strand, hinter dem leeren Stuhl der Macht erhebt sich bronzen der Mann, auf den sich hier alle Machtpolitiker berufen: Peter der Große. Und aus dem Orchestergraben der Berliner Staatsoper Unter den Linden erhebt sich – die Flusswellen gluckern, die Lichtstrahlen wärmen – das schönste Musikstück des Abends: die Sonnenaufgangs-Ouvertüre zu Modest Mussorgskys Oper „Chowanschtschina“.

„Chowanschtschina“, was ungefähr mit „Die Schweinereien des Fürsten Chowansky“ zu übersetzen ist, dürfte nicht nur die Oper mit dem seltsamsten Titel sein. Sondern auch eine der undramatischsten, depressiv ausweglosesten. Außer der anfänglich orchestralen, zart anschwellenden Morgenstimmung über dem Fluss und dem melismatisch kreiselnden Tanz der persischen Sklavinnen (hier ein mörderisch irres Drehen der Derwische) hat diese spröde und sperrige Partitur so gar nichts Kulinarisches zu bieten.

Mussorgsky starb 1881 über den unvollendeten, noch nicht einmal geordneten Noten dieses rüden, kruden Geschichtstableaus. Es wurde spielfertig gemacht von Mussorgskys Mitstreiter Nikolai Rimski-Korsakow, später noch einmal instrumentiert von Maurice Ravel und Igor Strawinsky, schließlich von Dmitri Schostakowitsch.

Noch heute präsentiert sich der Fünfakter als ein wegen der gewaltigen Chormassen und der mächtigen Männerrollen schwer realisierbarer Opernbrocken. Der freilich wegen seiner elliptischen Dramaturgie, die seltsam verzerrt scheinbar unwichtiges in den Fokus rückt, die keiner Figur Sympathie entgegenbringt und keine wirklich entwickelt, etwas visionär Modernes, schweifend Surreales hat.

Russland Ende des 17. Jahrhunderts – einmal mehr Land schwacher, aber grausamer Herrscher, aufgerieben in Clan- und Klassenkämpfen, unübersichtlich und letztlich schwer verstehbar. Hier sind die üblichen, dauernd die Stoßrichtung wechselnden Intrigen um Strelitzen und Bojaren, natürlich auch um den Zarenthron, angereichert mit der fanatischen, sektenhaften Gruppe der Altgläubigen um ihren Führer Dossifei, die angesichts der herannahenden Reitermeute Peters des Großen kollektiv Feuerselbstmord begeht. Und wieder gibt es keinen verklingenden Geigenton, nur hohle Gongs, die im Nichts verhallen.

Trailer zu Mussorgskys "Chowanschtschina"

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Man muss dieses Monstrum – selbst Mussorgskys klobiges Stationendrama „Boris Godunow“ wirkt dagegen wie ein Promenadenkonzert – wirklich machen wollen, wenn man es macht. Eine zu leicht genommene „Chowanschtschina“ wäre sehr teure vergebliche Musiktheaterliebesmühe. Die Lindenoper soll es sichtlich und hörbar ein programmatisches Unterfangen sein. Zumal es schon vor vier Jahren stattfinden sollte – die Pandemie verhinderte dies, gleich zweimal. Im dritten Anlauf, vier Jahre später, ist immer noch Claus Guth der Regisseur, die Dirigentin jetzt Simone Young.

Die leitet nüchtern, isoliert klanglich die einzelnen Bilder, stellt die Großartigkeit, aber auch die verlorene Leere dieser Musik zwischen Folklore-Reminiszenz, Kirchenhymne und nacktem Terror aus. Die Staatskapelle spielt das zurückhaltend, diszipliniert, spannungsvoll.

Eintauchen, Loslassen kann man hier nicht, obwohl Igor Strawinsky mit der Vollendung der von Mussorgsky nur vage angedachten Finalszene des Kollektivselbstmords der Altgläubigen ein mystisch-visionäres Musikstück gelungen ist. Der Staatsopernchor singt es mit Verve, Klarheit und strukturierender Intelligenz. Wie überhaupt das von Dani Juris einstudierte Kollektiv schnell zur nicht fassbaren Hauptperson des gar nicht so langen, aber langwierigen Abend wird.

Im Schatten des Ukraine-Krieges

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Zwischen den episodisch aufblitzenden Rollen geriert sich der nuancierte, aber auch bellende Mika Kares als gewalttätiger Fürst Chowanski. Najmiddin Mavlyanov ist mit schneidendem Tenor sein Sohn Andrei, Stefan Rügamer noch tenorpräsenter der brutale Fürst Golizyn. George Gagnidze röhrt rüde den Bojaren Schaklowity. Herausragend sind der baumstammmächtige, erzen tönende Taras Shtonda als Altgläubiger Dossifei und die zwischen irdischer und göttlicher Liebe schwankende Marfa von Marina Prudenskaya, die ihren Mezzo betörend ruhig und zart strömen lässt.

Selten sind bedeutsame Inszenierungen des sowieso nur selten gegeben Werkes. In Berlin stand Claus Guth nun vor dem Dilemma, eine bereits konzipierte Inszenierung auf den inzwischen ausgebrochenen Ukraine-Krieg reagieren zu lassen oder nicht: Das alte Russland als fatales Vorzeichen des heutigen zeigen oder eben beide Geschichtsebenen nebeneinanderzustellen.

Das Ergebnis ist ein korrekt und professionell ausgeführter, letztlich nicht befriedigender Versuch, zusammengehalten durch die inzwischen etwas banale Klammer eines Kollektivs von Archivaren. Das vermisst nicht nur vor jedem Akt die Körpergröße des heranwachsenden Zaren Peter, das stellt die Historie wie in einem Operngeschichtsfernsehen-Setting zwischen Kulissenversatzstücken in einem schwarzen Raum (Bühne: Christian Schmidt) aus, in korrekten Kostümen (Ursula Kudrna), mit verdoppelten, vergrößernden Live-Videos und eingeblendeten Erklärtextzeilen.

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Lebendig wird das nie, höchstens durch den Atem und die Aura einer Sängerin wie Marina Prudenskaya. Es bleibt ein kühler, sezierender Blick auf das Gestern. Der im dritten Akt, mit dem Monolog des Schaklowity über Russland und sein trauriges Schicksal, Gegenwart behauptet, wenn jetzt plötzlich Filmbilder der Oktoberrevolution, gestürzter Stalin-Statuen und aktueller Demonstrationen eingeblendet werden.

Eine Geschichte von Ambition und Verrat, Liebe und Enttäuschung, Glaube und Fatalismus, Fürsten und Fanatiker, bis das Rad der Geschichte sie alle zermalmt. Und am Ende, nach dem Feuertod der Radikalen, wird im von Videoflammen umzüngelten, leeren Kremlbüro die unbearbeitete Kladde wieder geschlossen. Man kann diese Oper eben nicht lieben, nur bewundern.

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