WELCOME TO
ICON MAGAZINE
ICON MAGAZINE
SAY HI!
  1. Home
  2. Icon
  3. Fashion
  4. Mode der Hauptstadt: Die Fashion Week steht für das Berlin, das noch nicht gentrifiziert wurde

Meinung Mode der Hauptstadt

Die Fashion Week steht für das Berlin, das noch nicht gentrifiziert wurde

Herausgeberin ICON
Die Fashion Week steht für ein authentisches Berlin, das aufregend ist und die jungen Leute von überall her anzieht, meint Inga Griese. So wie bei Shayne Olivers „Anonymous“ Die Fashion Week steht für ein authentisches Berlin, das aufregend ist und die jungen Leute von überall her anzieht, meint Inga Griese. So wie bei Shayne Olivers „Anonymous“
Die Fashion Week steht für ein authentisches Berlin, das aufregend ist und die jungen Leute von überall her anzieht, meint Inga Griese. So wie bei Shayne Olivers „Anonymous“
Quelle: Nico Kawohl / ICON
Es gab Jahre, da konnte man die Berlin Fashion Week dafür kritisieren, zu versuchen wie Mailand oder Paris zu sein. Längst vorbei. Heute beweist die Veranstaltung, welche Kraft Provokationen in einer Stadt haben, die noch nicht völlig gentrifiziert ist.

Nichts ist einfacher als Berlin-Bashing. Es gibt einfach so viele gute Gründe, die Modewoche gehört allerdings nicht (mehr) dazu. Jeden Tag hofft man aufs Neue und vergeblich, dass die immer trübere Blase aus Selbstgefälligkeit und Realitätsverweigerung platzt, die das Regierungsviertel mit all ihren Bewohnern – und das sind nicht nur die Politiker – umgibt. Aber wenigstens ist die Fashion Week inzwischen wieder disruptiv. Und passt damit prima zu Berlin, die Stadt war immer schon ein permanenter Umbruch.

Unsere Kollegin ist da anderer Meinung

Jeden Tag mehr fehlt mir mein Hamburg. Wie gern würde ich die Hauptstadt endlich verlassen, bin ja schon seit der Wende da, bin das Chaos und die Schnauze leid, will auch nicht mehr von Leuten auf der Lietzenburger Straße überholt werden, die mit ungefähr hundert Sachen vorbeidonnern und aus dem Fenster zwar in Luft aber eben schießen, weil das angeblich zur Hochzeitskultur gehört. Schon Anfang der 90er-Jahre diskutierte ich fassungslos mit dem lokalen Chef der Lehrergewerkschaft (der es dann bundesweit wurde) darüber, warum man türkischen und arabischen Kindern nicht verpflichtend die Chance gibt, Deutsch zu lernen.

Der Mann war fassungs- und kompromisslos ob meiner Frage. Anderen Menschen unsere Sprache „aufzuzwingen“ sei reaktion��r. Als wenn Sprachfähigkeit eine kulturelle Unterdrückung wäre. Es hat dreißig Jahre gedauert, bis sich im Berliner Früherziehungswesen die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass es im Sinne der Kinder ist, wenn man ihnen solcherlei Lebenswerkzeug an die Hand gibt. Was natürlich nicht bedeutet, dass es dort durchgesetzt wird, wo es nötig wäre.

Berlin den Rücken zu kehren bedeutet Entspannung. Aber will man das? Mit schulpflichtigen Kindern unbedingt, wenn man nicht in den Außenbezirken wohnt. Aber sonst? Ist es nicht die Provokation, die uns wach hält? Auch, oder weil sie bisweilen so unerträglich ist? Und da sind wir bei der Modewoche, der Mode in Berlin überhaupt. Sie ist der ungefährliche Teil der Berliner Provokation.

Die Nazis leisteten ganze, schreckliche Arbeit

Nach der Wende, in den glorreichen wie hoffnungsvollen 90er-Jahren, als wir dachten, es könnte wirklich ewigen Frieden in Europa geben, als später das Fußball-Sommermärchen wirklich märchenhaft war, als die Welt entdeckte, dass die Deutschen auch cool können, als die Kreativen London verließen, weil Berlin the place to be war, als Christo den Reichstag verhüllte, jeder Abrissbau zum Eventhotspot wurde, als die Clubkultur wieder kam und soviel mehr, noch keiner ahnte, dass Berlin all die Zuneigung und Chancen vergeigen würde, weil es wie immer keinen Plan gab – damals jedenfalls wurde viel geträumt.

Referenz waren allenthalben die 20er-Jahre, die, die in „Babylon Berlin“ nun die fünfte Staffel gehen, und Berlin in kultureller Sicht und auch modischer weit vorn war. Die Nazis leisteten dann bekanntermaßen ganze, schreckliche Arbeit, auch die schönen Künste wurden vernichtet und vertrieben. Nach dem Krieg lebte noch einmal die Haute Couture auf, der Bau der Mauer sorgte für das endgültige Aus, sie trennte absurderweise auch die Designer und die Petit Mains. Die Hoffnung ohnehin.

An dieser Stelle finden Sie Inhalte von Drittanbietern
Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.

Es wuchs die Subkultur. Ein David Bowie zog nicht an den Ku’damm, weil es dort schöne Kaschmir-Jacketts gab und das Publikum so elegant war. So blieb es. Deswegen läuft jeder Versuch ins Leere, die Fashion Week in Berlin zu kritisieren, weil sie nicht wie Mailand oder Paris ist. Es gab die Jahre, da konnte man sie genau dafür kritisieren, weil sie versuchte so zu sein. Als Mercedes Benz als globaler Fashion Week-Player auch Berlin unterstützte und sich schließlich zurückzog, weil Erwartung und Erfüllung nicht deckungsgleich zu verwirklichen war. Als Suzy Menkes, die berühmteste aller Modekritikerinnen, 2009 zur Fashion Week kam, dachten alle, das sei der internationale Durchbruch.

Sie lobte aufrichtig „die rohe Energie“ und die Jugend Berlins, aber gekommen war sie nur, weil sie dort im Winter des gleichen Jahres zur „Luxus-Konferenz“ der „International Herald Tribune“ geladen hatte. Die fand in jedem Jahr an einem anderen interessanten Ort der Welt statt. Wenn sich jetzt also flächendeckend darüber aufgeregt wird, was das denn für Neukölln-Klamotten wären, die da gezeigt würden, wie furchtbar woke und schräg und untragbar das alles ist, dann ist das ein gutes Zeichen.

Denn die Fashion Week ist ein Ort, an dem Berlin sich zu Berlin bekennt, an dem die Stadt authentisch ist. Elegant und schön können andere viel besser. Es gibt gute Gründe, warum die Kreativscouts der globalen Luxusmarken regelmäßig gucken, was hier so los ist.

Kreativität entsteht aus Unordnung, aus Widerspruch.

Anzeige

Ian Griffith macht seit Jahrzehnten die schönsten Kleidungsstücke bei Max Mara. In seiner Londoner Jugend war er Punk. Und niemand würde behaupten, dass die legendäre, leider schon verstorbene Vivienne Westwood (die lange eine Professur in Berlin innehatte) keine durch und durch kultivierte Frau war und ihre Mode von kulturhistorischer Bedeutung.

An dieser Stelle finden Sie Inhalte von Drittanbietern
Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.

Was wir heute sehen, ist viel Kopie. Der Punk, der Grunge, der Fetisch-Look, alles schon mal dagewesen. Und gekonnter als bei manchem Berliner Label. Grundsätzlich gilt: Sind die Zeiten gut, darf die Mode produzieren. In unsicherer Weltlage antwortet die Mode eher mit tröstlicher Schönheit. Aber kleidsame Entwürfe anzubieten, ist einfach nicht die Position, die zur Stadt passt. Und sich über den abgesäbelten Pony der Feministinnen im ersten Lehrjahr aufzuregen, bringt auch nichts, er macht ja selbsterklärend unintelligent.

Es hat lange gebraucht und ist wenigen Protagonisten in der Stadt zu verdanken, dem Fashion Council Germany, Anita Tillmann, Marcus Kurz, Mumi Haiati und ja, auch der Senatsverwaltung für Wirtschaft, dass die Fashion Week in Berlin relevant geworden ist, die Subkultur einen professionellen Rahmen bekommen hat. Anfang 2015 wurde der Fashion Council Germany auf Initiative und nach internationalem Vorbild von Agentur-Chefin Loulou Berg und der damaligen „Vogue“-Chefredakteurin und heutigen Vorsitzenden Christiane Arp gemeinsam mit einigen Mitstreitern aus der Szene (darunter die Autorin) ins Leben gerufen; er fungiert als Interessenvertretung für Mode designed in Germany und versucht, auch auf europäischer Ebene für Akzeptanz zu sorgen.

Mit Erfolg darf man sagen. Auch deswegen darf man der Fashion Week in Berlin ruhig zutrauen, dass sie eine Aufgabe erfüllt. Mode ist ja generell nicht nur danach zu beurteilen, ob man sie gern selbst tragen würde. Sie steht in einem kulturellen Kontext. Die Fashion Week also steht für das Berlin, das noch nicht gentrifiziert wurde, für das Runtergerockte, das aufregend ist und die jungen Leute von überall her anzieht. Für das Berlin, das internationales Publikum fasziniert. Keiner muss wiederum das anziehen, was dort gezeigt wird, aber die Fettecke von Beuys wollte ja auch keiner im eigenen Bad haben. Dafür sollte man den Berliner Salon in aller Ruhe (soweit das im Trubel möglich ist) durchstreifen.

Auf die Marke Odeeh kann sich die Berliner Fahion Week verlassen
Auf die Marke Odeeh kann sich die Berliner Fahion Week verlassen
Quelle: Getty Images/Sebastian Reuter

Und jeden Look von Odeeh haben. Eine wichtige deutsche Marke aus Giebelstadt, die Otto Drögsler und Jörg Ehrlich 2009 in bester Ateliertradition gründeten. Auch sie zeigen ihre eklektischen, eleganten Entwürfe in Berlin mit großer Inszenierung, weil sie hier mehr Respekt und Aufmerksamkeit für Show-Investment erwarten können als in Mailand oder Paris, aber vor allem unique sind. Oder Marc Cain. Oder Claudia Skoda, legendäre Strickerin, die deutsche Antwort auf Iris Apfel, die mit mehr als 80 Jahren die „Intervention“ eröffnete, ein neues Format, wo auch Raum und Fläche für Inszenierungen von der Marke GmbH oder Marie Lueder ist. Unter anderem.

Berlin ist nicht Elbchaussee, wird es nie werden, ist eh „dazu verdammt, immerfort zu werden und niemals zu sein“, wie der Kunstkritiker Karl Scheffler 1910 seine Hass-Liebe beschrieb. Berlin ist eine ewige Pubertät. Das kann ungeheuer nerven. Aber wenn man seinen Kindern in dieser Phase aufmerksam zuhört, erweitert das den Horizont. Es darf nur nicht dazu führen, sofort alle Weisheit des Älterseins über Bord zu werfen. Das ist das eigentliche Problem der Berliner Blase. Der Marsch durch die Institutionen hat zwar eine Außenministerin mit Stilistin und Make-Up Artistin hervorgebracht. Aber Schminke nützt Berlin nichts. Deshalb legen manche Models gar nicht erst welche auf.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema