Die Dorf-Gaststätte war jahrhundertelang der Mittelpunkt der Menschen auf dem Land. In meiner Kindheit in der Fränkischen Schweiz saßen da noch Bürgermeister, Apothekerin, Arzt und Dorfdepp gleichberechtigt mit- oder nebeneinander. Die Fußballmannschaft feierte Siege, ertränkte Niederlagen in hundert Halben. Einkommen, Bildungsgrad und Herkunft spielten keine Rolle, wenn man ein Bier und einen Schweinebraten bestellte.
Aber jetzt ist das Wirtshaus dabei, musealisiert zu werden. „Wirtshaussterben? Wirtshausleben!“ hieß eine Ausstellung dazu, die im Jahr 2022 im Haus der Bayerischen Geschichte in Regensburg gezeigt wurde. Im gleichnamigen Dokumentarfilm von Regisseur Michael Bauer sitzt Kabarettist Gerhard Polt an einem Wirtshaustisch und sagt: „Der Mensch, der keine Stammtischerfahrung hat, hat vom Leben fast nichts gelernt. Der wohnt in anderen Dimensionen.“
Grünen- und AfD-Wähler leben häufig unter ihresgleichen
Tatsächlich leben immer mehr Menschen in ihren eigenen kleinen Welten, in denen sie es sich gemütlich gemacht haben. Je nach Milieu spricht man von Blasen, Safe Spaces oder Elfenbeinturm. Im Jahr 2023 hat das Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt dazu eine Studie veröffentlicht. Interessanterweise leben vor allem Grünen- und AfD-Wähler häufig nur unter ihresgleichen. 50 Prozent der befragten AfD-Wähler und sogar 62 Prozent der befragten Grünen-Wähler gaben an, bevorzugt nur mit anderen Gleich-Wählern Zeit zu verbringen. Ich glaube, das Wirtshaus, egal ob in Bayern oder am Niederrhein, war ein Gegengift zur Polarisierung.
Am Wochenende habe ich für diese Zeitung Demonstrationen gegen Rechtsextremismus besucht. Und auch dort habe ich viele sich gleichende Menschen gesehen. Und ich war in Thüringen. Und bin über Landstraßen gefahren. Wirtshäuser habe ich nicht gesehen. Aber an der Autobahnauffahrt im Nirgendwo, beim 1500-Einwohner-Ort Mellingen, stand ein Burger King. Dort habe ich, wie ich glaube, die Lösung aller Probleme gefunden.
Drinnen waren zwei polnische Lkw-Fahrer, eine deutsch-türkische Großfamilie, eine Thüringer Gruppe Zimmermänner und ein übergewichtiges Paar. Und alle waren glücklich. Fastfood ist das, was die Menschen aller Schichten verbindet.
Andy Warhol hatte das natürlich schon vor langer Zeit erkannt. Einmal ist da natürlich das legendäre Video, in dem er einen Burger isst. Und zum anderen hat Warhol auch 1975 in einem Buch geschrieben: „Das Schönste in Tokio ist McDonald’s. Das Schönste in Stockholm ist McDonald’s. Das Schönste in Florenz ist McDonald’s. Peking und Moskau haben noch nichts Schönes.“
Erst heute verstehe ich wirklich, was Warhol damit gemeint hat. Das Fastfood-Lokal ist heute der einzige Ort, an dem man nicht falsch sein kann. Als Jugendlicher war der McDonald’s bei unserer Autobahnauffahrt der einzige Ort, an dem wir nicht irgendwann rausgeschmissen wurden. Der Cheeseburger hat einen Euro gekostet, es war warm, man durfte bis 2007 noch rauchen. Einen demokratischeren Ort habe ich nie wieder gesehen.
Unser Autor berichtet in seinen „Notizen aus der Provinz“ regelmäßig über das Leben dort – vom Kürbisfest in Muggendorf bis zur Kartoffel-Döner-Bratwurst in Schleswig-Holstein.