Es gibt derzeit wohl kein Lokal auf der Welt, in dem es schwerer ist, einen Tisch zu bekommen als im „Plénitude“ von Arnaud Donckele im Hotel „Cheval Blanc“ in Paris. Mit seinen 24 Plätzen ist das direkt an der Seine gelegene Restaurant chronisch ausgebucht, zumal nur eine geringe Anzahl an Plätzen für Gäste freigegeben wird, die nicht im Hotel übernachten.
Da braucht man schon sehr gute Beziehungen, um einen Tisch zu ergattern. Selbst mit Kollegenbonus hat bei mir es erst beim fünften Anlauf geklappt. Donckele gilt in Frankreich als Superstar, seit er hier 2022 auf Anhieb drei Sterne erkocht hat. Bis dahin war der Mann komplett unter meinem Radar geblieben, dabei hält er im „La Vague d’Or“ in St. Tropez die drei Sterne schon seit 2013.
Bis auf ein paar flüchtige Begegnungen bei Branchenevents hatten wir zuvor nicht miteinander gesprochen. Kennenlernen durfte ich dann einen bodenständigen, einfühlsamen Menschen, der so gar nicht nach Superstar aussah, sondern mit wilder Frisur, unrasiert und gekleidet in Jeans und Birkenstocks in der Küche herumhüpfte. Donckele steht nämlich nicht nur mit Probierlöffel am Pass, sondern ist wie ein 18-jähriger Jungspund an jeder Station und an jedem Topf zugange. Dass er ein Vollblutkoch ist, der sich alles abverlangt, erkennt man schon an seinen Händen.
Edle Materialien, aber nie protzig
In der Hauptsaison arbeitet er sieben Tage die Woche, abwechselnd drei Tage in Paris und vier Tage in St. Tropez. Dabei bleibt er ein Teamplayer, sonst wären seine wichtigsten Mitarbeiter nicht alle schon seit mehr als zehn Jahren bei ihm, wie ich nebenbei erfahren habe. In Paris wird jeder Gast für einen Gang in die Küche gebeten, um ihn und seine 19-köpfige Brigade bei der Arbeit zu erleben. Das Restaurant wirkt wie ein luxuriöses Wohnzimmer, eingerichtet mit edlen Materialien, aber nie protzig.
Während Donckele in St. Tropez eine mediterrane Fischküche serviert, setzt er in Paris auf eine progressive französische Kulinarik, die mich richtig umgehauen hat. Los ging es mit einer Auster mit Meerwassergelee und Gurke sowie einem Gemüse-Sushi mit Rettich. Dann kam ein Glas mit einer Bisque vom Taschenkrebs, dazu eine Knuspertartlette mit einem Gelee vom Taschenkrebs, die das eigentliche Highlight flankierte: einige marinierte Brokkolistiele mit gezupftem Taschenkrebsfleisch, die mit einer Scheibe von der rohen Jakobsmuschel bedeckt waren. Dazu gab eine Vinaigrette aus dem Corail mit Zitrusfrüchten, wie ich sie im Leben noch nicht gegessen habe, jodig und hocharomatisch, mit angenehmer Säure.
Weiter ging es mit einem winterlichen Gemüseteller mit Pilzen. Es gab Schwarzwurzeln und Mini-Lauchstangen, gedämpft, gegrillt oder halb roh, die Pilze kamen eingelegt, als Creme oder krosse Chips, dazu nur ein Espuma und eine Umami-Vinaigrette.
Das Ganze war von der Textur her und geschmacklich unglaublich spannend, subtil und animierend, ein fast schon philosophisches Gericht, das mich zutiefst beeindruckt hat – und dabei eigentlich genau das Gegenteil der Luxusoffensive, die man in einem Pariser Drei-Sterne-Restaurant erwarten würde. Es folgte eine wunderbar glasige Ballotine von der Sardine mit Variationen vom Fenchel und einem Estragonsorbet – ein weiteres Meisterwerk, das komplett ohne Kaviar oder andere Edelprodukte auskam.
Auf meinen speziellen Wunsch habe ich dann noch Donckeles gefeierte Rotbarbe in Bouillabaisse-Soße genossen, die in beiden Restaurants serviert wird. Für den Rest des Menüs ist hier leider nicht genug Platz, aber ich weiß jetzt schon, dass ich im Sommer ganz sicher auch bei ihm in St. Tropez essen werde.