Die Botschaft war unmissverständlich: „Das Leben von 91 Männern, Frauen und Kindern an Bord des Flugzeuges hängt von Ihrer Entscheidung ab. Sie sind unsere letzte und einzige Hoffnung. Im Namen der Besatzung und der Passagiere. Schumann.“ Diese Worte schickte Jürgen Schumann, der 37-jährige Kapitän der Lufthansa-Boeing 737 mit dem Namen „Landshut“, am frühen Morgen des 15. Oktober 1977 von Dubai aus ans Kanzleramt nach Bonn.
Seit etwa 36 Stunden waren Schumann, sein Cockpitkollege Jürgen Vietor, drei Flugbegleiterinnen und 82 Passagiere als Geiseln in der Hand von vier palästinensischen Entführern. Weitere knapp drei Tage später befreite die GSG-9 in Mogadischu die Geiseln gewaltsam – nur für Jürgen Schumann kam die Rettung zu spät: Der Anführer der Terroristen, der sich „Captain Martyr Mahmud“ nannte und in Wirklichkeit Zohair Youssif Akache hieß, hatte ihn in Aden am Abend des 16. Oktober 1977 erschossen, um seine Allmacht zu demonstrieren.
Jetzt, 43 Jahre später, soll nach langem Gezerre eine Bundeswehrkaserne in Schleswig-Holstein nach Schumann benannt werden. Denn er starb zwar als ziviler Pilot der Lufthansa, aber er war zuvor bei der Luftwaffe geflogen, sein Kollege Vietor bei der Marine. Ehemalige Geiseln der „Landshut“ sind sich sicher, dass die exzellente Ausbildung ihrer beiden Piloten bei der Bundeswehr ein Glücksfall für sie war und viel beigetragen hat zu ihrer Rettung.
Schumann wurde am 29. April 1940 bei Leipzig geboren und wuchs in Hessen auf. 1960 meldete er sich als Zeitsoldat zur Bundeswehr. In Appen begann er seine Pilotenausbildung – in der Kaserne, die demnächst seinen Namen tragen soll. Ab 1965 flog er für die Luftwaffe den Starfighter, den damals schnellsten, aber auch lebensgefährlichen Düsenjäger der Bundeswehr.
Nach dem Ende seiner achtjährigen Dienstzeit schied Schumann aus und wechselte zur Lufthansa. Zunächst als Copilot auf Langstreckenmaschinen des Typs Boeing 707 und ab 1977 als Kapitän auf dem Mittelstreckenmuster 737. Der Flug Frankfurt–Mallorca und zurück am 13. Oktober war eigentlich Routine –, bis die vier Terroristen sich des Flugzeugs und aller Insassen bemächtigten.
Die Kaserne in Appen trägt seit 1975 den Namen des Wehrmachtspiloten und 1942 durch einen Motorschaden verunglückten Fliegerasses Hans-Joachim Marseille. Er war als einer der erfolgreichsten Jagdflieger (158 Abschüsse) Gegenstand intensiver NS-Propaganda. Daher gibt es seit vielen Jahren den Vorschlag, die Kaserne anders zu benennen. Es gab bereits vor Jahren den Anlauf, den Stützpunkt, an dem heute die Unteroffiziersschule der Luftwaffe untergebracht ist (den Fliegerhorst, auf dem noch Schumann gedient hatte, gibt es nicht mehr), nach dem „Landshut“-Kapitän umzubenennen.
Gegenüber WELT bestätigte ein Sprecher der Luftwaffe, dass die Beschäftigten der Marseille-Kaserne sich jetzt für den neuen Namen ausgesprochen haben. Damit muss jetzt der Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Ingo Gerhartz, das entsprechende Verfahren einleiten, unter anderem das Einverständnis der Angehörigen von Jürgen Schumann und der Gemeinde einholen. Letztlich trifft die Entscheidung die Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer.
Doch weil die Bundesregierung im September 2020 mitgeteilt hatte: „Es wurde festgestellt, dass die Benennung der ,Marseille’-Kaserne am Standort Appen nicht mit den Vorgaben der Richtlinien zur Traditionspflege in Übereinstimmung steht“, kann man davon ausgehen, dass es sich eher um Formalien handelt.
„Bei Vorliegen der Voraussetzungen kann das 2021 vollzogen werden“, sagte der Sprecher, der die Umbenennung auch persönlich gut findet: „Es ist in der Öffentlichkeit viel zu wenig bekannt, dass Jürgen Schumann vor seiner Tätigkeit für die Lufthansa bei der Luftwaffe war.“ Neben mehreren Straßen, die nach dem ermordeten „Landshut“-Kapitän benannt sind – in seinem Heimatort Babenhausen, in Landshut und am neuen Flughafen BER bei Berlin –, einer Grundschule und der Pilotenschule der Lufthansa in Bremen wird dann auch die Luftwaffe an Jürgen Schumann erinnern.
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