Mehr als 44 Jahre hat es gedauert. Am 24. November 2021 ehrt die deutsche Luftwaffe jenen ihrer ehemaligen Piloten, der wohl am deutlichsten für alle positiven Aspekte seines Berufes steht: Jürgen Schumann, den Kapitän des Lufthansa-Fluges LH-181 von Mallorca nach Frankfurt/Main. Die bisherige Marseille-Kaserne in Appen (nordwestlich von Hamburg) erhält in Anwesenheit von Luftwaffen-Chef Ingo Gerhartz seinen Namen.
Schumanns Maschine, die Boeing 737 „Landshut“, wurde am 13. Oktober 1977 von vier palästinensischen Terroristen entführt; sie wollten damit im Auftrag der deutschen Terrorgruppe RAF den Druck auf die Bundesregierung erhöhen, ihre Gesinnungsgenossen freizulassen, nachdem die Geiselnahme des Arbeitgeber-Präsidenten Hanns Martin Schleyer den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt nicht zum Einlenken gezwungen hatten.
Auf der Besatzung von Flug LH-181, neben Kapitän Schumann dem Co-Piloten Jürgen Vietor und den drei Flugbegleiterinnen Hannelore Piegler, Gaby Dillmann und Anna-Maria Staringer, ruhte nun eine enorme Verantwortung: Sie mussten einerseits den Befehlen der Hijacker Folge leisten und andererseits den Passagieren die Situation so erträglich machen, wie es eben ging – auch wenn die Lage eigentlich unerträglich war.
Der Anführer der Terroristen, ein 23-Jähriger namens Zohair Youssif Akache, hatte sich selbst zum „Captain Martyr Mahmud“ ernannt und spielte den neuen Kommandanten der Maschine. Sein Hauptansprechpartner war Schumann, der zeitweise die Maschine sogar allein fliegen musste. Wie Co-Pilot Jürgen Vietor (der ebenfalls großen Anteil an den herausragenden fliegerischen und menschlichen Leistungen der Lufthansa-Besatzung während der Entführung hatte) hatte auch Schumann seine Pilotenausbildung bei der Luftwaffe erhalten.
1960 hatte sich der 20-Jährige als Zeitsoldat zur Bundeswehr verpflichtet. In der Kaserne in Appen begann er seine Pilotenausbildung. Seit 1965 flog Schumann für die Luftwaffe die Lockheed F-104 „Starfighter“, den damals schnellsten, aber auch lebensgefährlichen Düsenjäger der Bundeswehr. Nach dem Ende seiner Dienstzeit schied Schumann aus und wechselte zur Lufthansa, zunächst als Co-Pilot auf Langstreckenmaschinen des Typs Boeing 707. Ab 1977 flog er als Kapitän auf dem modernen Mittelstreckenmuster 737.
Auch Vietor war Pilot bei der Bundeswehr gewesen; von 1967 bis 1974 flog er Seeaufklärer des Typs Breguet Atlantic und wechselte nach seiner Dienstzeit ebenfalls zur Lufthansa. Mehrere ehemalige Geiseln der „Landshut“ sagten, dass die exzellente Ausbildung ihrer beiden Piloten bei der Bundeswehr ein Glücksfall für sie war und viel beigetragen hat zu ihrer Rettung durch die GSG-9 auf dem Flughafen von Mogadischu
Die hat Jürgen Schumann allerdings nicht mehr erlebt. Mit seinem ruhigen, gegenüber dem sprunghaften und aggressiven Akache zugleich unprovokativen wie entschlossenen Auftreten hatte er zum Beispiel Vietor gerettet: Akache, getrieben von wildem Israel- und Judenhass, hielt das Markenzeichen seiner Armbanduhr der Firma Junghans, einen achtstrahligen Stern mit einem „J“ darin, für einen Judenstern und wollte den 35-jährigen Co-Piloten ermorden. Das konnte Schumann ihm ausreden; allerdings musste Vietor vor seinen Augen die Uhr zertreten.
Beim Weiterflug der „Landshut“ in die jemenitische Stadt Aden waren alle Fähigkeiten der Piloten gefordert. Die örtlichen Behörden, die mit der Entführung wohl entgegen vorheriger Zusagen nichts zu tun haben wollten, hatten die Landebahn und auch die Rollwege mit Panzern und Tanklastern blockiert. Schumann und Vietor setzten ihre Maschine im Sand neben dem Beton auf. Wider Erwarten gelang die Notlandung der 737.
Später, schon nach Einbruch der Dunkelheit in Aden, verließ Schumann mit Genehmigung des Chef-Terroristen das Flugzeug, um nach Schäden durch die Notlandung zu suchen. Er verschwand aus dem Blickfeld. Ob er festgenommen wurde oder auf eigenen Wunsch mit Vertretern der jemenitischen Behörden sprach, ist unklar.
„Martyr Mahmud“ jedenfalls glaubte, der Kapitän habe gegen ihn intrigiert. Sein Zorn brauchte nun ein Ventil – einen Mord. Als Jürgen Schumann nach einiger Zeit wieder zurück zur „Landshut“ kam, veranstaltete der Entführer ein „Revolutionstribunal“, sprach ihn wegen „Verrats“ schuldig und tötete den Piloten im Mittelgang der Maschine mit einem Kopfschuss. Die Leiche blieb zunächst dort liegen.
Fortan musste Jürgen Vietor die 737 allein fliegen. Er brachte sie trotz Übermüdung und Trauer um seinen Freund sicher nach Mogadischu; dabei musste er ohne Landegenehmigung in der Dunkelheit aufsetzen. Am Morgen „entsorgten“ die Palästinenser die sterblichen Überreste Schumanns aus der Hecktür der „Landshut“. 16 Stunden später griff die GSG-9 zu, tötete Akache und zwei weitere Terroristen und verletzte die vierte Täterin schwer. Alle Geiseln wurden nahezu unversehrt befreit. Alle außer Jürgen Schumann.
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