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Kultur Beth Gibbons

Sowas haben Sie noch nie gehört

Redakteur Feuilleton
„Dorthin, wo die Lebenden nie waren“: Beth Gibbons „Dorthin, wo die Lebenden nie waren“: Beth Gibbons
„Dorthin, wo die Lebenden nie waren“: Beth Gibbons
Quelle: Netti Habel/Domino Recording
Vor 16 Jahren hatte sich Beth Gibbons mit Portishead vom Popgeschäft verabschiedet. Plötzlich feiert sie als Sängerin das Comeback des Jahres. Mit einem Alterswerk, das anders klingt als alles andere. Wie hat sie das geschafft?
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Sie sang das Requiem auf das 20. Jahrhundert. Ihre Songs mit Portishead, von „Sour Times“ bis „Silence“, schlossen sich nach drei Alben zum Liederzyklus. Seither war Beth Gibbons nahezu verstummt, seit 16 Jahren. Manchmal tauchte ihre Stimme auf wie eine übersinnliche Erscheinung. In Henry Góreckis 3. Sinfonie sang sie Marias Klagelieder um den Sohn am Kreuz mit dem Polnischen Radio-Sinfonieorchester. Für Kendrick Lamar sang sie „Mother I Sober“ mit der Zeile: „Ich wünschte, ich wäre jemand. Jeder außer mir selbst.“

Nun ist Beth Gibbons wieder da, leibhaftig und mit ihrem ersten echten Soloalbum. „Out of Season“ von 2002, ihr erstes ohne Portishead und bisher einziges, war unter Beth Gibbons & Rustin Man erschienen. Hinter Rustin Man verbarg sich der Bassist der Band Talk Talk, Paul Webb. Auch ihr spätes Debüt, wenn man so will, stammt nicht von ihr allein. Lee Harris, er saß bei Talk Talk am Schlagzeug, und der Produzent James Ford spielten sämtliche Instrumente, die ihnen die Sängerin und Songschreiberin säckeweise während der vergangenen zehn Jahre in die Devon-Barn-Studios nach Bristol schleppte.

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So ist „Lives Outgrown“ zum meisterhaften Alterswerk geworden und gereift. Die Schöpferin hat sich die Zeit gegönnt, die ihre Stücke brauchten. Und sie hat aus ihrem Überdruss an den seriellen Stilmitteln der Popmusik, den immergleichen Sounds, Strukturen und Songtexten, eine ganz andere, eigene Art gemacht, die Dinge zu besingen. Lieder sind es immer noch. Sie handeln von der Welt einer bald 60-Jährigen, die nie viel über sich und ihre Songs verraten hat und heute sagt: „Ich bin am anderen Ende angelangt.“ Oder mit anderen Worten, in „Lost Changes“: „Es endet für immer, du wirst alt“. Man könnte solche Sätze im Gesang, durch ihre Stimme missverstehen als vertontes Selbstmitleid. Beth Gibbons fleht und barmt. Aber das ist ihr Timbre, das sie zwischen Folk und Jazz für sich gefunden hat. Sie lamentiert nicht, sie stellt fest. In „Oceans“ nimmt sie hin, was nicht länger in ihrer Macht liegt: „Denn mein Herz war müde und erschöpft“.

Das war es schon bei Portishead, „ich bin erschöpft, müde im Geist“, hieß es in „Threads“, im Abgesang. Ermattet war Beth Gibbons von den 90er- und Nullerjahren und der Hysterie um eine Band, die eher als offenes Projekt in aller Ruhe musizieren wollte. Sie hatte ihre Familienfarm verlassen, um in Bristol Sängerin zu werden. Auf dem Arbeitsamt traf sie Geoff Barrow, einen Tontechniker, der den Sound von Massive Attack miterfunden hatte. Sie gründeten Portishead, „Dummy“, ihr blaues Album, erschien 1994. Zu erlesenen Samples und getragenen Bässen sang Beth Gibbons ihre Grübeleien.

Fondue mit Freunden

Die Musikkritik und das Musikgeschäft brauchten einen Begriff dafür: TripHop versöhnte die Tristesse, die der Thatcherismus hinterlassen hatte, mit der postindustriellen Sachlichkeit einer Blairschen Sozialdemokratie, die eigentlich keine mehr war. TripHop wurde zum Soundtrack des Jahrhundertwechsels, zur Millenniumsmusik für alle. Barrow fühlte sich beleidigt: Portishead können man nur noch „zum Fondue mit Freunden“ hören. Gibbons war die Form des so elegischen wie eleganten Popsongs schon nach zwei von drei Platten zu eng, und sie nahm „Out of Season“ auf, das heute klingt wie eine Fingerübung für „Lives Outgrown“.

Als Beth Gibbons jung war, als sie in die Stadt zog, war Pop was für junge Leute. Aber auch die Popmusik ist alt geworden und mit ihr das Ideal, von sich zu singen und alle zu meinen, die sich in den Liedern wiederfinden. Am 17. Mai, wenn „Lives Outgrown“ erscheint, veröffentlicht auch Billie Eilish, 22 Jahre jung, ihr neues Album. Es sind andere Geschichten, andere Songs aus einem anderen Leben. Bei Beth Gibbons heißt es in „Burden of Life“: „Die Last des Lebens lässt uns nie in Frieden.“ Vom Verlust des Glaubens, der durch Zweifel ausgeglichen wird, erzählt „Beyond the Sun“. „Rewind“ und „Floating on a Moment“ sagen: Es gibt kein Zurück, es ist zu spät. Im Video versucht sie, von den schmelzenden Gletschern zu den Sternen heimzukehren, aus denen einmal alles entstanden war. Es ist ein Traum, in dem Beth Gibbons sich selbst dabei zusieht, wie sie quecksilbrig zerfließt.

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Es wirkt nur prätentiös, sobald man es beschreibt. Dabei ist alles so, wie sie schon immer auftrat: ungeschminkt, Pullover, Jeans. Und auch wenn sie vom Alter singt, von Abschied, später Mutterschaft und Wechseljahren, klingen ihre Lieder völlig neu und wie nichts anderes. Das Schlagwerk spielt zwischen den Takten: Pappkartons und Tupperdosen, Holzschubladen, Kuchenbleche und Kisten voller Gardinen. Hackbrett, Ukulelenbass und Kinderlaute, Blockflöten und Tierstimmen machen aus ihren Liedern etwas, was man so noch nie gehört hat und nie wieder hören wird. „Auf einer Reise dorthin, wo die Lebenden nie waren“, singt Beth Gibbons.

Beth Gibbons: „Lives Outgrown“ (Domino Records)

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