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Kultur So war der Milberg-„Tatort“

Jetzt mach doch mal auf Rocker, du Mörder!

Redakteur Feuilleton
Hör mal! Axel Milberg ist Klaus Borowski Hör mal! Axel Milberg ist Klaus Borowski
Hör mal! Axel Milberg ist Klaus Borowski
Quelle: NDR/Thorsten Jander
Axel Milbergs „Tatort“-Kommissar Klaus Borowski wird in seinem vorletzten Fall in ein völlig fremdes Biotop verschickt. Er muss unter Heavy-Metal-Fans ermitteln. Cordanzug-Träger und Headbanger könnten sich prima reiben. Das geht aber furchtbar schief.

Wir waren mal wochenlang im Hinterzimmer von ziemlich finsteren Typen. Die trugen viel Schwarz und viel Haar und viel Bart. An den Wänden hingen Bilder von Menschen, denen wir Spießer nicht im Tunnel begegnen wollten. Und überall auf den Schreibtischen standen Totenschädel herum.

Wir planten irgendeine Layoutreform. Die machten ein Heavy-Metal-Magazin. Sie tranken Tee (Schachtelhalm vermuteten wir) und saßen morgens zur Konferenz so friedlich im Stuhlkreis, wie sich das jede Kindergärtnerin mit Dreijährigen und jeder Chefredakteur mit Dreißigjährigen nur wünschen kann.

So ähnlich – jetzt kommen wir endlich zum „Tatort“ – ist es Axel Milberg gegangen. Der wurde im Sommer vergangenen Jahres als Kieler Kommissar Klaus Borowski in ein ihm und Borowski eigentlich komplett fremdes Habitat geschickt. 75 Kilometer von Kiel weg, kurz hinter Itzehoe.

Da durfte endlich wieder Festival in Wacken sein, dem Kaff, das im Dornröschenschlaf liegt, bis die schwarzgekleideten Schwermetaller wieder anrücken und Wacken verwandeln ins Bayreuth der Hard- und Death-Rocker, ins Hauptquartier der Headbanger.

Drei Jahre geisterte, heißt es, die Idee im NDR herum, Wacken und das andere kulturelle Zugpferd des Nordens, Borowski eben, zusammenzuspannen in einer Geschichte. Während des Aufbaus des ersten halbwegs maskenfreien Festivals war es so weit. So viel Kamera war nie auf der gelbgrünen Wiese. Gleichzeitig mit dem „Tatort“ wurde die RTL+-Doku „Legend of Wacken“ gedreht.

Und irgendwann stand Milberg da inmitten von viel finsterem Volk, wurde gefeiert, musste signieren. Und war eigentlich ganz glücklich. Ungefähr so glücklich wie sein leise mit dem Kopf wackelnder Kommissar im Cord-Anzug am Ende von „Borowski und das unschuldige Kind von Wacken“ bei Auftritt der schwedischen Melodic-Death-Metal-Band Halo Effect.

2024 ist Schluss mit „Tatort“

Zumindest die Länge des Titels ist dem Anlass angemessen. Milberg steht seit nunmehr zwanzig Jahren vor einer Leiche nach der anderen. Eine Silberhochzeit mit dem „Tatort“ wird es nicht geben. Kommendes Jahr läuft Borowskis letzter Fall.

Viel weiß man noch nicht über das Ende des ehemals grobianischen Fremdlings, der solange „Ich höre…“ bei jedem angenommenen Anruf in den Hörer bellte, bis er wahrscheinlich zwangsläufig der beste Zuhörer aller „Tatort“-Kommissare wurde. Ein Flaneur auf Tätersuche, einer der, obwohl er alles gesehen hat, staunend durch die böse Welt läuft und immer so aussieht, als würde er irgendwas wahrnehmen, was anderen verborgen bleibt. Etwas, das sich zwischen den Menschen abspielt, das als feines Geräusch zwischen ihnen schwebt, als Duft der Zwietracht.

In Wacken feine Geräusche und dezente Düfte wahrzunehmen, könnte man sich jetzt als einigermaßen schwierig vorstellen. Dass Borowski mit seiner Methode, die gar keine Methode, sondern seine Natur ist, auch im Dorf am Rande des alkoholisierten Ausnahmezustands Erfolg hat, hängt auch damit zusammen, dass Wacken im ersten Wacken-„Tatort“ wirkt wie das potemkinsche Museum seiner selbst.

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Die Menschen, die gerade dabei sein sollen, es zu besetzen, wurden offensichtlich in ihnen ungewohnte Klamotten gesteckt, kurz bevor ihnen irgendjemand erklärte, sie sollten jetzt mal auf Rocker machen – mit Headbanging, Dicke-Hose-Gehen und Bierdosen-durch-die-Gegend-Werfen und so.

Die Geschichte, das fördert den Zusammenhalt von „Tatort“ und Wacken auch nicht gerade, ist eine ziemliche Durchschnittsgeschichte. Sie hätte sich auch in Molfsee oder Unewatt oder sonstwo in Dithmarschen, wahrscheinlich selbst in Oberbayern oder am Rand des Teutoburger Waldes genauso abspielen können. Überall da, wo Kommissare aus der Stadt halt manchmal hingeschickt werden, damit sie vor der nach der Klagemauer berühmtesten Mauer stehen, der aus Schweigen.

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Das kann ja – britische Kriminalserien leben davon und machen es mustergültig vor – zu einer doppelten Aufklärung führen. Der Entlarvung eines Täters und einer regional spezifischen Lebensweise. Was Borowski in Wacken an zwischenmenschlichen Dramen, an Lebens- und Liebeslügen riecht und schmeckt und hört, hat er in zwanzig Jahren schon so oft gerochen und geschmeckt und gehört, dass er mit einer Durchschnittsperformance des Flanierens entspannt durchs Dorf kommt.

Ein toter Säugling liegt am Rand eines Parkplatzes mit angeschlossenem Strichbetrieb. Die Mutter ist verschwunden. Sein Tod war kein natürlicher. Die Spur führt nach Wacken. Da machen sich natürlich – wir sind einer Durchschnittsdorfgeschichte – alle verdächtig.

Die Bestatterin, bei der Borowski unterkommt samt der Kollegin Sahin, der man nur wünschen kann, dass sie nach Borowskis vermutlich blutigem Abschied für wenigstens fünf Folgen die Leitung in Kiel übernimmt, der Wackener Metal-Podcaster, die hochschwangere Hofladenbetreiberin, der Dorfkneipenbetreiber, der ihr Gatte ist, selbst die Kaff-Kriminalerin in Uniform, die ihren Podcaster-Sohn nicht versteht.

Ein Satz, der alles erklärt

„Kennst du das“, fragt Borowski irgendwann Kollegin Sahin, da kommt er gerade von der Hochschwangeren, „du siehst etwas, das ist fast perfekt. Und trotzdem kannst du dich des Eindrucks nicht erwehren, es stimmt etwas nicht.“ Was in Wacken gerade nicht stimmt? „Ein Pokal, eine Liebe, eine Leberwurst.“ Für dieses typische Ergebnis des Borowskischen Geschichtenabschmeckens kann man den „Tatort“ schon mal anschalten.

Auch weil es – wir wollen nicht noch mehr als nötig spoilern, wo Borowski das mit Pokal und Liebe und Leberwurst herhat – ungewollt zusammenfasst, was in diesem Sonntagabendkrimi schiefläuft – das nichts echt ist an ihm.

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