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Kultur So war der „Tatort“

Systemsprenger David und seine hochverbrecherischen Cousins

Redakteur Feuilleton
Im Porsche: Lannert (Richy Müller) und David (Louis Guillaume) Im Porsche: Lannert (Richy Müller) und David (Louis Guillaume)
Im Porsche: Lannert (Richy Müller) und David (Louis Guillaume)
Quelle: SWR/Benoît Linder
Mit manchen „Tatort“-Figuren möchte man ja eher nicht tauschen. Mit David zum Beispiel. Der ist 13, steht Schmiere bei einem Überfall, lädt Schuld auf sich und verstrickt sich immer tödlicher in ein Gespinst von Ansprüchen, denen er nicht gerecht werden kann. Sollte man sehen. Wegen David.

Man muss sich Michel als einen glücklichen Menschen vorstellen. Natürlich ist er das eigentlich nicht, der Sohn der Natella in Brechts „Kaukasischem Kreidekreis“. Verloren steht er da, die beiden Mütter, die er hat, die leibliche und Grusche, die Ziehmutter, die ihn liebt, balgen sich um ihn.

Schön ist das nicht für das Kind. Gefragt, was er will, wie Kinder es inzwischen von beinahe jedem Jugendrichter werden, wird der Michel auch nicht. Kurz bevor er zerrissen wird zwischen den Frauen, an deren Fäden er hängt, kommt er dann doch noch dahin, wo es ihm gut gehen wird.

Ein glücklicher Mensch ist der Michel im Vergleich zum David. Der ist 13. Und er würde sich, da ist der neue Stuttgarter „Tatort“ noch nicht lange ins Dunkel der Geschichte von Sönke Lars Neuwöhner und Martin Eigler (der auch Regie führte) abgetaucht, da wünscht er sich, es wären bloß zwei Fäden, von denen er sich losmachen müsste, wenn er frei sein wollte, endlich der, der er werden könnte.

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Verloren steht er da im Zwielicht, ein engelsgleiches Gesicht im Halbschatten einer Hoodie-Kapuze. Vor einem Juweliergeschäft, gleich ist Ladenschluss, da stürmen drei Gestalten mit Strumpfmasken an ihm vorbei. David steht Schmiere. Die Maskenleute sind seine Cousins und seine Schwester.

Sie machen das häufiger. Nur diesmal liegt am Ende nicht nur der Juwelier zusammengeschlagen am Boden. Eine Frau ist erwürgt worden, die kam auf den letzten Drücker in den Laden. Und David, der einen Moment abgelenkt war, weil ihm gegenüber auf der anderen Straßenseite ein Gesicht aus dem Dunkel hervorkam. Ein Drogendealer war das, ein Zeuge.

David (Louis Guillaume) mit dem Kommissar (Richy Müller) und seiner Sozialarbeiterin (Caroline Cousin)
David (Louis Guillaume) mit dem Kommissar (Richy Müller) und seiner Sozialarbeiterin (Caroline Cousin)
Quelle: SWR/Benoît Linder

David weiß nicht, was er tun sollte, und tut das grundfalsche. Er hält die Tür zum Juwelier zu. Die Frau kann nicht mehr raus. Die Frau muss sterben. Und Davids Schuldgefühl ist einer der Fäden, in die sich David immer tödlicher verstrickt.

Fäden, gehalten von Menschen, die alle etwas von ihm wollen, denen er es irgendwie recht machen will, an denen er allmählich zugrunde geht. Würde er Brecht kennen, würde er wünschen, es wären bloß zwei. Es sind aber ein gutes halbes Dutzend. Sie alle wollen was von ihm, wollen was mit ihm, nutzen ihn aus, missbrauchen ihn.

„… bist du tot“

Die drei vom Juwelierladen sind seine hochverbrecherischen Cousins und seine ständig bekiffte Schwester, deren Joker der Minderjährige ist. Sein Vater, der vom Knast aus seinen kriminellen Laden schmeißt, schärft David ein: „Wenn du die Familie verlässt, bist du tot.“ Ein ganz blöder Satz, weil David genau weiß, wenn er es nicht tut, wenn er bei der Bande, die man nicht Familie nennen mag, bleibt, ist er irgendwann genauso tot.

Bei den beiden Kommissaren ist das komplizierter. Die wissen ziemlich schnell, was geschehen ist, aber sie brauchen die Aussage von David. Darüber, wie sie die aus ihm herausbekommen, führen Lannert und Bootz erbitterte moralische Debatten. Und Davids Sozialhelferin ist auch keine Hilfe, die hat ihre eigene Agenda, die nutzt den Jungen, der sie sterblich liebt, als Waffe gegen „das System“.

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Der Junge wird gar nicht gefragt. Der Junge ist ein Held. Und wer immer Louis Guillaume, den eigentlich 16-jährigen Thüringer mit Serien-Erfahrung („Völlig meschugge?!“), gecastet hat, ist auch einer. Guillaume behält im Zerrkreis, in dem David hin- und hergeschleudert wird, eine fabelhafte Ruhe. Er hat die Zerbrechlichkeit und die Stärke, er ist ein zärtlicher Systemsprenger. Ihn glaubt man sogar Davids gespenstische Begegnungen mit seinem längst gestorbenen älteren Bruder.

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Man wünscht ihm eine Schere zum Durchschneiden der Fesseln. Und anschließend ein ganz langes Leben, ahnt aber, das hält einen trotz der eher unspannend verlaufenden Ermittlung gebannt am Bildschirm, dass den Racheschlag des Schicksals wieder einmal der Falsche abbekommt.

Die Kommissare, inzwischen erwiesene Experten in der Begegnung mit Verdächtigen, die sich mit Lügen und Finten und Selbstbetrug immer tiefer in jenen Schlamassel verstricken, den ihnen ihre jeweiligen Drehbuchschreiber angerichtet haben, die halten sich auch diesmal fein zurück.

Das passt. Alles passt schon ziemlich zusammen. Das Farbspiel, das Tempo, das Unaufgeregte, das selbst in Momenten der Aufgeregtheit unhysterisch bleibt. „Zerrissen“ ist eher eine tragische Gesellschaftsstudie, ein leiser Jugendroman als eine handelsübliche Mordgeschichte. Das Whodunnit ist in diesem „Tatort“-Jahr bisher sowieso eher nicht der Königsweg zum Sonntagabendkrimi.

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