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Kultur Barack Obama

Sein Vater wurde einst als "Nigger" beschimpft

Barack Obama Barack Obama
Quelle: AP
Barack Obama hat seinen Vater nie gekannt. Er wuchs auf mit Geschichten über einen Mann, der vom Ziegenhirten in Kenia zum Harvard-Stipendiaten wurde und als "Nigger" diskriminiert wurde. WELT ONLINE veröffentlicht exklusiv ein Kapitel aus Obamas Buch "Ein amerikanischer Traum".

Einige Monate nach meinem einundzwanzigsten Geburtstag erhielt ich die Nachricht von einer mir unbekannten Anruferin. Ich lebte damals in New York. Es war eine wenig einladende Gegend, trist und öde, mit langen Reihen rußschwarzer Hausaufgänge, die fast den ganzen Tag tiefe Schatten warfen.

Die Wohnung selbst war klein und schief, die Heizung unzuverlässig und die Hausklingel kaputt, so dass Besucher von der nahe gelegenen Tankstelle aus anrufen mussten, wo nachts ein schwarzer Dobermann von der Größe eines Wolfs mit einer leeren Bierflasche im Maul herumstreifte und Wache hielt.

Ein Anruf aus Nairobi

Ich war gerade dabei, Frühstück zu machen, auf dem Herd stand Kaffee, und in der Pfanne brutzelten zwei Eier, als mein Mitbewohner mir das Telefon reichte. In der Leitung rauschte es stark. „Barry? Barry, bist du's?” – „Ja . . . Wer spricht da?“ – „Barry, hier ist deine Tante Jane in Nairobi. Kannst du mich hören?“ – „Wie bitte, wer ist da?“ – „Tante Jane. Hör zu, Barry, dein Vater ist gestorben. Er hatte einen Verkehrsunfall. Hallo? Kannst du mich hören? Dein Vater ist gestorben, Barry, ruf bitte deinen Onkel in Boston an und richte es ihm aus. Ich kann jetzt nicht mehr sagen, Barry, ich versuch's später noch einmal.“


Das war alles. Sie hatte aufgelegt. Ich setzte mich auf das Sofa, von der Küche her roch es nach angebrannten Spiegeleiern, ich starrte auf die Risse in der Wand, versuchte, mir über meinen Verlust klar zu werden. Mein Vater war ein Mythos für mich, übergroß und irreal.


1963 war er aus Hawaii weggegangen, als ich gerade zwei war, so dass ich ihn nur von den Geschichten her kannte, die meine Mutter und Toots und Gramps, meine Großeltern, mir erzählten. Sie alle hatten ihre Lieblingsgeschichten, jede bruchlos, durch wiederholten Gebrauch geglättet.

Selbstvertrauen ist der Schlüssel

„Weißt du, Bar“, erzählte Gramps, „dein Vater konnte mit praktisch jeder Situation umgehen, deswegen war er so beliebt. Erinnert ihr euch noch an seinen Auftritt beim Internationalen Musikfestival? Er wollte ein paar afrikanische Lieder singen, aber als er dann eintraf, sah er, dass es eine richtig große Veranstaltung war, die Frau, die vor ihm gesungen hatte, war eine halbprofessionelle Sängerin, eine Hawaiianerin mit einer richtigen Band.

Jeder andere hätte in dieser Situation gesagt, bedaure, war ein Missverständnis. Nicht so Barack. Er stand auf und fing an, vor diesen vielen Zuschauern zu singen – das ist kein Kinderspiel, ich schwör's dir –, und er war auch nicht besonders toll, aber er war so selbstsicher, dass er genauso beklatscht wurde wie die anderen.“ Großvater stand kopfschüttelnd auf und schaltete den Fernseher ein. „Eines kannst du von deinem Dad lernen“, sagte er. „Selbstvertrauen. Das Geheimnis erfolgreicher Menschen.“

So gingen alle Geschichten – gedrängt, apokryph, an einem Abend rasch hintereinander erzählt, um dann wieder in der Versenkung zu verschwinden, monatelang, manchmal jahrelang. Wie die wenigen Fotos von meinem Vater, die es noch im Haus gab, alte Schwarzweißporträts, auf die ich stieß, wenn ich auf der Suche nach Weihnachtsschmuck oder einer alten Taucherbrille sämtliche Schubladen durchstöberte.

Der Opa war Medizinmann

Meine Erinnerung setzt an dem Punkt ein, als meine Mutter bereits eine Beziehung mit dem Mann eingegangen war, der dann ihr zweiter Mann wurde, und ich ahnte, auch ohne Erklärung, warum diese Fotos weggepackt werden mussten. Aber hin und wieder saß ich mit ihr auf dem Fußboden, in der Hand das alte Album, das nach Staub und Mottenpulver roch, und betrachtete die Aufnahmen meines Vaters – das dunkle lachende Gesicht, die hohe Stirn und die starke Brille, die ihn älter machte –, während sich die Ereignisse seines Lebens zu einer Geschichte fügten.

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Ich erfuhr, dass er Afrikaner war, Kenianer vom Stamm der Luo, geboren in Alego am Viktoria-See. Alego war ein armes Dorf, aber der Vater meines Vaters, mein zweiter Großvater Hussein Onyango Obama, war ein angesehener Bauer, Medizinmann und Heiler, der zu den Stammesältesten gehörte.

Mein Vater hütete als Kind Ziegen und ging in eine von den Briten errichtete Schule, wo er sich als vielversprechender Schüler erwies. Mit einem Stipendium konnte er in Nairobi studieren, und kurz vor der Unabhängigkeit Kenias erhielt er ein Stipendium zum Besuch einer amerikanischen Universität.

Der Vater studierte auf Hawaii

Er gehörte zu jener ersten großen Welle von Afrikanern, die hinausgeschickt wurden, um im Westen zu studieren und später ein neues, modernes Afrika mit aufzubauen. 1959, mit 23, kam er als erster afrikanischer Student an die Universität von Hawaii. Er studierte Wirtschaftswissenschaften, sehr konzentriert, und machte nach drei Jahren seinen Abschluss als Jahrgangsbester.

Er hatte zahllose Freunde und half, den Internationalen Studentenverband zu organisieren, dessen erster Präsident er wurde. In einem Russisch-Kurs begegnete er einem schüchternen Mädchen, einer erst 18-jährigen Amerikanerin, und die beiden verliebten sich. Die Eltern des Mädchens waren erst skeptisch, ließen sich dann aber von seinem Charme und seiner Intelligenz erobern; das junge Paar heiratete, ein Sohn wurde geboren, der den Namen des Vaters bekam.

Der Vater erhielt ein neues Stipendium – diesmal ein Promotionsstipendium für Harvard –, aber das Geld reichte nicht, um die Familie mitnehmen zu können. Es folgte eine Trennung, und schließlich kehrte er nach Afrika zurück, um sein Versprechen gegenüber dem Kontinent einzulösen. Mutter und Sohn blieben in Amerika, aber die Liebe blieb, trotz der großen Entfernung.

Freundlicher Vortrag gegen Rassismus

Hier endete das Album, und zufrieden lief ich wieder los, eingehüllt in eine Geschichte, die mich in den Mittelpunkt einer großen, geordneten Welt stellte. Dass mein Vater anders aussah als die Menschen in meiner Umgebung – er schwarz wie Pech, meine Mutter weiß wie Milch –, machte sich in meinem Bewusstsein nicht bemerkbar.

Ich erinnere mich überhaupt nur an eine einzige Geschichte, in der es explizit um die Hautfarbe ging. Als ich älter war, wurde sie mir öfters erzählt, als enthielte sie eine Moral, die das Leben meines Vaters kennzeichne. Dieser Geschichte zufolge hatte sich mein Vater, nach langen Stunden des Studierens, in einer Bar in Waikiki mit meinem Großvater und anderen Freunden getroffen.

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Alle waren bester Laune, man aß und trank, jemand spielte Gitarre, als plötzlich ein Weißer – so laut, dass es jeder hören konnte – dem Barmann zurief, er wolle nicht neben einem „Nigger“ sitzen. Alles schwieg, die Leute sahen meinen Vater an, erwarteten einen Kampf. Mein Vater stand auf, ging zu dem Mann und hielt ihm einen freundlichen Vortrag über die Dummheit der Bigotterie, über die Verheißungen des amerikanischen Traums und die universalen Menschenrechte. „Als Barack fertig war, fühlte sich dieser Mann so schlecht, dass er in die Tasche griff und deinem Vater auf der Stelle hundert Dollar schenkte“, sagte Gramps. „Er hat alle Getränke bezahlt – und deinem Vater die restliche Monatsmiete.“

Miscegenation – böses Wort aus ferner Zeit

Miscegenation [Rassenmischung]. Ein hässliches, buckliges Wort, das monströse Folgen andeutet und, wie antebellum oder octoroon, an ferne Zeiten erinnert, an eine andere Welt, an Pferdepeitschen und Flammen, tote Magnolien und verfallene Landhäuser. Aber erst 1967 – dem Jahr, in dem ich sechs wurde und Jimi Hendrix in Monterey auftrat, drei Jahre nach der Verleihung des Friedensnobelpreises an Martin Luther King, in einer Zeit, in der Amerika mit wachsendem Unverständnis auf die Forderung der Schwarzen nach Gleichberechtigung reagierte, wo das Problem der Diskriminierung doch gelöst schien –, erst 1967 stellte der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten fest, dass das im Staat Virginia geltende Verbot der Rassenmischung gegen die Verfassung verstoße.

1960, in dem Jahr, in dem meine Eltern heirateten, war miscegenation in mehr als der Hälfte aller Bundesstaaten ein Straftatbestand. In weiten Teilen des Südens hätte mein Vater am nächsten Baum aufgeknüpft werden können, nur weil er meine Mutter falsch ansah; in den fortschrittlichsten Städten des Nordens hätten die feindseligen Blicke, das Getuschel Frauen wie meine Mutter dazu getrieben, in einer düsteren Gasse eine Abtreibung vornehmen zu lassen – oder in ein abgelegenes Kloster geführt, das für eine Adoption sorgen konnte. Allein schon die Vorstellung von den beiden als Paar hätte als pervers und schmutzig gegolten, ein Vorwurf an die Adresse der Handvoll Liberalen, die für die Bürgerrechte eintraten.

Besuch bei den Schwiegereltern

Klar – aber wärst du einverstanden, wenn deine Tochter einen Schwarzen heiratet? Dass meine Großeltern diese Frage, wenn auch zögernd, mit Ja beantwortet haben, ist mir bis heute ein Rätsel. Irgendwie waren sie liberal, auch wenn ihre Ansichten nicht zu einer festen Ideologie verschmolzen. Auch darin waren sie typische Amerikaner.

Als meine Mutter eines Tages nach Hause kam und berichtete, sie habe an der Universität einen afrikanischen Studenten namens Barack kennengelernt, beschlossen sie spontan, ihn zum Essen einzuladen. Der arme Kerl, so weit von zu Hause entfernt, ist doch bestimmt einsam, dachte Gramps vermutlich. Und Toot dachte, ich werd ihn mir lieber mal anschauen. Als mein Vater dann vor der Tür stand, wird Gramps sofort gedacht haben, wie sehr er Nat King Cole ähnelte, zu dessen Fans er sich zählte.

Ich stelle mir vor, wie er meinen Vater fragt, ob er singen könne, und gar nicht das versteinerte Gesicht meiner Mutter sieht. Wahrscheinlich erzählt er gerade einen Witz oder erklärt Toot, wie man die Steaks zubereitet, und sieht deswegen nicht, wie meine Mutter die sehnige Hand ihres Freundes drückt. Toot sieht es, aber sie ist so höflich, sich auf die Lippen zu beißen und den Nachtisch zu bringen; sie spürt, dass es falsch wäre, eine Szene zu machen. Am Ende des Abends werden beide sagen, wie intelligent der junge Mann doch sei, wie höflich, diese gelassenen Handbewegungen, die Beine vornehm übereinander geschlagen – und der Akzent! Aber sollte ihre Tochter so jemanden heiraten?

Die Verzweiflung von Mr. Reed

Noch wissen wir es nicht; bislang gibt die Geschichte nicht genug her. Tatsache ist, dass Großvater und Großmutter, wie die meisten weißen Amerikaner jener Zeit, nie über Schwarze nachgedacht hatten. Erst als die Familie nach dem Krieg nach Texas zog, drang die Rassenfrage in ihr Leben ein.

In der ersten Arbeitswoche erhielt Gramps freundliche Ratschläge von seinen Arbeitskollegen, wie er sich gegenüber schwarzen und mexikanischen Kunden benehmen solle. „Wenn Farbige sich Ware ansehen wollen, dann müssen sie nach Feierabend kommen und sich selbst um den Transport kümmern.“ Toot machte später in der Bank, in der sie arbeitete, die Bekanntschaft des Hausmeisters, eines hochgewachsenen und würdevollen schwarzen Kriegsveteranen, an den sie sich nur als Mr. Reed erinnert.

Während die beiden eines Tages in der Eingangshalle miteinander plauderten, kam eine Sekretärin herbeigelaufen und zischte Toot zu, dass sie einen „Nigger“ niemals, unter keinen Umständen, mit „Mister“ anreden dürfe. Wenig später fand sie Mr. Reed in einer Ecke des Gebäudes, still vor sich hin weinend. Auf ihre Frage, was los sei, richtete er sich auf, wischte sich die Tränen ab und antwortete mit einer Gegenfrage: „Was haben wir getan, dass man uns so gemein behandelt?“

Die Mutter litt unter dem Rassismus

Unter dieser Atmosphäre litt vor allem meine Mutter. Sie war elf oder zwölf, ein Einzelkind, das sich gerade von einer schweren Asthmaerkrankung zu erholen begann. Durch Krankheit und viele Ortswechsel war sie eine Außenseiterin geworden – fröhlich und umgänglich, aber meist vergrub sie sich in ein Buch oder unternahm allein Spaziergänge –, und Toot befürchtete, dass sich die Eigenheiten ihrer Tochter durch den letzten Umzug noch verstärkt hatten.

An ihrer neuen Schule fand meine Mutter kaum Freunde. Wegen ihres Namens Stanley Ann (eine von Gramps' spinnerten Ideen: er hatte sich einen Sohn gewünscht) wurde sie gehänselt. Stanley Steamer sagten sie zu ihr. Stan the Man. Wenn Toot von der Arbeit nach Hause kam, fand sie ihre Tochter meistens allein vor dem Haus, auf der Veranda, mit den Beinen baumelnd, oder auf dem Rasen liegend, zurückgezogen in ihrer eigenen Welt.

Bis auf einen Tag. Ein heißer, windstiller Tag, eine Horde von Kindern hatte sich vor dem Gartenzaun versammelt. Toot trat näher, hörte unschönes Lachen, sah von Empörung und Abscheu verzerrte Gesichter. Hohe Kinderstimmen riefen abwechselnd: „Niggerfreundin!“ – „Drecksyankee!“ – „Niggerfreundin!“

Der Vater war außer Sicht

Als sie Toot erblickten, liefen sie auseinander, vorher warf ein Junge noch einen Stein über den Zaun. Toot verfolgte die Flugbahn des Geschosses, es landete an einem Baumstamm. Und dort sah sie auch den Grund für die Aufregung: ihre Tochter und ein etwa gleichaltriges schwarzes Mädchen, die nebeneinander bäuchlings und mit hochgerutschtem Rocksaum im Gras lagen, die Zehen in die Erde gebohrt, die Köpfe in die Hände gestützt, vor sich ein Buch.

Von weitem machten die beiden einen entspannten Eindruck. Erst als Toot das Gatter öffnete und näher trat, sah sie, dass das schwarze Mädchen zitterte und ihrer Tochter Tränen in den Augen standen. Die beiden lagen unbeweglich da, wie gelähmt vor Angst, bis Toot sich hinunterbeugte und ihnen die Hand auf den Kopf legte. „Wenn ihr beiden spielen wollt“, sagte sie, „dann geht um Himmels willen ins Haus. Los, rein mit euch.“ Sie zog ihre Tochter hoch und streckte die Hand nach dem anderen Mädchen aus, doch in diesem Moment war das Mädchen aufgesprungen und rannte mit langen spindeldürren Beinen die Straße entlang.

Gramps war außer sich, als er von diesem Vorfall hörte. Er befragte seine Tochter, notierte Namen. Am nächsten Vormittag nahm er frei, um mit dem Schuldirektor zu sprechen. Er rief die Eltern eines der Kinder an, um ihnen seine Meinung zu sagen. Und von jedem Erwachsenen, mit dem er sprach, bekam er die gleiche Antwort: „Sie reden am besten mit ihrer Tochter, Mr. Dunham. In unserer Stadt spielen weiße Mädchen nicht mit Farbigen.“

Neue Chance in Seattle

Schwer zu sagen, welches Gewicht diesen Episoden zukommt, welche Versprechungen gegeben oder gebrochen wurden oder ob sie nur im Licht späterer Ereignisse herausragen. Sooft Gramps mit mir darüber sprach, erklärte er, dass die Familie auch deswegen Texas verlassen habe, weil man mit diesem Rassismus nicht einverstanden gewesen sei.

Toot war vorsichtiger. Als wir einmal allein waren, sagte sie, sie sei nur deswegen weggezogen, weil Gramps beruflich keinen großen Erfolg hatte und ein Freund in Seattle ihm etwas Besseres versprochen hatte. Der Begriff Rassismus habe damals nicht einmal zu ihrem Wortschatz gehört. „Dein Großvater und ich fanden einfach, dass wir die Menschen anständig behandeln müssen. Das ist alles.“

So ist sie, meine Großmutter, von gesundem Menschenverstand, misstrauisch gegenüber allzu dick aufgetragenen Gefühlen. Weshalb ich dazu neige, ihren Darstellungen zu glauben. Es entspricht dem, was ich über meinen Großvater weiß und über seine Neigung, die Geschichte so umzuschreiben, dass sie in sein Selbstbild passte.

Aufgeschlossen durch eigene Benachteiligung

Und doch kann ich seine Erinnerungen nicht nur als Angeberei, als weißen Revisionismus abtun. Weil ich weiß, wie sehr er an seine Fiktionen glaubte, wie sehr er sie verwirklicht sehen wollte, auch wenn er nicht immer wusste, wie das zu erreichen war. Nach Texas wurden Schwarze vermutlich Bestandteil dieser Fiktionen, dieser Geschichte, die sich bis in seine Träume niederschlug.

Die Lebensbedingungen der Schwarzen, ihr Leid, ihre Wunden, verschmolzen mit den seinen; der abwesende Vater und die Andeutung eines Skandals, eine Mutter, die weggegangen war, die Grausamkeit anderer Kinder, die Erkenntnis, dass er nicht blond war, dass er „wie ein Itaker“ aussah.

Der Rassismus, sagte ihm sein Gefühl, war Teil dieser Vergangenheit, war Teil von Konvention und Ehrbarkeit und Status, auch das Grinsen, das Geflüster und der Klatsch, die ihn zum Außenseiter gemacht hatten. Ich glaube, diese Empfindungen sind nicht unwichtig; viele Weiße aus der Generation meiner Großeltern gingen einen anderen Weg, in Richtung Mob.

Der Glaube an den amerikanischen Traum

Und obgleich das Verhältnis zu seiner Tochter schon schwierig war, als sie auf Hawaii ankamen, so war es dieses Bedürfnis, die Vergangenheit auszulöschen, und diese Überzeugung, sich eine völlig neue Welt erschaffen zu können, die sich als sein wahres Vermächtnis erweisen sollten. Ob es Gramps bewusst war oder nicht, der Anblick seiner Tochter mit einem schwarzen Mann stieß in seinem tiefsten Innern ein Fenster auf.

Letztlich drehten sich alle Geschichten von meinem Vater genau darum: Sie verrieten weniger über den Mann selbst, als über die Veränderungen in seiner Umgebung, über den stockenden Prozess, der die rassistischen Einstellungen meiner Großeltern verwandelt hatte.

Die Geschichten erzählten von der Atmosphäre, die die Nation in jenem kurzen Zeitraum zwischen Kennedys Wahl und der Verabschiedung des Voting Rights Act erfasste: dem scheinbaren Sieg von Weltoffenheit über kleinkariertes Spießertum, einer schönen neuen Welt, in der Unterschiede der Rasse oder der Kultur als Gewinn betrachtet würden. Eine schöne Vorstellung, die mich nicht weniger beschäftigt, als sie meine Familie beschäftigte, denn sie evoziert ein verlorenes Paradies, mehr als bloß eine heile Kindheit.

Der Vater war nicht da

Es gab nur ein Problem: Mein Vater war nicht da. Er hatte das Paradies verlassen, und nichts von dem, was meine Mutter oder die Großeltern sagten, konnte diese unstrittige Tatsache aus der Welt schaffen. Ihre Geschichten erklärten mir nicht, warum er gegangen war.

Sie sagten nicht, wie es vielleicht gewesen wäre, wenn er geblieben wäre. So wurde mein Vater ein Requisit in der Erzählung anderer Leute. Eine gut aussehende Gestalt – der Fremde mit einem Herzen aus Gold, der geheimnisvolle Unbekannte, der die Stadt rettet und das Mädchen zur Frau bekommt – gleichwohl ein Requisit.

Ich war damals zu jung, um zu wissen, dass ich einen anwesenden Vater brauchte und auch eine Rassenidentität. Eine unwahrscheinlich kurze Zeit erlag mein Vater wohl dem gleichen Zauber wie meine Mutter und ihre Eltern; und obwohl der Bann schon gebrochen war und die Welten, die sie überwunden glaubten, sie wieder einholten, bewohnte ich in meinen ersten sechs Lebensjahren die Welt ihrer Träume.

Barack Obamas Familiengeschichte „Ein amerikanischer Traum“, aus der wir unseren Text entnommen haben, erscheint am 9. 2. bei Hanser in München (A. d. Engl. v. Matthias Fienbork. 448 S., 24,90 Euro).

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