A wie Alter
Die Message ist heute: alt werden. Ich bin nicht mehr so wild, wie ich es noch mit zwanzig war. Als ich mit vierzig noch mal geheiratet habe, bin ich erwachsen geworden. Seitdem gibt’s für mich keine Geburtstage mehr – nur noch Hochzeitstage.
B wie Beatles
Ich habe John Lennon gut gekannt, auch George und Ringo. Mit Paul habe ich mich kurioserweise erst im 21. Jahrhundert näher ausgetauscht, wir trafen uns oft in meinem Haus auf der Insel Parrot Cay, wo er zeitweise auch lebt. Wir sprachen über Songwriting, über Leben und Tod, und darüber, was die Beatles von den Stones unterscheidet. Bei den Beatles konnten alle singen. Wir waren eher eine Musikerband, wir hatten nur einen Frontmann.
C wie China
Als wir 2006 erstmals in China, in Shanghai, auftraten, war kaum ein Chinese in der Halle. Wir spielten vor einer größtenteils europäischen Community. War trotzdem wichtig für uns, der Auftritt wurde im Fernsehen übertragen, erreichte etwa hundert Millionen chinesische Haushalte. Wenn in Shanghai mal die Sonne schien, konnte man sie nicht sehen, dort herrscht Umweltverschmutzung im Übermaß. Ansonsten sah es aus wie ein Chinatown in großem Stil.
D wie Drogen
Ich habe mich und meinen Körper lange Zeit als eine Art Privatbesitz betrachtet, mit dem ich experimentieren konnte. So nach dem Motto: Oh, nehmen wir mal diesen Stoff und schauen, was er mit mir macht. Ich war wie Dr. Jekyll, ich war mein eigenes Versuchskaninchen.
E wie Erziehung
Ich habe immer darauf geachtet, dass sich meine vier Kinder geborgen fühlen, dass sie sicher aufwachsen können, egal an welchem Ort. Aber ich hatte keine Regeln. Wer bin ich denn, dass ausgerechnet ich meinen Kindern Regeln aufstelle? Ich habe mein ganzes Leben gegen Reglementierungen gekämpft. Aber ich habe mich nie vor meine Kids gesetzt und mir einen Schuss verpasst. Auf unseren frühen Tourneen war mein Sohn Marlon mein Roadie – damals war er fünf Jahre alt. Er wusste, wie er die Leute zu Tode erschrecken konnte. Mit ihm hat sich niemand angelegt.
F wie Franklin, Aretha
Als Aretha Franklin „Jumpin’ Jack Flash“ neu aufnehmen wollte, fragte sie mich, ob ich den Song mit ihr produzieren und einspielen würde. Meine einzige Bedingung war, dass sie Piano spielen sollte – das hatte sie nämlich seit Jahren nicht mehr gemacht. Sie war ganz überrascht, als ich sie darum bat. Sie hat’s aber gemacht. Die Aufnahmen waren ein großer Spaß. Aretha ist ein Traum, es ist wunderbar, mit ihr zu arbeiten.
G wie Gottkomplex
Mick hat das Lead-Vocalist-Syndrom. Er hat zuweilen ja auch einen toughen Job, ist unser Frontmann, er steht oft vor 100.000 begeisterten Leuten auf der Bühne. Da muss er ja glauben, er sei ein Halbgott. Das ist aber wirklich Blödsinn. Ich meine, hey, ich muss es doch wissen, ich kenne Mick, muss mir ansehen, wie er in seiner Nase bohrt und auf Toilette geht.
H wie Hitler
Ich frage mich immer noch, wie sich Deutschland von Adolf Hitler, einem österreichischen Gefreiten, ins Verderben reißen lassen konnte. Dass es zu dieser kollektiven Entfesselung kommen konnte, dass sich ein ganzes Volk von einer Bande besessener Verbrecher und Verrückter mitreißen ließ. Ich frage mich grundsätzlich, wie solche Regime auch an anderen Plätzen der Welt entstehen konnten. Aber mit der deutschen Geschichte habe ich mich besonders intensiv befasst. Ich hatte aber nie feindselige Gefühle gegenüber Deutschland. Mein Rezept war: Liebe deine Feinde – meine erste Lebensgefährtin Anita Pallenberg war Deutsche.
I wie Image
Dieses Image des Exzentrikers und Junkies ist wie ein Schatten, den ich nicht loswerde. Manchmal ist es auch wie ein Klotz am Bein. Die Zeiten, als ich verhaftet wurde, die Medienberichte darüber – das war wie Krieg. Ich würde mich nicht freiwillig melden, um noch mal in diesen Krieg zu ziehen.
K wie Kotzen
Ab und zu mussten wir früher während der Konzerte aus Erschöpfung kotzen – das ist aber keine große Sache. Man sollte nur darauf achten, dass man sich hinter den Verstärkern übergibt, wo es niemand sieht. Wer kotzt schon gern vor 80.000 Zuschauern die Bühne voll.
L wie Leibwächter
Wenn ich mir während einer Tournee mal einen Hamburger kaufen will, werde ich oft von fünfzehn Leibwächtern begleitet. Sehr seltsam, ich versuche, das zu vermeiden. Aber am Ende des Tages wollen eben alle sichergehen, dass ich abends auf der Bühne stehe, und nicht zusammengeschlagen in irgendeiner Ecke liege.
M wie Mutter
Es war mir wichtig, dass ich am Bett meiner schwerkranken Mutter saß und für sie Gitarre spielte – bis kurz vor ihrem Tod. Ich hatte immer eine besondere Beziehung zu ihr. Sie stammte aus einer sehr musikalischen Familie. Meine Liebe zur Musik verdanke ich ihr. Und dann sagte sie auf dem Krankenbett: „Keith, deine Gitarre ist verstimmt.“ Sorry, Mutter. Sie hatte eben ein sehr feines Gehör, bis zum Schluss.
N wie Nostalgie
Immer dieses Nostalgie-Gerede und die Fragen, ob ich es nicht leid sei, die alten Songs zu spielen. Würden Sie das auch einen klassischen Geiger wie Itzhak Perlman fragen? Ob er es leid wird, Beethoven oder Mozart zu spielen? Und überhaupt, was bedeutet in diesem Zusammenhang denn „alt“? Es wird mir morgen genauso viel Spaß machen, meine Lieder zu spielen, wie heute und gestern. Das langweilt mich nie.
O wie Olympiastadion, Berlin
Als wir erstmals im Berliner Olympiastadion auftraten, das von Hitlers Lieblings-Architekten Albert Speer mitgestaltet worden war, war das … gespenstisch. Ja, das trifft es am besten. Mir wurde klar: Die ist der Ort, an dem die Nazis die Massen verführten. Speer war ein sehr talentierter Architekt und gleichzeitig ein sehr schwacher Mensch. Ich habe viel über ihn gelesen. Die Macht, die Menschen wie er ausübten, war enorm und erschreckend.
P wie Palmensturz
Ich war 2006 ja gar nicht von einer Palme gefallen. Der berüchtigte Baum war nur ein mickriger Strauch. Ich stolperte darüber, schlug mit meinem Kopf auf dem Boden auf. Es war eine bedrohliche Situation. Sie mussten mir ein Blutgerinnsel unter der Schädeldecke operativ entfernen. Viele in meinem Umfeld dachten, ich würde sterben. Als ich im Krankenhaus lag, bekam ich Unmengen an Briefen mit Genesungswünschen – von Jerry Lee Lewis bis zu Bill Clinton. Es war eine interessante Vorschau darauf, wie sich meine Nachrufe lesen würden.
Q wie Quälgeist
Als ich 1986 zwei Geburtstagskonzerte zum 60. Geburtstag meines Idols Chuck Berry organisierte, war es schwer, mit ihm klarzukommen. Nichts hätte schwieriger sein können, als ihn dazu zu bringen, überhaupt zu proben. Er ist sehr launisch. Er ist die schwierigste Person, mit der ich je zusammengearbeitet habe – von Mick Jagger mal abgesehen.
R wie Reisen
1990 spielten die Rolling Stones zum ersten Mal in Tokio. Bis zu dem Zeitpunkt wollten sie mich in Japan nicht einreisen lassen. Ist schon kurios: Zu Zeiten meiner Drogenprobleme hatte ich in vielen Ländern Einreise- und Auftrittsverbot. Heute wollen sie, dass ich überall spiele.
S wie Softies
„I wanna fuck you baby“ zu brüllen – das kann jeder. Es ist einfacher, in einem Song loszuschreien, so zu tun, als sei man ein harter Kerl. Wirklich stark bist du erst dann, wenn du deine Verletzlichkeit zeigen kannst. Ich hatte immer auch diese verletzliche Seite in mir. Hey, ich bin der Typ, der „Ruby Tuesday“ geschrieben hat.
T wie Tod und Teufel
Ob ich an Gott glaube? Ich weiß nicht, ob es ihn gibt. Wer weiß schon, was nach dem Tod passiert. Entweder erwartet mich das große Nichts, oder es beginnt ein neuer Trip. Ich weiß nur eins: Wenn ich den Teufel treffen sollte – dann helfe ihm Gott.
U wie Urne
Die Urne mit der Asche meines Vaters stand seit fünf Jahren auf einem Schrank in meinem Haus. Ich dachte immer wieder darüber nach, was ich damit machen sollte. Einen Baum pflanzen und die Asche drumherum streuen? Irgendwann öffnete ich die Urne, und ein bisschen Asche rieselte auf den Fußboden unter den Schrank. Was sollte ich da machen? Ein Kehrblech aus der Küche holen und meinen Vater auffegen? Ganz sicher nicht. Ich wischte also mit dem Finger durch die Asche, und hielt ihn unter meine Nase. Das war’s.
V wie Verbote
Im Jahr 2005 hatten sich mehrere US-Radiostationen geweigert, unseren Song „Sweet Neo Con“ zu spielen, in dem wir die Politik der Bush-Administration nach 9/11 kritisierten. Schon erstaunlich, wie Rundfunkstationen immer wieder Angst davor haben, einfach einen Song zu spielen. Bei „Sweet Neo Con“ war es simpel. Der Titel sagt, worum es geht – die Abschaffung von bestimmten freiheitlichen Grundrechten durch die Neokonservativen. Manchmal ist es eine Ehre, verboten zu werden.
W wie Waffen
John Lennon war vor seinem Haus in New York erschossen worden, das hätte anderen auch passieren können. Bei mir liegen die Dinge allerdings etwas anders. Bei mir wäre der Typ tot, bevor er abdrücken könnte, weil ich wahrscheinlich als Erster meine Waffe ziehen und diesen Motherfucker erschießen würde.
X wie XXL
Mitte der 80er schienen die Rolling Stones zu groß geworden zu sein, jedenfalls größer, als es uns guttat. Wir mussten lernen, wie man in Fußballstadien auftritt. Die Organisation, die damit verbunden ist; die Technologien, die sich jedes Jahr ändern … das alles machte es schwierig. Es dauerte mindestens zwei Jahre, bis wir nach dem Ende einer Tournee wieder etwas Neues anfingen. Das waren zwei Jahre, in denen wir als Musiker verrotteten.
Y wie Yin und Yang
Für die Musik brauchst du eine gewisse Spannung – Mick und ich sind ein bisschen wie Yin und Yang. Ich sage ihm oft Dinge, die ihm nahe gehen und ihn auch mal verletzen. Das ist für mich wahre Freundschaft.
Z wie Zunge
Die Stones-Zunge ist inzwischen ein Logo wie das von Coca-Cola. Normalerweise darf die Zunge nur in Zusammenhängen verwendet werden, in denen ich das auch erlaube. Aber natürlich weiß ich, dass die Zunge dann in einem Kontext auftauchen kann, der keinen Bezug zu unserer Musik hat. So ist das eben, wenn man etwas erschaffen hat, das Teil der Populärkultur wird. Ich will nur Musik machen. Musik mit den Rolling Stones.
Zur Person:
Keith Richards, am 18. Dezember 1943 im englischen Dartford geboren, sang als Kind in einem Knabenchor. 1962 trat er erstmals mit den Rolling Stones auf. Im Oktober veröffentlichte die Band mit „Hackney Diamonds“ (Universal) ihr erstes Album seit 18 Jahren. 2024 werden sie 19 Stadion-Konzerte in Nordamerika geben. Ob sie nach Deutschland kommen, ist noch nicht bekannt. 2022 erschien das Buch „The Rolling Stones. Rocking and Rolling“ (Kampa), mit neun Interviews, die WELT AM SONNTAG-Redakteur Martin Scholz mit der Band und Fans wie Salman Rushdie oder Sheryl Crow geführt hat.