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Gesundheit Krebs in der Familie

„Das betrifft nicht nur Ehepartner, sondern auch Kinder“

Krebs sei eine „Wir-Erkrankung“, erklärt eine Psychoonkologin Krebs sei eine „Wir-Erkrankung“, erklärt eine Psychoonkologin
Krebs sei eine „Wir-Erkrankung“, erklärt eine Psychoonkologin
Quelle: Getty Images/Elva Etienne
Eine Krebs-Diagnose ist meistens niederschmetternd, auch für Angehörige. Eine Studie zeigt, dass besonders Männer leiden und es Kinder negativ prägt, wenn man sie anlügt. Welche Warnsignale es gibt und wie man erschütternde Diagnosen verkraftet.

Unter einer Krebsdiagnose leiden nicht nur die Erkrankten: Auch ihre Angehörigen können massiv von psychischen Belastungen betroffen sein, wie die jüngst veröffentlichte Studie eines internationalen Forschungsteams zeigt. Gerade im ersten Jahr nach der Diagnose ist das Risiko für bestimmte Gruppen groß, Depressionen und andere Störungen zu entwickeln. Deutsche Expertinnen teilen diese Einschätzung. Umso wichtiger sei es, von Anfang an auf die psychische Gesundheit der Angehörigen zu achten.

Krebs ist die zweithäufigste Todesursache in Deutschland – mit jährlich etwa 230.000 Verstorbenen. Weltweit waren Tumore nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) 2020 für fast zehn Millionen Todesfälle verantwortlich. Diese Zahl dürfte sich laut der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) bis 2040 verdoppeln.

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Für Deutschland geht das Robert Koch-Institut (RKI) davon aus, dass auch die Zahl der Neudiagnosen – derzeit etwa 500.000 pro Jahr – zunehmen wird. „Vor allem aufgrund der demografischen Entwicklung ist zwischen 2015 und 2030 in Deutschland mit einem Anstieg der Krebsneuerkrankungen um rund 23 Prozent zu rechnen“, heißt es in der vorigen Ausgabe des Berichts „Krebs in Deutschland“.

Angesichts dieser Zahlen rückt auch die Belastung der Angehörigen zunehmend in den Fokus. Denn als zentrale Quelle für emotionale Unterstützung und oft auch für Pflege ist das soziale Umfeld äußerst wichtig für die Lebensqualität von Krebserkrankten. Unter Umständen kann dies sogar die Prognose beeinflussen: So ergab eine US-Studie 2013, dass verheiratete Patienten bessere Überlebenschancen haben als unverheiratete.

Gerade für Eheleute kann eine Krebserkrankung ihrer Partner allerdings mit teils gravierenden psychischen Störungen einhergehen, wie die gerade im Fachblatt „JAMA Network Open“ publizierte Studie zeigt. Darin untersuchte ein Team um den Mediziner Qianwei Liu vom schwedischen Karolinska-Institut Daten zu über drei Millionen Menschen aus zwei langjährigen, bevölkerungsbasierten Erhebungen aus Dänemark und Schweden. Berücksichtigt wurden 546.321 heterosexuelle Ehepartner von Krebspatienten und 2.731.574 Menschen, deren Partner nicht an Krebs erkrankt waren.

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Die Analyse ergab, dass fast sieben Prozent der Partner von Krebspatienten in der Nachbeobachtungszeit eine psychische Störung entwickelten, die diagnostiziert und behandelt wurde. Bei Partnern von Menschen ohne Krebs lag der Anteil bei etwa fünf Prozent. Am häufigsten waren Depressionen, Angstzustände und stressbedingte Störungen. Und am ausgeprägtesten war das Risiko im ersten Jahr nach der Krebsdiagnose.

Das deckt sich mit den Erfahrungen von Beate Hornemann, Leiterin des Psychoonkologischen Dienstes am Uniklinikum Dresden: „Gerade im ersten Jahr nach Diagnose können die psychischen Belastungen besonders groß sein, wobei Familien mit kleinen Kindern, wenig sozialen Kontakten und schlechterem sozioökonomischen Hintergrund besonders gefährdet sind.“

Nach einer Diagnose würden zahlreiche Angehörige sehr viele, teils neue Aufgaben übernehmen, ergänzt Susanne Weg-Remers, Leiterin des Krebsinformationsdienstes (KID). Das könne die Arbeitsteilung in Partnerschaften deutlich verändern: „Was vorher an Alltagspflichten auf zwei Paar Schultern verteilt war, wird nun häufig auf den nicht erkrankten Angehörigen konzentriert.“

Sieben Prozent der Partner entwickeln psychische Störungen

Zudem sei Krebs die in Deutschland meistgefürchtete Diagnose, so das Ergebnis regelmäßiger Umfragen. „Krebs ist eine Erkrankung, die mittlerweile nicht mehr automatisch einem Todesurteil gleichkommt, aber das ist häufig die erste Assoziation: Jetzt sterbe ich. Und zwar qualvoll“, führt Weg-Remers aus. Diese Ängste hätten nicht nur Patienten, sondern auch deren Angehörige: „Krebs ist eine Erkrankung der ganzen Familie.“

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Psychoonkologin Hornemann spricht von Krebs als „Wir-Erkrankung“, bei der das Befinden der Patienten auch durch das Befinden der Angehörigen beeinflusst werde. Und bei diesen zeige sich vielfach ein vergleichbares Ausmaß psychischer Belastungen wie bei den Erkrankten selbst, wie frühere Studien aus Deutschland ergaben. „Das sind die gleichen Themen: Kontrollverlust, Insuffizienzgefühle, Wut auf das Schicksal und Schuldgefühle, weil oft die Kausalität der Erkrankung nicht erklärbar ist“, erläutert Hornemann.

Der nun publizierten Studie zufolge war das Risiko einer psychischen Störung besonders ausgeprägt bei Ehepartnern jener Patienten, bei denen eine Krebserkrankung mit schlechter Prognose oder in einem fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert wurde, und wenn der Patient verstarb.

Aufgeschlüsselt nach Krebsarten gingen Diagnosen von Speiseröhren-, Lungen-, Bauchspeicheldrüsen- und Leberkrebs häufiger mit psychischen Erkrankungen der Partner einher. Die Untersuchung ergab ferner, dass Ehepartner von Krebspatienten im Alter von 40 bis 79 Jahren das größte Risiko hatten. Bei Ehepartnern mit geringerem Einkommen war die Wahrscheinlichkeit, psychische Probleme zu entwickeln, höher als bei wohlhabenderen. Auch psychische Vorerkrankungen gingen mit stärkerer Gefährdung einher.

Und schließlich war das Risiko bei Männern etwas höher als bei Frauen. Für Beate Hornemann, die auch Beiratsmitglied im Arbeitskreis Psychoonkologie der Deutschen Krebsgesellschaft ist, haben tatsächlich Männer aus der älteren Generation ein größeres Risiko, depressiv oder gar suizidal auf eine oft schon fortgeschrittene Erkrankung ihrer Partnerin zu reagieren.

„Von diesen höre ich manchmal: Wenn meine Frau stirbt, gehe ich mit“, erzählt sie. Eine solche Aussage sei zwar erschreckend, bedeute aber auch eine Öffnung des Betroffenen, mit dem man dann das Gespräch suchen könne. Weitere Warnsignale liegen vor, wenn sich Angehörige sozial zurückziehen. „Das betrifft nicht nur Ehepartner, sondern auch Kinder“, so Hornemann. Gerade im Umgang mit Kindern hätten Erwachsene häufig Angst, sie mit der Wahrheit zu traumatisieren: „Sie nehmen aber eher Schaden, wenn man sie anlügt, anstatt kindgerecht mit ihnen zu sprechen.“

Keine Zärtlichkeiten mehr, mehr Distanz

Grundsätzlich sei es in der psychoonkologischen Behandlung von Angehörigen zentral, die Kommunikation zu thematisieren, betont Hornemann. Das gelte vor allem mit Blick auf das Phänomen des sogenannten „Protective Buffering“ – also dass ein Partner seine Gefühle versteckt, um den anderen nicht zu belasten. „Aber genau das führt dann zu Distanz in der Partnerschaft.“

Die Psychoonkologin erinnert sich an einen Fall aus ihrer Praxis: „Eine Patientin schilderte mir, dass ihr Partner auf Abstand ging, Zärtlichkeit vermied und insgesamt sehr sachlich und distanziert war. Darauf angesprochen sagte er mir, er versuche, alles richtig zu machen und seine Partnerin nicht mit seinen Bedürfnissen zu nerven.“ Beide hätten eigene, unterschiedliche Annahmen gehabt: „Spricht man nicht darüber, geht die Schere in der Beziehung auseinander.“

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Hinzu kommt laut Weg-Remers: Richtet sich der gesamte Fokus auf die Erkrankten, bleibe bei vielen Angehörigen wenig gedanklicher Raum für die Selbstfürsorge. Viele wüssten nicht, dass sie in einer solchen Belastungssituation die Möglichkeit hätten, selbst psychosoziale Unterstützung zu bekommen.

Informationen dazu gibt etwa der Krebsinformationsdienst (KID), der individuell telefonisch und per E-Mail berate. Ein weiteres Hilfsangebot bietet ein Online-Selbsthilfeprogramm, das allen Angehörigen von Krebserkrankten offensteht. Dieser AOK Familiencoach Krebs wurde vom Deutschem Krebsforschungszentrum zusammen mit dem Universitätsklinikum Leipzig entwickelt. Einfach zugänglich sind auch die psychosozialen Krebsberatungsstellen, deren Adressen sich auf der KID-Homepage finden, oder der Besuch von Selbsthilfegruppen. Und schließlich steht Angehörigen auch eine psychoonkologische Behandlung in der Klinik oder bei niedergelassenen Therapeuten offen.

Weg-Remers rät Angehörigen, ein Unterstützer-Netzwerk aufzubauen. „Oft fragen Freunde, Bekannte oder Nachbarn, wie sie helfen können. Das sollte man durchaus in Anspruch nehmen“, so die Medizinerin. Wenn Angehörige etwa viel Zeit auf die Begleitung von Arztterminen verwenden müssten, könnten Freunde den wöchentlichen Einkauf übernehmen.

„Wichtig ist außerdem, in den Angehörigen zu verankern, dass es keinen Sinn hat, wenn ihre Batterie leer ist“, fügt Hornemann hinzu. Diese müssten identifizieren, was ihnen Energie gebe, und sich auch trauen zu sagen, wenn sie Zeit für sich bräuchten. „Die Erkrankten sind oft die letzten, die kein Verständnis für ein solches Bedürfnis haben“, bekräftigt die Psychoonkologin. Nicht selten hätten sie Schuldgefühle, weil sie glaubten, das Leben ihrer Angehörigen zu blockieren. „Wenn diese sich dann ihren Raum nehmen, fühlen sich die Patienten auch wohler.“

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dpa/ott

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