Wenn Joe diesen schnuppernd-schweifenden, träumerisch-verschwommenen und doch irgendwie seltsam hyperfokussierten Blick bekommt, der von einem Detail seines weiblichen Gegenübers gleichsam eingefangen zu werden scheint, dann ist es meistens schon zu spät: Es gehört, das kann man zum Erscheinen der dritten Staffel von „You – du wirst mich lieben“ problemlos sagen, ohne zu spoilern, zu Joes Beziehungsmuster, die Angebetete zuerst zu stalken und dann zu ermorden.
„You – du wirst mich lieben“ ist eine augenzwinkernde Psychopathen-Erzählung in der Tradition von Serien wie „Dexter“, deren Grundprinzip darin besteht, die grausigen Taten des Protagonisten als lebensnahe, menschliche Entgleisungen zu behandeln. Daraus entsteht eine bestimmte Art von grotesker Komik.
„You“ wurde von Anfang an kontrovers rezipiert, die Serie hat eine große Fangemeinde, was auch daran liegt, dass Joe Goldberg von „Gossip Girl“-Star Penn Badgley gespielt wird, den viele hinreißend finden. Aber sie wird eben auch kritisiert: Der Frauenmörder sei zu sympathisch, die Serie verharmlose und romantisiere Stalking, die Frauenrollen seien stereotyp.
Zu Beginn der dritten Staffel erreicht die Kritik jetzt einen Höhepunkt, die feministische Online-Plattform „Refinery29“ findet, Staffel 3 sei „die bisher problematischste“. Warum? Joe masturbiert auf einem Parkplatz, während er an seine Nachbarin denkt. Diese Art der Darstellung von Stalking-Gewalt ermutige Männer dazu, sich weiterhin übergriffig gegenüber Frauen zu verhalten und gebe wiederum Frauen das Gefühl, Stalking stelle vielleicht eine Art Extremform romantischen Verhaltens dar.
Vor allem ein Argument in „Refinery29“ ist interessant: In den drei Jahren seit Serienstart habe sich die kollektive Sensibilität gegenüber solchen Stoffen derart verändert, dass einem als „verstörend“ auffalle, woran man sich zuvor nicht gestört habe.
Das ist sicher richtig. Aber ist diese gesellschaftliche Entwicklung auch gut? Die zeitgenössische aktivistische Weigerung, zwischen der kathartischen Erzählung vom Bösen und dem Bösen selbst zu unterscheiden: Ja, sicher, man kann darauf verzichten, sich in die Psychen schlimmer Männer einzufühlen. Vielleicht sollten wir sie durch die Psychen schlimmer Frauen ersetzen, bis wir auch ihrer überdrüssig geworden sind. Der Abgrund selbst wird wahrscheinlich bleiben.